Neues Album des Superstars
Taylor Swifts Seelenstriptease ist ein Meisterwerk
Trauer und geschundene Herzen: Das neue Album von Überstar Taylor Swift klingt wie ein Auszug aus ihrem Tagebuch. Swifties dürfte es noch tiefere Einblicke in das Innenleben des Megastars bieten – auch sehr überraschende.
Von Björn Springorum
Taylor Swift ist der größte und einflussreichste Popstar aller Zeiten. Bei allem frenetischen Rummel um ihre Person zeigt ihr neues Album „The Tortured Poets Department“ aber vor allem eines: Sie ist und bleibt die wichtigste, furchtloseste Liedermacherin ihrer Generation.
Es ist leicht, bei Diskussionen rund um Taylor Swift das aus den Augen zu verlieren, was wirklich zählt. So viel wird geredet über ihre Persönlichkeit, minutiös werden ihre Flugpläne seziert, ihre Boyfriends analysiert, ihre Restaurantbesuche nacherzählt. Sie war „Woman of the Year“ im Time Magazine, ist mittlerweile so einflussreich, dass die Republikaner vor lauter Angst das Gerücht streuen, sie sei eine Geheimoperation des CIA. Gut ein Drittel der republikanischen Wähler glaubt das.
Abrechnung mit Ex-Freunden
All das zeigt vor allem eines: Taylor Swift hat das Stadium des Popstars längst transzendiert. Hat sich – unfreiwillig, so will man meinen – verpuppt und als übermächtiges Wesen aus dem Kokon geschält, das die Präsidentschaftswahl in den USA vermeintlich mit einem Tweet zu kippen in der Lage wäre. Daher ist es ebenso überfällig wie wichtig, dass sie jetzt endlich mal wieder mit dem von sich reden macht, worum es ja eigentlich immer gehen sollte: mit Musik.
Zeit gelassen hat sie sich für ihr neues, über einstündiges Album „The Tortured Poets Department“. Nicht wirklich natürlich. Nur wenn man das Tempo ihrer letzten drei Alben, dem zarten Indie-Folk-Doppel aus „Folklore“ und „Evermore“ (beide 2020) sowie dem schillernden Synth-Pop-Werk „Midnights“ (2022) als Maßstab nimmt.
Jetzt ist das Album da und überrascht, überrumpelt, überrennt die Welt mit beißenden, bitteren, desillusionierten, zähnebleckenden Songs über ihre Ex-Boyfriends. Die Klaviatur der Dramaturgie beherrscht Swift perfekt. Das beweist sie auf ihrer epochalen „Eras“-Tour gerade in den größten Stadien auf der ganzen Welt, längst die erfolgreichste Tournee aller Zeiten. Das kann sie aber eben auch auf ihren Platten. Vorbei sind die Zeiten der Teenage-Romanze, die ja einer der wichtigsten Tropen der US-Popmusik ist. Was bleibt, ist ein eisiges, zynisches, überwältigend dichtes Trennungsalbum, das in seiner poetischen Kompromisslosigkeit sprachlos macht. Als Travis Kelce, ihr aktueller Lover, sollte man sich wahrscheinlich Sorgen machen.
Offenbarung ihrer strapazierten Künstlerinnenseele
Für Swifties hingegen ist das ein großer Tag. Der wichtigste Popstar unserer Zeit wird seinem Ruf nicht nur gerecht; Swift und ihre langjährigen Produzenten Jack Antonoff und Aaron Dessner liefern erneut jede Menge Beweise dafür, weshalb sie da steht, wo sie steht. Einsam an der Spitze. Sie kreuzt den nächtlichen Pop von „Midnights“ mit der Intimität von „Folklore“, singt von den hässlichen Fratzen der Liebe, von den Abgründen, die sich bei einer Trennung auftun – insbesondere wenn sie, wie alles in ihrem Leben, von der Öffentlichkeit seziert wird. „Who’s Afraid Of Little Old Me“ referenziert deswegen nicht nur „Who’s Afraid of Virginia Woolf?“ von Edward Albee, sondern auch ihre Rolle als Superstar.
Ihre Musik spricht aus einer profunden, strapazierten und gezeichneten Künstlerseele. Sie ist verletzt, wütend, frustriert. Und zeigt das auch. Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. Das verwunschene „So Long, London“, der wavige Opener „Fortnight“ oder „But Daddy I Love Him“ sind Einblicke in eine versehrte Seelenlandschaft, Hymnen an den Tod der Liebe.
Persönlich war Taylor Swift schon immer; nie hatte man aber mehr das Gefühl, ihr Tagebuch zu lesen. Das gilt auch für den Southern-Gothic-Geniestreich „Florida!!!“ mit Florence Welch oder „The Smallest Man Who Ever Lived“, vielleicht das dramatische Highlight ihrer poetischen Murder-Ballads-Sammlung. Allein daran werden sich die Swifties wochenlang abarbeiten.
16 Pop-Gedichte in einer Stunde
„The Tortured Poets Department“ ist ein quintessenzielles Werk, das sich über eine Stunde erstreckt und in 16 Pop-Gedichten (plus 15 weiteren Bonus-Songs) ihr versehrtes Herz seziert und womöglich sogar zu heilen versucht. Thematisch deutet die Künstlerin dabei eine enge Verzahnung mit den fünf Phasen der Trauer nach Elisabeth Kübler-Ross: Nicht-Wahrhaben-Wollen, Zorn, Verhandeln, Depression, Akzeptanz. „The Tortured Poets Department“ läuft über vor Seelenstriptease, vor Nabelschau. Gewollt. Aber unterkriegen lässt sich Swift nicht. „I Can Do It With A Broken Heart“ singt sie. Und beweist das jeden Abend auf der Bühne.
Niemand wäre in der Lage, aus Rache und verletztem Stolz ein derart großes Pop-Album zu machen. Niemand außer ihr. „The Tortured Poets Department“ wird als weiteres Meisterwerk in die Geschichte eingehen. Ist dieser grenzenlose, frenetische Rummel um ihre Person also gerechtfertigt? Ja, wenn wir endlich wieder mehr über ihre Musik sprechen.
Vita und Erfolg
Karriere Taylor Swift hat seit ihrem selbstbetitelten Debüt 2006 über 200 Millionen Platten verkauft. Sie ist der meistgestreamte Künstler bei Spotify und der erste Milliardär, der sein Geld mit Musik gemacht hat. Bisher hat sie 14 Grammys gewonnen.
Anfänge Begonnen hat der größte Popstar unserer Zeit mit Country: Schon mit elf singt sie Cover von Dolly Parton, mit 14 ist sie ein aufgehender Star in Nashville. Mit 16 veröffentlicht sie ihr erstes Album. Und bringt eine ganze Generation von Teenagern dazu, Country zu hören.
Tour Im Sommer kommt ihre aktuelle „Eras“-Tour auch nach Deutschland. Sie läuft seit einem guten Jahr und wird bis Ende des Jahres 152 Konzerte auf fünf Kontinenten umfassen. Schon jetzt ist es die erfolgreichste Tour aller Zeiten – und die erste Konzertreise, die mehr als eine Milliarde US-Dollar eingespielt hat.
Album „The Tortured Poets Department“ ist an diesem Freitag, 19. April, bei dem Label Republic Records erschienen.