Tanzen ist wichtiger als ins Kino gehen
Alexia Ghita besucht das Ballettgymnasium in Essen – Choreografien für Schulaufführung im Bürgerhaus
„Beim Tanzen kann man Gefühle ausdrücken, ohne zu reden“ – das ist es, was Alexia Ghita am Tanzen so fasziniert. Die 14-Jährige war Schülerin der Ballettschule Rüter in Backnang und besucht seit September das Gymnasium Essen-Werden, das einzige bundesweit, das eine Ballettausbildung anbietet. Ihre Tage sind ausgefüllt mit Unterricht, Hausaufgaben und Tanztraining, für einen Kinobesuch reicht die Zeit nicht.

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Bei Tanzpädagogin Claudia Rüter erkannte Alexia Ghita ihre Leidenschaft fürs Tanzen. Foto: J. Fiedler
Von Annette Hohnerlein
BACKNANG. Da muss schon eine große Leidenschaft im Spiel sein, wenn ein Mädchen mit 14 Jahren sein Elternhaus verlässt und in eine fremde Stadt zieht, um seine tänzerische Ausbildung voranzutreiben. Eine solche Leidenschaft spürt Alexia Ghita in sich, seit sie mit acht Jahren ihre ersten Tanzschritte in der Backnanger Ballettschule Rüter machte. Die Schülerin, die ihre ersten Lebensjahre in Rumänien verbrachte, begann mit zwei Terminen pro Woche, später kam sie täglich zum Tanztraining. Die Inhaberin der Schule, Claudia Rüter, erinnert sich: „Sie hat nicht rumgealbert wie viele andere Mädchen in ihrem Alter, sie war immer hoch konzentriert bei der Sache und kam schnell voran.“ Darüber hinaus entwickelte Alexia Interesse am Choreografieren. „Sie hörte Musik und überlegte sich die Schritte dazu. Das sprudelte nur so aus ihr heraus; sie ist extrem kreativ“, erzählt Rüter, die ihre begabte Schülerin bald auch in höheren Klassen mittanzen ließ. Bei einem Tanzwettbewerb der Ballettschule belegte diese 2016 mit ihrer selbst erdachten Choreografie den ersten Platz.
Jeden Tag nach dem Unterricht gibt’s drei bis vier Stunden Training
Alexia hat einen emotionalen Zugang zum Tanzen. „Hier kann man Gefühle ausdrücken, ohne zu reden“, sagt sie, „du musst die Musik fühlen, sonst bist du kein Tänzer.“ Besonders angetan hat es ihr die freie Form des Tanzens, die Improvisation.
Im September letzten Jahres wechselte Alexia vom Backnanger Tausgymnasium an das Gymnasium Essen-Werden, das bundesweit als einzige Schule eine Gymnasialbildung in Kombination mit einer professionellen Ausbildung in klassischem und zeitgenössischem Tanz anbietet. Vormittags findet normaler Unterricht statt, am Nachmittag stehen drei bis vier Stunden Tanztraining auf dem Programm, danach übt die ehrgeizige Schülerin oft noch für sich weiter. Am Abend müssen die Hausaufgaben erledigt werden. Dieser eng getaktete Tagesablauf lässt keinen Raum für Freizeitaktivitäten. Wenn Klassenkameraden, die keinen zusätzlichen Tanzunterricht haben, Alexia fragen, ob sie mit ins Kino kommt, muss sie ablehnen: keine Zeit. „Manchmal denke ich, ich verpasse was“, gibt sie zu.
Aber sie bereut nicht, diesen Schritt gegangen zu sein, obwohl sie dadurch ihre Eltern wochenlang nicht sieht. Nur in den Ferien ist sie in Backnang bei ihrer Familie. Übers Wochenende heimfahren ist nicht drin, die Zeit wird für Hausaufgaben und die Vorbereitung von Klassenarbeiten gebraucht. Der Stundenplan und das Hausaufgabenpensum des Essener Gymnasiums sind auf die Trainingszeiten abgestimmt, der Tanzunterricht ist Bestandteil der Schulbildung. An Alexias früherem Gymnasium kam es da eher mal zu Interessenskonflikten; sie bekam den Vorwurf zu hören, die Schule wegen des Ballettunterrichts zu vernachlässigen.
Obwohl Alexia der Meinung ist, dass sie vom Körperbau her nicht die besten Voraussetzungen für eine Ballettkarriere mitbringt, lässt sie sich von ihrem Ziel, Tanzen zu ihrem Beruf zu machen, nicht abbringen. Die Forderung nach idealen Maßen und den absoluten Perfektionsanspruch beim klassischen Ballett sieht sie skeptisch: „Wichtig beim Tanzen ist, dass Gefühl rüberkommt. Da ist zu viel Perfektion nicht gut.“ Ihr hat es eher der moderne Tanz angetan, der mehr Raum für Experimente lässt.
Bis vor Kurzem hatte Alexia feste Vorstellungen von ihrer Zukunft: „Mir war klar: Ich will auf die Bühne.“ Dann leitete sie ein Ferientraining in ihrer ehemaligen Ballettschule und stellte fest, dass ihr das Unterrichten riesigen Spaß macht. Claudia Rüter betont: „Mit der Ballettausbildung erwirbt man sich eine gute Basis an Fähigkeiten. Danach kann man viele Richtungen einschlagen.“
Am 1. Juni wird Alexia bei einer Schulaufführung der Ballettschule Rüter mit dem Titel „Dornröschen reloaded“ auf der Bühne des Backnanger Bürgerhauses tanzen. Dort werden auch zwei Beiträge zu sehen sein, bei denen sie die Choreografie gestaltet hat.