Theater Rietenau: Schwäbischer Humor im Stück „Hurra, wir leben!“
Mit dem Mundartstück „Hurra, wir leben!“ unterhält das Theater Rietenau sein Publikum aufs Beste. Die Geschichte rund um einen Ball im Jahr 1949 lebt von witzigen Dialogen und schwäbischer Alltagsphilosophie vor dem Hintergrund tragischer Kriegsschicksale.
Von Annette Hohnerlein
Aspach. Die Zuschauer erwartete ein zauberhafter Ort: ein ehemaliger Bauernhof am Ortsrand von Rietenau mit einem schönen alten Backsteinhaus und einer Scheune, gesäumt von hohen Bäumen. Den Innenhof des Gebäudeensembles hatten Privatleute den Theatermachern zur Verfügung gestellt. „Der Platz ist wie gemacht für uns“, findet Lea Butsch, die das Stück, das 2022 auf dem Plan steht, geschrieben und mit ihrem Mann Rolf inszeniert hat.
Die Handlung ist schnell erzählt: Die Dorfgemeinschaft von Bad Rietenau stellt im Jahr 1949 einen Gartenball auf die Beine, bei dem einiges schiefläuft. Aber am Ende wird alles gut. Ein Stück aus dem prallen Leben mit Szenen, die sich so in der Nachkriegszeit in jedem beliebigen Dorf in Deutschland abgespielt haben könnten. Der Charme der Tragikomödie resultiert aus dem Zusammenspiel von Humor und ernstem geschichtlichem Hintergrund.
Ein Sammelsurium an schwäbischen Charakterköpfen
Die Akteure präsentieren ihrem Publikum ein Sammelsurium an schwäbischen Charakterköpfen. Da ist zum einen Arthur (Siegfried Mauthe), Vorsitzender des Musikvereins und des Festkomitees, ein schwäbischer Vereinsmeier und Redenschwinger, wie er im Buche steht. Dann seine Frau Susanna (Gabi Gruber), die mit ihrer Lebenslust und Energie alle mitreißt. Oder der maulfaule Ludwig (Rudolf Körner), dem seine Angebetete die Liebeserklärung quasi aus der Nase ziehen muss. Die Dorfhexe Gertrud (Silvia Jilg) ist eine sogenannte „Schwertgosch“ und klaut wie ein Rabe.
Je weiter das Stück fortschreitet, desto klarer wird: Viele Bewohner von Bad Rietenau, wie der Ort damals hieß, haben ein schweres Schicksal zu tragen, der Zweite Weltkrieg ist schließlich erst seit vier Jahren vorbei. Klara (Bärbel Hesser) hat ihren Mann im Krieg verloren und muss nun zusammen mit ihrem Sohn das Leben irgendwie meistern. Marianne (Simone Kirschbaum) darf immerhin noch hoffen, ihr Verlobter ist nicht aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt, sie hat seit fünf Jahren kein Lebenszeichen von ihm.
Der Badwirt Gustav (Fritz Bareiß) hatte einen Posten im Naziregime inne und versucht nun, nicht nur seinen Gasthof, sondern auch sein Image zu renovieren, indem er sich mit unlauteren Mitteln um einen sogenannten Persilschein bemüht. Gertrud erinnert sich an ihr privilegiertes Leben an der Seite ihres Mannes, eines überzeugten Nationalsozialisten. Verbittert erzählt sie, wie sie ihre gesamte Familie sowie ihr Hab und Gut verloren hat.
Die Hoffnung auf bessere Zeiten ist übermächtig
„Die Geschichte handelt von dem Wunsch, wieder ins Leben einzutreten“, kündigte Lea Butsch bei der Begrüßung der rund 180 Zuschauer bei der Premiere an, die, wie auch die beiden folgenden Vorstellungen, ausverkauft war. Das Stück thematisiert zum einen die Schäden, die der Krieg im alltäglichen Leben und in den Seelen der Menschen hinterlassen hat, und auf der anderen Seite ihren unbändigen Willen, sich davon zu befreien. Die Hoffnung auf bessere Zeiten ist übermächtig, es soll wieder aufwärts gehen: „Hurra, wir leben!“
Die Amateurdarsteller verkörpern ihre Rollen absolut glaubwürdig und mit einer sympathischen Lockerheit. Mit ihrer Spielfreude fesseln sie das Publikum von der ersten bis zur letzten Minute. Unter ihnen sind auch fünf Kinder, die teilweise zum ersten Mal Bühnenluft schnuppern dürfen.
Bei über 20 Mitwirkenden ist es für die Zuschauer allerdings manchmal schwierig, den Überblick über die handelnden Personen und ihre Beziehungen untereinander zu behalten. Die stimmige musikalische Begleitung kam von Ulrike Erk, Thomas Weber, Thomas Kirschbaum und Matze Hesser, der auch für die Technik verantwortlich war. Der Heimat- und Kulturverein Rietenau sorgte für die Bewirtung der Gäste.
Die Frauen führen ihre neuen Kleider beim Gartenball vor
In einer Szene gegen Ende des ersten Akts sitzen einige Frauen zusammen und schwätzen über Gott und die Welt. Es gibt Hefezopf, echten Bohnenkaffee („Ahhhhh!“) und ein Gläschen Eierlikör. Kriegerwitwe Klara und Flüchtlingsfrau Rosa (Carina Weirather) schmieden einen Plan: Sie wollen gemeinsam eine Schneiderei gründen. Die Frauen sind begeistert, haben sie doch alle genug von ihren schäbigen, zusammengewürfelten Klamotten. „Wir wollen doch wieder wie Frauen aussehen“, sagt die lebenslustige Susanna. Ein Anlass, um die neuen Kleider vorzuführen, ist auch bald gefunden: ein Gartenball. Dort soll unter den Dorfschönen die Rietenauer Quellenfee gewählt werden, außerdem ist eine Tombola geplant.
Beim Gartenball geht einiges schief
Bei dem großen Ereignis geht allerdings einiges schief: Die Kandidatinnen für die Feenwahl trauen sich nicht auf die Bühne, die Technik spielt verrückt und die verbitterte Gertrud stiehlt heimlich die Tombolapreise. Dennoch ist das Ende des Theaterstücks versöhnlich, drei Paare haben im Lauf des Abends zusammengefunden, darunter Marianne mit ihrem heimgekehrten Verlobten.
Das letzte Wort hat Briefträger Jakob (Rolf Butsch), der das Geschehen immer wieder mit philosophischen Weisheiten kommentiert. „Wunder kannst du halt nicht planen, Wunder passieren“, stellt er fest und beschließt den Abend mit dem unwiderlegbaren schwäbischen Allgemeinplatz: „So isch’s na au.“