Neu im Kino: Angelina Jolie in „Maria“

Schönheit und Verfall

Mit seinen Biopics „Jackie“ und „Spencer“ hat sich Pablo Larrain als sensibler Frauenversteher empfohlen. „Maria“ komplettiert die Trilogie – mit Angelina Jolie als sterbende Operndiva Maria Callas.

Angelina Jolie spielt Maria Callas als eigensinnige, launische Diva.

© epd/Pablo Larraín

Angelina Jolie spielt Maria Callas als eigensinnige, launische Diva.

Von Kathrin Horster

Wo sind bloß die Tabletten hin? – Madame Callas rutscht auf den Knien über das Parkett und zieht wahllos ihre zig Handtaschen hervor, um in deren Innenleben nach einer vergessenen Pille zu wühlen. Danach sind die Mäntel dran, die Hutschachteln, Döschen und Schatullen, sämtliche Schubladen; alle voll mit Krimskrams, doch keine einzige Kapsel findet sich mehr.

Die Diener von Maria Callas (Angelina Jolie) haben ganze Arbeit geleistet, wie es Dr. Fontainebleau (Vincent Macaigne) befohlen hat. Denn die von Opern-Fans weltweit als „Primadonna Assoluta“ Verehrte ist schon lange nicht mehr gut bei einander.

Larrain zeigt Callas als Junkie

Als Pablo Larrains Biopic „Maria“ einsetzt, sind die letzten Lebenstage der im Jahr 1977 gerade einmal 54-jährigen Gesangs-Ikone angebrochen. Larrain begleitet Callas im Verlauf von einer Woche, während die von Medikamentensucht und Einsamkeit gebrochene Frau versucht, ihre Stimme wieder zu finden. Bei Gesangsvorträgen in ihrer Küche mit ihrer Hausdame Bruna (Alba Rohrwacher) als einziger Zuhörerin. Bei geheimen Proben mit einem Pianisten in einem Pariser Theater. Und im Interview mit einem von Callas herbei halluzinierten Journalisten namens Mandrax (Kodi Smit-McPhee) – der zufällig genauso heißt wie ein Narkotikum, das in den USA ab den 1970ern unter dem Markennamen Quaalude besonders unter College-Studenten Furore machte.

Pablo Larrain zeigt Maria Callas als Junkie, als Frau, die sich in den letzten Jahren vor ihrem Tod nicht nur von der Bühne, sondern auch von der Realität verabschiedet hat. Als Opfer deutscher Besatzer, die die junge Gesangs-Elevin während des Krieges in Griechenland für private Darbietungen zu sich bestellten, um sie, so erzählt es Larrain, in ihre Betten zu ziehen. Nach dem Beziehungs-Aus mit dem Reeder Aristoteles Onassis (Haluk Bilginer), der lieber Jacqueline Kennedy heiratete, sind Callas nur noch ihre Hunde, Köchin Bruna und ihr Chauffeur Ferruccio (Pierfrancesco Favino) geblieben.

Pablo Larrain hat sich als sensibler Meister auf dem Gebiet des Frauen-Biopics erwiesen. Schon in den beiden Vorläufern „Jackie“ (2016) über die Gattin des ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy und „Spencer“ (2021) über einige unglückliche Tage im Leben von Diana, Princess of Wales, porträtierte der Chilene elegante, tragische Frauen am Rande des Abgrunds. Das Schöne und der Verfall faszinieren Larrain sichtlich; „Maria“ schwelgt förmlich in der Traurigkeit, die Larrains Protagonistin abseits der Bühne grausam belastet haben muss. Angelina Jolie verkörpert die alternde Diva mit Haut und Haar, leiht ihr die eigene, fast schaurig schmale Silhouette, mondän aufgedonnert mit übergroßer Sonnenbrille, Handschuhen und riesigem Hut. An der Seite ihres Gesprächspartners Mandrax irrlichtert Jolies Maria durch Paris, um noch einmal die Stationen ihrer Triumphe und Niederlagen abzulaufen. Dass dieser morbide Schwanengesang wirklich unterhaltsam ist, liegt an Jolies empathischem Spiel, an ihrer Bereitschaft, die eigenen Fähigkeiten als Sängerin zu trainieren und die Callas nicht zum tragischen Engel zu überhöhen, sondern sie oft unschmeichelhaft als schwierige, von inneren Dämonen und Launen getriebene Eigenbrötlerin anzulegen.

Abrechnung der alternden Frauen im Filmgeschäft

Dass Angelina Jolie selbst als ältere Frau zuletzt seltener auf den Leinwänden zu sehen war, ist ein typisches Schicksal weiblicher Künstlerpersönlichkeiten, denen man oft eben nur noch die Rolle der welkenden Diva zugesteht. Wie Jolie dieses Los annimmt und damit zugleich das Nachdenken über den Status von Frauen über Vierzig im Showgeschäft ankurbelt, ist der wirklich spannende Kern von Pablo Larrains letztlich konventioneller, aber fantastisch fotografierten Leidensgeschichte.

Der weibliche Alterungsprozess ist aktuell in einigen US-Produktionen Thema. Vom Horrorschocker „Substance“ mit Demi Moore über den Erotikthriller „Babygirl“ mit Nicole Kidman bis hin zum demnächst anlaufenden Sozialdrama „The Last Showgirl“ mit Pamela Anderson spannt sich eine Reihe von Filmen, die bewusst die Neuerfindung einst vor allem wegen ihrer Attraktivität gefeierter Schauspielerinnen ausstellen.

Als waffen- und muskelbepackte Heroine Lara Croft in „Tomb Raider“ (2001) ließ Angelina Jolie einst die Unterkiefer junger Männer nach unten klappen. In „Maria“ macht Jolie dagegen an ihrem Körper mentale und physische Verfallserscheinungen sichtbar. Insofern ist das Biopic nicht bloß ein morbide unterhaltsamer Abgesang auf eine der größten Sängerinnen, es ist vielmehr eine mutige Abrechnung mit der Faszination für die ewige Jugend.

Maria. Deutschland/Italien/USA 2024. Regie: Pablo Larrain. Mit Angelina Jolie, Alba Rohrwacher, Pierfrancesco Favino. Ab 6 Jahren.

Die Akteure des Films

Regie Pablo Larrain, geboren 1976, Sohn zweier Parteifunktionäre im Dienst des Diktators Augusto Pinochet, interessiert sich mehrheitlich für düstere Stoffe. In der Netflix-Produktion „El Conde“ (2023) verarbeitete er etwa die Pinochet-Diktatur im Rahmen einer Vampir-Satire.

SpielAngelina Jolie, geboren 1975, war lange auf Action-Rollen abonniert. Ihre Fähigkeiten als Charakterdarstellerin bewies sie in Werken wie Clint Eastwoods „Der fremde Sohn“ (2008). Für „Maria“ trainierte sie Operngesang, der in einigen Szenen zu hören ist.

SängerinMaria Callas, geboren 1923, besaß einen Stimmumfang von fast drei Oktaven. Legendär waren ihre Interpretationen italienischer Belcanto-Opern. Ihre Affäre mit Aristoteles Onassis führte 1959 zur Scheidung von ihrem Ehemann Giovanni Meneghini. 1977 starb sie an einem Herzinfarkt.

Szene aus „Maria“.

© epd/Pablo Larraín

Szene aus „Maria“.

Szene aus „Maria“.

© dpa/Pablo Larraín

Szene aus „Maria“.

Szene aus „Maria“.

© dpa/Pablo Larraín

Szene aus „Maria“.

Schauspielerin Angelina Jolie mit Regisseur Pablo Larrain.

© AFP/ANGELA WEISS

Schauspielerin Angelina Jolie mit Regisseur Pablo Larrain.

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Erstellt:
4. Februar 2025, 15:20 Uhr

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