Alte Pinakothek München: Rachel Ruysch
Teurer als Rembrandt – und doch vergessen
Ihre Bilder waren teurer als die Gemälde von Rembrandt. Die Ausnahmeerscheinung Rachel Ruysch war ein echter Star. Aber lohnt sich die Wiederentdeckung der Stilllebenmalerin?
Von Adrienne Braun
Die Furcht begleitet Frauen bis heute: Sobald das erste Kind auf die Welt kommt, ist es mit der Karriere häufig vorbei. In der Kunst war es in früheren Jahrhunderten sogar unausweichlich – wer als Künstlerin reüssieren wollte, heiratete lieber nicht. Rachel Ruysch scheint diese Sorge nicht gehabt zu haben. 1695 heiratet sie einen Kollegen, der als Porträtmaler tätig war, und bekam zehn Kinder mit ihm – und war trotzdem unglaublich erfolgreich. Rachel Ruysch war eine Ausnahmeerscheinung und offenbar eine echte Powerfrau.
In der Alten Pinakothek in München ist nun, 275 Jahre nach ihrem Tod, die erste große Einzelausstellung der Welt zu sehen – und man kann sich schon ernsthaft fragen: Warum erst jetzt? Schließlich ist Rachel Ruysch keine der vielen Künstlerinnen, die von der Geschichtsschreibung ausgelöscht wurden, weil sie nicht in den großen, wichtigen Ausstellungen vertreten gewesen waren und deshalb auf dem (kapitalistischen) Kunstmarkt keine Rolle gespielt hatten. Die Stillleben von Rachel Ruysch – Stillleben waren die Gattung, die Frauen malen durften – waren begehrt und teurer als die Bilder Rembrandts. Ob in Wien oder Florenz, das halbe aristokratische Europa riss sich förmlich um sie.
Der Kurfürst von Düsseldorf köderte sie mit fantastischen Konditionen: Damit er sich mit der „Kunstheldin“ schmücken konnte, engagierte er sie als Hofmalerin. Die Menschen verdienten damals im Durchschnitt 600 Gulden pro Jahr, sie musste in Düsseldorf nicht vor Ort sein, bekam 1000 Gulden pro Bild – und konnte weiter ihrer Karriere in Amsterdam nachgehen.
Magie der raffinierten Details
Stillleben haben es heute nicht leicht. Aber in der Ausstellung in München springt einen die Magie der Bilder förmlich an. Denn die Blüten, Blätter und Früchte sind bei dieser köstlichen Feinmalerei nicht nur plastisch und raffiniert bis ins Detail ausformuliert, sondern dabei doch leicht und frei.
In der Ausstellung sind auch Stillleben von Zeitgenossen zu sehen – und man sieht sofort den Unterschied: Hier hat einer zwar handwerklich versiert, aber brav und langweilig ein Blütenarrangement abgemalt. In den Motiven von Rachel Ruysch verfängt sich der Blick dagegen unwillkürlich, ihre Arrangement sind dramatischer, zupackender, dynamischer.
So ist diese Münchner Ausstellung auch en passant eine Schule des Sehens und wartet mit einem faszinierenden Vergleich auf. Denn um 1686 malten die 24-jährige Rachel und ihre jüngere Schwester Anna ein- und dasselbe Motiv – und obwohl Anna ihr Handwerk ebenfalls hervorragend verstand, sieht man den Unterschied, weil Rachels Farben strahlender wirken, leuchtender und frischer.
Zeit der Aufklärung
Wer war diese Familie Ruysch? Der Vater war Professor für Botanik und Anatomie und in Amsterdam einerseits städtischer Beauftragter für die Geburtshilfe und leitete andererseits den botanischen Garten. Es war der Beginn der Aufklärung und der Forschergeist der Menschen blühte auf, weshalb in der Münchner Ausstellung auch zoologische und botanische Präparate der Zeit zu sehen sind wie auch Instrumente und Bücher zum Thema.
Durch die Sammlung und das Wissen des Vaters entwickelte Rachel Ruysch einen wissenschaftlich präzisen Blick auf Blütenblätter und Schmetterlingsflügel und war nicht nur mit der heimischen Flora und Fauna vertraut, sondern auch mit exotischen Pflanzen und Insekten aus Kolonien und anderen Regionen der Welt. Auf ihren Gemälden erlaubte sie sich Freiheiten und inszenierte bei aller fotorealistischer Genauigkeit auf der Leinwand gern irrwitzige Kombinationen von Tieren, die in der Realität nicht an einem Ort leben – etwa Vögel und Schlangen. Gern ließ sie auch Blumen verschiedener Jahreszeiten auf ihren Bildern gemeinsam blühen.
Sie verdiente gut – und gewann sogar noch im Lotto
Höchste Zeit, dass die Stillleben von Rachel Ruysch nun endlich in einer so schönen und anregenden Ausstellung gewürdigt werden, denn sie gehören ins Rampenlicht.
Immerhin, zu Lebzeiten war Ruysch das Glück hold. Die Eltern legten Wert auf eine umfassende Bildung der Töchter und schickten sie mit 15 Jahren zu einem Stilllebenmeister in die Lehre. Ende des 17. Jahrhunderts kamen Stillleben auch in Mode, was das Geschäft beflügelte. Das Glück war Rachel Ruysch aber noch auf andere Weise hold. Lotterien waren schon damals beliebt – und das Spiel bescherte ihr 1723 einen stattlichen Lottogewinn von 75 000 Gulden.
Hürden versiert genommen
StilllebenBlumen galten im 17. Jahrhundert als leicht zu malen – im Gegensatz zu Figuren und Akten. Deshalb waren die als wichtig geltenden biblischen und mythologischen Themen den Männern vorbehalten und sollten Frauen sich den unverfänglichen Stillleben widmen.
Ausstellung„Nature into Art. Rachel Ruysch“ ist bis 16. März in der Alten Pinakothek in München zu sehen und Di, Mi von 10 bis 20 Uhr und So – So 10 – 18 Uhr geöffnet. adr