Neu im Kino: „Traumnovelle“

Unehrliche Erotik im Luxusdekor

Florian Frerichs siedelt seine Filmversion von Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ über Sex und Neurosen im heutigen Berlin an. Lohnt sich ein Kinobesuch?

In einer Fetisch-Bar trifft Jacob (Nikolai Kinski) Mizzi (Nora Islei

© barnsteiner-film

In einer Fetisch-Bar trifft Jacob (Nikolai Kinski) Mizzi (Nora Islei

Von Kathrin Horster

Europa 1925, ein Pulverfass: Der erste Weltkrieg ist gerade vorbei, die Gesellschaft zerfetzt zwischen Arm und Reich, Links und Rechts. Frauen tragen nun öfters Hosen und Männer manchmal Fummel. In diese Ära datiert ist die erotische „Traumnovelle“ des Wiener Schriftstellers Arthur Schnitzler über die sexuellen Begierden, Träume und Neurosen eines oberflächlich glücklichen Ehepaars, erstveröffentlicht 1925 in einem Modemagazin.

Der Stoff ist bis heute relevant, weil Schnitzler nicht nur von Moralvorstellungen und Eheroutinen verschüttete erotische Bedürfnisse thematisierte, sondern viel mehr noch das Gefühl allgemeiner, existenzieller Verunsicherung. Der Österreicher Wolfgang Glück lieferte 1969 eine aus moderner Sicht sehr brave, betont werktreue TV-Adaption, mit den damaligen Stars Karlheinz Böhm und Erika Pluhar.

Kleines Budget, sterile Kulisse

Stanley Kubrick verfilmte die Novelle kurz vor seinem Tod 1999 mit dem Ehepaar Nicole Kidman und Tom Cruise unterm Titel „Eyes Wide Shut“ als somnambul erotischen Trip durch New York mit wenigen Abweichungen vom Original, aber wesentlich expliziter. Nun versucht sich Florian Frerichs an Schnitzlers Wucht; mit kleinem Budget und versetzt ins moderne Berlin, das vor hundert Jahren mit seinen Bars, Varietés und Puffs eine reizvolle Kulisse abgegeben hätte.

Die gegenwärtige Metropole wirkt in Frerichs Film dagegen abweisend steril. Hier lebt der Arzt Jakob (Nikolai Kinski) mit seiner Frau Amelia (Laurine Price) und dem gemeinsamen Sohn im „Schöner-Wohnen-“Dekor eines tot sanierten Altbaus. Nach dem Besuch einer Erotik-Disko redet das Paar über sexuelle Fantasien, als die Nachricht vom Notfall eines Patienten Jakob aus der Wohnung treibt. Eine Nacht und den folgenden Tag lang folgt der Film Jakob durch die Straßen; vorbei an pöbelnden Nachtschwärmern, mit denen sich der Arzt in einem narzisstischen Wachtraum einen Kampf auf Leben und Tod liefert, weiter in ein Bordell, wo der treue Gatte vorm Sex mit der Hure Mitzi kneift, bis zur Klimax beim geheimen Swinger-Event, wo Jakob nicht nur die eigene Existenz, sondern auch das Leben seines Freundes Nick Nachtigall und einer mysteriösen Fremden aufs Spiel setzt.

Leere Szene ohne authentische Erotik

Florian Frerichs klebt wie einst Wolfgang Glück eng am Text und erlaubt sich nur wenige, plump zeitgeistige Abweichungen, etwa, wenn Jakob den Vibrator einer Unbekannten vom Handy aus in orgasmische Höhen pegelt oder in der Zeitung vom Drogentod eines Only-Fans-Models liest. Die teils teuer wirkende Ausstattung lässt das geringe Budget manchmal üppiger erscheinen, die in der Disko-Szene oder beim Swinger-Event spärlich besetzte Statisterie tut sich allerdings schwer, die leeren Szenen mit authentischer Erotik aufzuladen.

Blutarm wirkt auch die deutsche Synchronisation der offensichtlich englischen Ursprungs-Dialoge, was schade ist, weil schon die heiße, ehrlich verzweifelte Angst des umher irrenden Protagonisten gereicht hätte, um die nach wie vor reizvoll beunruhigende Geschichte zu tragen.

Traumnovelle. Deutschland 2024. Regie: Florian Frerichs. Mit Nikolai Kinski, Laurine Price. 109 Minuten. Ab 16 Jahren. Start: 16.1. 2025

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Erstellt:
16. Januar 2025, 10:19 Uhr

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