Vor mehr als 100 Jahren in der Backnanger Marktstraße

Die Ausstellung „Die untere Marktstraße in historischen Fotografien“ im Backnanger Helferhaus von Peter Wolf zeigt, wie es in der Straße früher aussah. Der studierte Fotodesigner hat wie immer interessantes altes Bildmaterial zusammengetragen.

In seiner neuen Ausstellung zeigt Peter Wolf, wie die untere Marktstraße früher ausgesehen hat. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

In seiner neuen Ausstellung zeigt Peter Wolf, wie die untere Marktstraße früher ausgesehen hat. Foto: Alexander Becher

Von Klaus J. Loderer

Backnang. Irgendwie sieht der untere Teil der Backnanger Marktstraße immer noch aus wie früher – zumindest auf der einen Seite. Das Zickzack der Giebelhäuser steigt den Hügel hinauf. Die andere Seite hat sich schwer verändert. Auch da standen einmal Giebelhäuser. Wie es dort früher aussah, kann man bis zum 25. Juni in einer Ausstellung im Helferhaus betrachten. Peter Wolf, der seit einigen Jahren dem früheren Aussehen Backnangs nachspürt, hat sich nun mit der Marktstraße beschäftigt, deren unteres Stück im Volksmund Totengasse genannt wurde. Dieser makaber klingende Name rührt einfach daher, dass es durch sie zum Friedhof ging. Dieser war bis zur Anlage des Stadtfriedhofs in der Mitte des 19. Jahrhunderts an der Sulzbacher Straße beim sogenannten Totenkirchle. Dass das AOK-Gebäude ausgerechnet auf dem Gelände des ehemaligen Friedhofs gebaut wurde, ist eine andere Geschichte.

Überraschungen sogar für Backnang-Kenner

Peter Wolf hat wie immer interessantes altes Bildmaterial zusammengetragen, das zum Teil aus dem Stadtarchiv, zum Teil aus privaten Sammlungen stammt. Die Fotos können sogar bei Backnang-Kennern für Überraschungen sorgen. Die neueren Fotos stammen aus dem Bildarchiv der Backnanger Kreiszeitung und dokumentieren den Wandel der unteren Marktstraße ab den 1960er-Jahren. Genauer gesagt zeigen sie die Abbruchmaßnahmen. Nacheinander fielen die alten Fachwerkhäuser. Sichtbetongebäude entstanden. Gerade durch diese Fotos aus den 1960er- und 1970er-Jahren, die jetzt auch schon wieder in die Jahre gekommene Neubauten zeigen, kann man sich rückwärts durch das Bildmaterial vortasten. Da steht dann schon ein Teil des Burgel-Gebäudes, aber daneben ist noch das Gasthaus zum Bären zu sehen, das schon bald dem zweiten Teil des Radiogeschäfts weichen musste.

Das Gasthaus Löwen, das heute noch steht, hat eine lange Geschichte. Repros: Peter Wolf

© Peter Wolf

Das Gasthaus Löwen, das heute noch steht, hat eine lange Geschichte. Repros: Peter Wolf

Vom „Bären“ zeigt die Ausstellung auch noch ein Original, nämlich das historische Wirtshausschild. Das hing noch viele Jahre in der Eingangshalle des Helferhauses, bis es auf dessen Dachboden verschwand. Es wurde wohl 1919 angefertigt, als der Metzger August Schneider die Schankwirtschaft übernahm und ihr den Namen Bären gab. Jetzt ist es wieder zu sehen. Markante Elemente des Schilds sind neben dem Bären die Girlanden aus Würsten und der Schlachtblock mit einem Beil. Auf einem Bild aus der Zeit um 1900 haben sich Gaststättenbetreiber für den Fotografen aufgestellt. Drei Lehrbuben sind dabei, ein Metzger, eine Frau und vielleicht handelt es sich bei dem Herrn im schwarzen Anzug um August Müller, den damaligen Wirt.

Direkt neben dem „Bären“ war die Gaststätte zum Falken. Dieses Haus wurde schon in den 1930er-Jahren abgerissen. Man kann sich an der Stelle heute kaum mehr vorstellen, dass dort ein Haus stand. Ziemlich eng muss die Marktstraße an der Stelle gewesen sein. Stünde es noch, würde der Linienbus nicht durchpassen.

Abgesehen vom noch existierenden „Löwen“ gab es in der Marktstraße gastronomisch noch das Hotel Post. Von diesem kann Peter Wolf sogar eine Innenansicht des Restaurants zeigen. Über Jahre durch das Remmele-Geschäft bekannt, wurde es im 17. Jahrhundert als Gasthof Lamm erbaut. Ab 1811 war an der Stelle tatsächlich die Postkutschenstation. Das Haus steht noch, auch wenn der historische Bau heute auf Betonstützen schwebt.

In der Spaltgasse gab es nicht einmal Hausnummern

Ziemlich eng ging es auch am unteren Ende der Marktstraße zu. Da stand noch das Haus des Schlossers Stierle. Nach dem Abbruch Anfang des 20. Jahrhunderts wurde ein kleines Gärtchen angelegt. Auf einem Foto sieht man einen Springbrunnen darin. Das benachbarte Haus, durch das Schuhgeschäft Kutteroff bekannt, erhielt erst damals den Erker. Auf einem anderen Foto kann man den Arbeitern beim Bau der Sulzbacher Brücke zuschauen.

In der Vitrine hat Peter Wolf einige Fotos untergebracht, bei denen selbst er, als guter Kenner Alt-Backnangs, Probleme mit der Zuordnung hatte. Da ging es um die beiden Spaltgassen. Von der unteren Spaltgasse ist heute nichts mehr übrig – abgesehen davon, dass sie tatsächlich noch als Durchgang von der Marktstraße zur Uhlandstraße existiert. Peter Wolf weist darauf hin, dass dieses Gässchen so kurz gewesen sei, dass es noch nicht einmal Hausnummern besaß. Mit der oberen Spaltgasse haben es die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung etwas leichter, weil sie noch existiert und weil Peter Wolf in mehreren Fotos die Entwicklung von der gepflasterten Gasse bis zur heutigen Treppenanlage zeigt.

Die Schlosserei Stierle um 1900. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Haus abgerissen.

© Peter Wolf

Die Schlosserei Stierle um 1900. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Haus abgerissen.

Neben dem Wandel der Gebäude kann man auf den Fotos auch auf Spurensuche zu den Läden gehen. Dadurch, dass einige neuere Fotos dabei sind, werden sicher viele in Kindheitserinnerungen schwelgen können. Die Fotos sind so vergrößert, dass man die Laden- und Werbeschilder lesen kann. Viele Namen sind längst Geschichte, aber nicht alle. Das Uhrenhaus Bauer existiert noch immer. Gegenüber war auch schon früher ein Zigarren- und Zeitschriftenladen.

Auf einer stark vergrößerten Postkarte kann man lesen: „Die Stätte meiner Tätigkeit“. Im Haus Spaltgasse 4 war früher das Wäschegeschäft Reichenecker, das von Paul Dinkelacker übernommen wurde. Auf einem viel späteren Foto entdeckt man über der Ladentür „Albrecht“. Dort war tatsächlich der erste Aldi in Backnang. Doch was hat es mit der von Hand auf die Postkarte geschriebenen Bemerkung auf sich? Peter Wolf zeigt die Rückseite. Der Absender der 1913 an einen Pfarrer in Stuttgart geschriebenen Postkarte war ein gewisser Adolf, der bei Dinkelacker „die lieben Kunden mit schönen Rechnungen beehren“ durfte.

Ausstellung Die Fotografien sind bis zum 25. Juni im Helferhaus zu sehen. Das Helferhaus ist dienstags bis freitags von 17 bis 19 Uhr sowie samstags und sonntags von 14 bis 19 Uhr geöffnet.

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Erstellt:
3. April 2023, 06:00 Uhr

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