Über diese Straße müsst ihr kommen
Die B 14 in Stuttgart ist eine Stadtautobahn, aber auch das ist nur eine Straße – ein Plädoyer für den leichten Schritt zum Kulturquartier
Der Verkehr fließt und stockt auf sechs Spuren? Die Einstufung „Bundesstraße“ sagt „Autos first“? Warum eigentlich? Die B 14 ist auch nur eine Straße, und als Adenauerstraße ist sie vor allem dies: Nahtstelle inmitten eines im besten Sinn öffentlichen Raumes.
Das Bild des Kaninchens, das auf die Schlange starrt, mag abgegriffen sein – und doch trifft es die Situation im Zentrum der Landeshauptstadt Stuttgart recht präzise. Seit vier Jahrzehnten erschreckt man vor der selbst geschaffenen Realität einer erst zur Stadtautobahn entwickelten, dann als solche schockiert bestaunten Bundesstraße 14.
Sechs- bis achtspurig geht es von Ost nach West mitten durch Stuttgart hindurch – als parallele Fortführung zu jenem Ost-West-Schienen-Wall, der für die Gleisführung in den 1912 eröffneten Neuen Hauptbahnhof errichtet werden musste und nicht von ungefähr einer Befestigungsanlage gleicht.
Die Schienenwälle werden im Zuge des Verkehrs- und Infrastrukturprojektes Stuttgart 21 weichen. Und die B 14?
In Planspielen ist sie zur Tunnelröhre geworden, hat man auf ihr gar einen Landtagsneubau platziert, hat man ihr unterschiedliche Ebenen zugedacht und sich mit Tempobeschränkungen bemüht, die Autogemeinde am bloßen Durcheilen zu hindern. Dies alles stets abschnittsweise und zuvorderst zwischen den Eckpunkten Wagenburgtunnel und Charlottenplatz. Ein Gefühl dafür, dass die Cannstatter Straße nicht nur eben dorthin, in Stuttgarts größten Stadtteil Bad Cannstatt, führt, fehlt bei alldem ebenso wie das Bewusstsein dafür, dass das Teilstück Hauptstätter Straße keineswegs ewig eine Stadtwüste sein muss. Erweist sich hier immerhin eine ausgeprägte Bebauung des Stuttgarter Büros Frank Ludwig als Wachmacher, bleibt die Bundesstraße 14 ansonsten ein Fall für das saloppe „hätte, hätte, Fahrradkette“.
Aber warum eigentlich? Die B 14 ist auch nur eine Straße – und auf dem Teilstück Konrad-Adenauer-Straße ist sie vor allem dies: Nahtstelle inmitten eines im besten Sinn öffentlichen Raumes.
Von der Staatsgalerie Stuttgart und dem Architekturensemble von James Stirling, Michael Wilford und Manuel Schupp mit Neuer Staatsgalerie, Kammertheater, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst sowie Haus der Geschichte geht es über das Hauptstaatsarchiv, die Landesbibliothek und das Stadtpalais (Stadtmuseum) weiter zur Erinnerungsstätte Hotel Silber und zum Institut für Auslandsbeziehungen. Es folgen das Landesmuseum Württemberg, das Kunstmuseum Stuttgart und die den Filmfestival-Kalender mitprägende Kino-Phalanx der Mertz-Gruppe in der Bolzstraße.
Noch weiter aber greift das an der Staatsgalerie eröffnete Rechteck hochrangiger Kultureinrichtungen aus – über das Kunstgebäude mit dem diskussionsfreudigen Württembergischen Kunstverein Stuttgart geht es zum Staatstheater-Areal mit Opernhaus und Schauspielhaus sowie zahlreichen Werkstätten und Kulissen-Lagerhallen. Das Stichwort für dieses Rechteck? Heißt Kulturquartier.
Stolz fast zeigt sich die B 14 zwischen Staatstheater-Areal und Staatsgalerie-Areal (als das die Gebäudefolge und deren Durchwegung hinauf bis zur Urbanstraße viel zu selten wahrgenommen wird) in ihrer ganzen Breite. Prompt wurden und werden Stege angedacht, bietet seit Jahrzehnten einzig ein unterirdischer Schlund den Übertritt.
Gehen wir doch aber einfach über die Straße! Mit Fug und Recht darf man die Anstrengungen des früheren SPD-Baubürgermeisters Matthias Hahn, zwischen Bohnenviertel und Marktplatz zwei Übergänge zu schaffen, historisch nennen. Um wie viel größer aber waren seinerzeit die Widerstände, wie weit entfernt war die Debatte um eine Drosselung des Individualverkehrs auch und gerade auf der B 14.
Hahns Vorleistung zeigt, dass dieser Straße, dieser Stadtautobahn keineswegs nur mit Jahrzehntplanungen zu begegnen ist, sondern einfach nur mit der Möglichkeit, sie ebenerdig zu überqueren.
„Jetzt habt ihr die Übergänge, nutzt sie auch“, sagte Matthias Hahn gerne. Eine Aufforderung, mit der er sich – wie schon mit den Übergängen selbst – nicht nur Freunde gemacht hat. Und doch ist es ja richtig: Zusammenhänge (wieder) herzustellen ist das eine, diese Zusammenhänge dann zu leben und damit zu erleben, ist das notwendige andere.
Eröffnet nicht Hahns Engagement vor Jahren gerade inmitten der Debatten über die Verkehrsbelastung Stuttgarts neue Chancen, die B 14 ebenerdig zu überqueren? Und das nicht als ablesbarer politischer Kompromiss in Schmalhans-Ausdehnung, sondern als fühlbare Einladung, hüben und drüben als Teile eines Ganzen zu erleben?
Einen weiten, aber doch zur Adenauerstraße hin abgeschnittenen Platz haben Stirling, Wilford und Schupp zwischen dem Staatsgalerie-Komplex mit dem Kammertheater, der Musikhochschule und dem Haus der Geschichte entwickelt. Ein – zur B 14 hin als Busparkplatz missbrauchtes – Forum eigentlich, das den Blick öffnet die Hänge hinauf. Gegenüber: der „Künstlereingang“ des Opernhauses.
Mit gutem Grund wird über die dort angrenzende erste Fahrspur der B 14 diskutiert. Und die Frage wird umso dringlicher, als klar ist, dass die geplante und per Kabinettsbeschluss von der Landesregierung als „Jahrhundertaufgabe“ identifizierte Generalsanierung des Opernhauses vor 2025 nicht beginnen wird.
Jetzt aber, jetzt kann man deutlich machen, dass die B 14 kein Ungeheuer ist, sondern schlicht eine Straße. Eine Straße, die man auf 15 Meter Breite voller Vorfreude auf das Erlebbare überqueren kann. Genau hier, zwischen dem Stirling-Forum und dem Opernhaus-Eingang, liegt die eigentliche, die signalhafte Verbindungsachse für das Kulturquartier.
Als Gast des in seinen Anstößen bis heute gar nicht hoch genug zu bewertenden Symposions „La Piazza“, im Frühjahr 1988 durch die Universität Stuttgart organisiert, skizzierte der New Yorker Soziologe Richard Sennett die Gefahr, dass der öffentliche Raum nur mehr Bewegungsfläche zwischen einander immer stärker angeglichenen Konsummöglichkeiten werde. Sennett forderte seinerzeit ein Nachdenken über Wegegeflechte als urbane Beziehungsgeflechte.
Nehmen wir doch also Sennett ernst, ebnen wir dem Fußgänger den direkten Weg zwischen den Gedankenwelten der Kunst, der Musik, der Geschichte und den Bühnensprachen von Oper, Ballett und Schauspiel. Die Forderung, groß zu denken, wird in Stuttgart aktuell gerne erhoben. Denken wir also groß – mit einem Übergang, der in seiner Dimension deutlich macht, dass die Bundesstraße 14 keine Schneise ist, sondern als Straße schlicht Teil des Stadtganzen.