Reaktionen zum Stuttgart-Tatort

Stimmungsmache im Wahlkampf vorgeworfen – SWR widerspricht

Rein inhaltlich kann die neue „Tatort“-Folge „Verblendung“ aus Stuttgart auf ganzer Linie überzeugen, allerdings wird auch Kritik an einigen Szenen laut, die als Stimmungsmache im Wahlkampf wahrgenommen werden. Der SWR bezieht Stellung.

Ermittler Thorsten Lannert (Richy Müller) bekam es mit Rechtsterroristen zu tun – wurden ihnen Zitate von konservativen Politikern in den Mund gelegt?

© dpa/Benoit Linder

Ermittler Thorsten Lannert (Richy Müller) bekam es mit Rechtsterroristen zu tun – wurden ihnen Zitate von konservativen Politikern in den Mund gelegt?

Von Sascha Maier

Der Stuttgart-„Tatort“ Verblendung kam bei Kritikern gut an, auch wir haben ihm das Prädikat „uneingeschränkt sehenswert“ verliehen, abgesehen von ganz kleinen Schwächen. Dennoch stieß der Sonntagabendkrimi, in dem das Ermittlerduo Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Boots (Felix Klare) es mit einer Geiselnahme durch Rechtsterroristen zu tun bekam, nicht nur auf Gegenliebe. Gerade in Konservativen Kreisen störten sich Stimmen im Netz daran, dass einige Zitate, die den Terroristen in den Mund gelegt wurden, frappierende Ähnlichkeit zu Sätzen von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz und Hubert Aiwanger, Bayerns Freie-Wähler-Chef, aufweisen und unterstellen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk fehlendes Fingerspitzengefühl in Wahlkampfzeiten.

„Im Wahlkampf gibt der ÖRR wirklich alles“, kommentiert etwa der Herausgeber der Tageszeitung „Welt“, Ulf Poschardt, und teilt dabei einen Schnipsel, in dem eine durch Anna Schimrigk verkörperte Terroristin nach rassistischen und islamophoben Einlassungen von „kleinen Paschas“ spricht.

#TatortIm Wahlkampf gibt der ÖRR wirklich alles.18,36pic.twitter.com/of8j0RAoK6 — Ulf Poschardt (@ulfposh) January 19, 2025

2023 hatte Friedrich Merz einen mittleren Skandal ausgelöst, als er im Zusammenhang mit Integrationsproblem an deutschen Schulen im Talk bei „Markus Lanz“ die Formulierung „kleine Paschas“ wählte. Bis heute löst der Ausspruch bei einigen Nutzern im Netz Assoziationen aus.

Ebenfalls in der Kritik steht eine Passage, in der davon die Rede ist, die „Demokratie zurückzuholen“, ebenfalls aus dem Mund der Geiselnehmer im Film. Sie erinnert an den Satz des stellvertretenden Ministerpräsidenten Bayerns, Hubert Aiwanger, die schweigende Mehrheit müsse sich „die Demokratie zurückholen“. Aiwanger stand dafür stark in der Kritik, relativierte den Satz später etwas.

„Tatort“ bereits vor Ampel-Aus abgedreht

Zur Wahrheit gehört aber auch: Der „Tatort: Verblendung“ war nach Angaben der Filmdatenbank „Crew United“ am 29. Mai 2024 abgedreht – also Monate vor dem Ampel-Aus und bevor jemand etwas von vorgezogenen Neuwahlen ahnen konnte.

Der Südwestrundfunk (SWR) widerspricht der Darstellung der Kritiker im Netz überdies deutlich. „Der ,Tatort: Verblendung’ bildet weder existierende Parteien noch reale Politiker oder Politikerinnen ab und es ist keineswegs die Absicht des Films, Wahlen zu beeinflussen“, sagte eine Sprecherin auf Nachfrage unserer Zeitung. Worum es den Autoren Rudi Gaul und Katharina Adler gehe, seien das Verblendungspotenzial und die Gefährlichkeit von Extremismus. „Die Figuren in ihrem Film verwenden dabei Formulierungen und Stereotype, die in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen sind. Und in extremen Kreisen, gerade im Netz, schon Verwendung fanden, bevor sie von Politikern verwenden wurden“, so die Sprecherin.

Außerdem gibt es auch auf X (ehemals Twitter) genug Kommentatoren, die den „Tatort“ einfach als Film zu genießen wussten:

Ganz großes Kino heute im #tatort aus Stuttgart! Hervorragende Leistung der Schauspielerin Anna Schimrigk — GWagner (@WagnerGerfried) January 19, 2025

Respekt Tatort Stuttgart.Einer der besten Tatorte der letzten Jahre.Außergewöhnliche Leistung aller daran Beteiligten.Beeindruckend.Danke — Ralf Stein (@RalfStein3) January 20, 2025

Manch ein User freute es sogar ein bisschen, dass der Stuttgart-„Tatort“ einige Kommentatoren in sozialen Netzwerken auf die Palme bringt:

Uns hat die Folge gut gefallen, glatte Zwei. Spannend und unterhaltsam. Auch schön, zu erleben, wie hier im Nachklapp die passenden Gemüter rot sehen "Ruhig, Brauner" bekommt da glatt eine neue Bedeutung... — ᔕᗩᑌEᖇᒪᗩEᑎᗪEᖇ (@willschgerd) January 19, 2025

Während vor allem auf der politisch aufgeladenen Plattform X dennoch vordergründig das Wahlkampfthema in der Debatte vorherrscht, gehen User in anderen sozialen Netzwerken wie Facebook eher auf die inhaltliche Qualität ein.

Und hier deckt sich der Eindruck der User mit dem Eindruck der Kritiker weitestgehend: „Besser geht’s nicht! Spannend von der ersten bis zur letzten Minute, aktuelles Thema und sehr gut gespielt von allen Akteuren“, schrieb eine Nutzerin. „Selten so einen tiefsinnigen und keine Minute langweiligen ,Tatort’ gesehen. Menschliche Abgründe in Stress-Situationen hervorragend performed. Bravo aus dem Schwabenland an das Stuttgarter Team“, so eine andere Zuschauerin in die Kommentarspalte der „Tatort“-Seite.

Die Begeisterung überwiegt

Einigen Krimi-Puristen war „Verblendung“ thematisch etwas zu abwegig, dennoch fanden sie meist Gefallen dran: „War super gespielt, absolut brisantes Thema, sehr gut umgesetzt. Ich weiß nur nicht, ob ich das in einem ,Tatort’ brauche. Ich bin mehr die ,Leiche am Anfang und dann wird ermittelt’-Fraktion.“

Aber auch auf der verglichen mit X inzwischen heiteren Plattform Facebook trübte die politische Dimension des Streifens kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 etwas die Stimmung. „Nach meinem Geschmack wurden die Zuschauer zu politisch instrumentalisiert. Das grenzt in meinen Augen schon an Wahlbeeinflussung“, kommentierte eine Facebook-Nutzerin.

Abgesehen vom vielleicht etwas unglücklich gewählten Sendetermin überwiegt also ganz eindeutig die Begeisterung für den neuen „Tatort“ aus Stuttgart. Und der ganz große Ärger des Stuttgart-„Tatorts“ davor, als sich ein ganzes Dorf aufgrund der stereotypischen Darstellung des Landlebens veräppelt vorkam und böse Post an den SWR versandt hatte, blieb diesmal aus.

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Erstellt:
20. Januar 2025, 16:52 Uhr
Aktualisiert:
20. Januar 2025, 17:41 Uhr

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