Seelenzustände von modernen Zombies

Rampe: Tanztheater „Die tonight, live forever oder Das Prinzip Nosferatu“

Tanztheater - „Die tonight, live forever oder das Prinzip Noseratu“ im Theater Rampe zeigt eine erschöpfte Gesellschaft.

Eine Videoleinwand, lang gezogen wie ein Zeitstrahl, darauf eine Ertrinkende, die zu viel Atem hat, um unterzugehen. Dazu eine Fensterfront, Trennwand und Schaufenster zugleich. Sie teilt die Bühne in zwei Zonen. Durch eine Klappvorrichtung wechseln die sich mächtig ins Zeug werfenden Tänzerinnen und Tänzer zwischen den Welten hin und her. In eruptiven Zuckungen, Stürzen und gegenseitigen Angriffen machen sie klar: In dem am Dienstagabend erstmals im Theater Rampe zu sehenden Stück „Die tonight, live forever oder Das Prinzip Nosferatu“ der in Berlin lebenden israelischen Autorin Sivan Ben Yishai geht es um Leben und Tod. Nur dass beides in der Sphäre der Untoten keine Chance hat. Keiner hier entkommt dem Schicksal des Weiter-so.

Die Koproduktion mit Marie Bues von der Rampe als Regisseurin, mit Nicki Liszta von der Kompanie Backsteinhaus Produktion als Choreografin und mit Darstellern des Theaters Lübeck interpretiert die Gesellschaft als ein Nebeneinander reizüberfluteter Zombies. Nicht Vampire sind des Menschen Feind, sondern der ständige Online-Modus sowie der Zwang, sich selbst zu verwirklichen und Beachtung zu generieren.

Alternierend wie beim Zappen durch TV-Kanäle werden drei Daseinsformen parallel erzählt. Da ist zum einen der schwule Immobilienmakler aus Rennes, der mit seinen heterosexuellen Kunden nicht klarkommt und sich mit einem via App gedateten Unbekannten zum höhepunktlosen Sex in den Pariser Katakomben trifft. Da ist die grandios ihre Bewusstseinsströme wie am Schnürchen abspulende Rachel Behringer als Supergirl, die von den Erwartungen an sich selbst faselt und sich in eine Krebserkrankung flüchtet. Der Tumor soll ihr Ruhe, Entlastung und liebevolle Pflege sichern. Und da ist Sophie Pfennigstorf, deren Gesicht ein bronzeglänzender Motorradhelm verdeckt. Als Tramperin wird sie Opfer eines Verbrechens, das man nur erahnen kann.

Mehr noch als die getanzten Seelenzustände sind es die durchweg starken Auftritte der Schauspielerinnen (neben Behringer und Pfennigstorf auch Astrid Färber als Übermutter), die beeindrucken. Sie fesseln mit ihren atemlos gesprochenen Auftritten und kitzeln aus dem zuweilen sperrigen Text Bedeutungsnuancen heraus. Wenn sich die Figuren zum Chor verdichten und skandieren „Werd groß mein Tumor, lass los, mein Tumor“, zeigt sich, wie sehnsüchtig dieses von sich selbst erschöpfte Kollektiv auf eine Katastrophe wartet. Erschreckend real.

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Erstellt:
28. März 2019, 03:04 Uhr

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