John Cales Konzert im Theaterhaus

Ständchen zum Ehrentag

Der britische Musiker John Cale, einst Mitgründer der legendären Band The Velvet Underground, hat im Stuttgarter Theaterhaus ein Konzert gegeben.

John Cale bei seinem Auftritt im Theaterhaus

© LG/Christoph Schmidt

John Cale bei seinem Auftritt im Theaterhaus

Von Jan Ulrich Welke

Die einen gönnen sich in ihrem Seniorenstift zur Feier des Tages neben einem ordentlichen Stück Sahnetorte noch ein Piccolöchen, die anderen lassen auf der Kreuzfahrt den Abend nach dem Captain’s Dinner noch an der Reling mit einem Blick auf den Sonnenuntergang ausklingen: die herrlichsten Wege, auch im gesetzteren Alter noch schöne Geburtstage zu begehen, gibt es so einige. Der gebürtige Waliser und Wahl-New-Yorker John Cale indes hat sich dafür entschieden, den Abend seines 83. Geburtstags in Stuttgart zu verbringen, sich eine E-Gitarre umschnallen zu lassen und zum Ausklang seines Ehrentages anderthalb Stunden lang eine ordentliche Prise Artrock mit einem gerüttelt Maß Avantgarde zu kredenzen. So kann man’s auch machen, und damit er nicht ganz allein vor sich hinmusizieren muss, hat er am Sonntagabend eine kleine Rockband in der klassischen Dreierbesetzung mitgebracht und den großen Saal des Stuttgarter Theaterhauses gewählt, der zwar nicht randvoll, aber doch sehr ordentlich besucht gewesen ist.

Wer zählt die Völker, kennt die Namen?

Es ist das neunte von insgesamt 25 Konzerten seiner aktuellen Tournee. Sein letztes Gastspiel in Stuttgart liegt bald zwanzig Jahre zurück (ältere Leser erinnern sich gewiss noch, 2007 in der Röhre, das seinerzeit allen Ernstes allererste Konzert in diesem leider längst in die ewigen Jagdgründe eingegangenen legendären Schuppen, bei dem Rauchverbot herrschte!), sein erster Auftritt in Deutschland war vor über fünfzig Jahren, und wenn man John Cale fragt, wie viele Konzerte er insgesamt schon als Solokünstler gespielt hat, wüsste er die Antwort vermutlich selbst nicht.

Insgesamt 962 Soloauftritte weist eine Musikstatistikplattform für ihn aus, eine stolze Summe für einen stolzen Musiker in einem stolzen Alter; all die Konzerte, die er zuvor mit der 1965 von ihm mitgegründeten und ebenfalls längst legendären Band The Velvet Underground gespielt hat, sind dabei natürlich noch gar nicht mitgezählt. John Cale kann also von einem reichen Erfahrungsschatz zehren und überdies aus einem breiten Repertoire schöpfen: über fünfzig Alben hat er bereits eingespielt, die fünf Velvet-Underground-Alben wirken angesichts dieses Riesenoeuvres fast wie eine Aufwärmübung. So war’s natürlich nicht, auch der Output mit seiner Exband hat längst Legendstatus, doch The Velvet Underground sind – buchstäblich überlebte – Geschichte, Sterling Morrison, Lou Reed die Vokalistin Nico und auch den Spiritus Rector Andy Warhol deckt längst der kühle Rasen.

Last Man standing

Leichenfledderei ist jedoch John Cales Ding nicht. Auf den durchaus nahe liegenden Gedanken, doch ein paar der Alten Velvet-Underground-Hits in seine Setlist einzubauen, verzichtet er dankend, nur eine klitzekleine Ausnahme gönnt sich der zwischen E-Piano und E-Gitarre wechselnde Musiker zum Abschluss im Theaterhaus. Der Rest des Abend sind ein paar Songs von seinem aktuellen Album, vor allem aber viel Stoff von sehr, sehr alten Alben – „My Maria“ etwa vom vor einem halben Jahrhundert (!) erschienen Album „Helen of Troy“. Geboten wird, wie eingangs erwähnt, Artrock, mal gediegen dezent abrockend, mal sanft und weltenentrückt, aber nie verleugnend, dass sich der gelernte Bratschist John Cale in erster Linie stets als Avantgardemusiker verstanden hat. Dabei beherrscht er aber die hohe Kunst, die Songs stets auf einem schmalen Grat zu halten, von dem er und seine sauber musizierende Band nie in Richtung sinnfreies Gegniedel oder bloße Zurschaustellung von Virtuosentum abrutschen. Und so klingt jeder der auch in Stilistik und Dynamik reich variierten Songs nach schon sehr kunstvoll und willentlich dekonstruierter Rockmusik – und somit auch richtig gut, selbst wenn man sich stellenweise noch ein wenig mehr Lust am Experiment gewünscht hätte.

Aber das sei altersmilde geschenkt, genauso wie die Feststellung, dass aus John Cale in diesem Leben vermutlich kein Ausnahmesänger mehr werden wird. Ein Ausnahmemusiker ist er auf jeden Fall, und fertig ist er offenbar auch lange noch nicht. „Bis zum nächsten Mal“, verkündet er zum Abschied dem noch lange, wenngleich vergeblich eine Zugabe herbeiapplaudierenden Publikum. Es ist die letzte erstaunliche Volte eines wendungsreichen Auftritts.

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Erstellt:
10. März 2025, 01:04 Uhr

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