Vorurteile werden in Stücke gerissen

Ausstellung in der Galerie der Stadt Backnang mit Werken von Singarum J. Moodley und Neo I. Matloga

Arbeit von Neo I. Matloga aus dem Jahr 2021 (Collage, Kohle und Tusche auf Leinwand) in der Galerie der Stadt Backnang. Fotos: A. Becher

© Alexander Becher

Arbeit von Neo I. Matloga aus dem Jahr 2021 (Collage, Kohle und Tusche auf Leinwand) in der Galerie der Stadt Backnang. Fotos: A. Becher

Von Ingrid Knack

Backnang. Die Ausstellung „Ersehnte Nähe“ in der Galerie der Stadt Backnang ist etwas ganz Besonderes: Die Arbeiten zweier Künstler, die sich nie getroffen haben, stehen nebeneinander, der Jüngere bezieht sich auf den Älteren, nimmt den Faden auf und spinnt ihn weiter.

Da ist einerseits der Fotograf Singarum „Kitty“ Jeevaruthnam Moodley (1922 bis 1987), der ab 1957 Black People in seinem Studio in Pietermaritzburg in Südafrika fotografierte. Kitty’s Studio wurde zu einem Rückzugsort für Menschen, die sich mit der Anti-Apartheids-Bewegung identifizierten.

27 Fotografien aus den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts sind in der Backnanger Ausstellung zu sehen, auf denen die Porträtierten mal traditionell gekleidet, ein anderes Mal ziemlich schräg verkleidet, selten in (seh-)gewohnter Haltung und Umgebung posieren. Das Studio schien in jener Zeit eine Art Freiraum gewesen zu sein, der es auch ermöglichte, das jeweilige Selbstbild auf die Spitze zu treiben. Die Porträts sind keine Artefakte des Widerstands, sondern spiegeln nach den Worten des Backnanger Galerieleiters Martin Schick Sehnsucht, Stolz und Verspieltheit der Porträtierten zwischen traditioneller Stammes- und westlicher Popkultur.

Aufgewachsen mit der Hoffnung auf eine demokratische Zukunft

Andererseits ist da der 1993 geborene Neo Image Matloga, der in Südafrika in der Zeit nach der Apartheid und mit der Hoffnung auf eine demokratische Zukunft aufwuchs und nun in Amsterdam lebt. In seinen Collage-Malereien beschäftigt er sich mit Themen wie Freiheit, Toleranz und Diversität. Dass Arbeiten beider Künstler zusammen zu sehen sind, ist der Berliner Kuratorin Wiebke Hahn zu verdanken, erzählt Matloga, der zurzeit in Südafrika weilt, bei einem Zoom-Meeting mit Martin Schick und Pressevertretern. „Sie dachte an einen interessanten Dialog zwischen mir und Herrn Moodly’s Arbeit.“ Die Arbeiten des Fotografen kannte Matloga zunächst nur aus dem Internet. Doch er fand Gefallen an dem Vorschlag Hahns. So kam dann die Ausstellung „Ersehnte Nähe“ im Marta Herford, dem Museum für zeitgenössische Kunst, Architektur und Design in Herford zustande. Die nächste Station ist nun Backnang.

Neo I. Matloga entwickelt die Idee Moodley’s weiter. Seine Figuren leben im Jetzt, er setzt die „vielschichtige Erzählung über Freiheit und Selbstbestimmung“ fort, wie sich Hahn in einem Aufsatz zu den beiden Künstlern ausdrückt. In den collagierten Malereien erschaffe er Szenerien und Charaktere fern konventioneller Konzepte von Identität und Geschlecht. Für seine Figuren verwendet er nicht nur Tusche und Kohle, sondern auch Zeitschriften und Fotografien oder Bilder aus dem Familienalbum, die er in Stücke reißt, wie er verrät. So gelingt ihm eine Wirkung, die es in sich hat, die einen anfasst, während man von den Figuren taxiert wird, die ziemlich grob so hingebogen werden, wie es dem Künstler gefällt. Wiebke Hahn schreibt in diesem Zusammenhang: „In der Praxis der Collage reißt Matloga die diskriminierenden Vorurteile in Stücke und zerlegt damit die Konstruktionsmechanismen des Schauens in ihre einzelnen Bestandteile.“

Das größte Gemälde, das jemals im gotischen Chor der Galerie zu sehen war, ist Matlogas drei mal sechs Meter großes Bild „Sontaga“ (deutsch: Sonntag) aus dem Jahr 2021. Es stellt laut einer Beschreibung des Herforder Museums auf den ersten Blick eine alltägliche Situation vor oder nach dem sonntäglichen Kirchgang dar. „Beim genaueren Hinsehen wird die kleine Menschenansammlung durch einen Zaun in zwei Gruppen gespalten, wodurch der heiter wirkenden Stimmung etwas Schwermütiges anlastet. Es ist zudem der völlige Verzicht auf Farbe, der die positive Stimmung zu verdüstern scheint.“ Oft spricht Matloga im Zoom-Meeting von Spaß und Menschlichkeit, die er ausdrücken möchte. Da sind aber auch die Geister der Vergangenheit, die noch nicht ganz aus der Welt und den Bildern vertrieben worden sind. Hahn: „Seine Erinnerungen verarbeitet er zu komplexen Bilderzählungen, die einerseits von Toleranz und Freigeistigkeit handeln, andererseits von Andeutungen der Repression durchzogen sind: Kleidungsstücke, wie sie die Aktivistinnen und Aktivsten aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegung trugen, Möbel im Kolonialstil oder bekannte Bürgerrechtler wie Steve Biko oder James Baldwin, deren Identitäten in den zerstückelten Bildnissen jedoch wohl nur von wenigen identifiziert werden können.“ Die Betonmauern, die während der Apartheid die zugeteilten Wohneinheiten in den Homelands gliederten und bis heute als ein Relikt der Unterdrückung die urbane Struktur prägen, habe Matloga als Reproduktion in das Museum beziehungsweise die Galerieräume gebracht.

Die Titel der Bilder hat der Künstler in seiner Muttersprache Sepedi, die als indigene Sprache lange nicht offiziell anerkannt wurde, verfasst. So heißt eine Installation „Tee e tala“ (Grüner Tee). Sie stellt ihrerseits eine Besonderheit dar. Das mehrteilige Bild ist im Erdgeschoss der Galerie über Eck gehängt, davor stehen ein gedeckter Tisch und Stühle. So wird das Werk dreidimensional in den Galerieraum erweitert. Es ist nun an den Kunstfreunden, die Einladung zum Tee anzunehmen. Sicher ist: Matloga ist ein inspirierender Gastgeber.

Moodleys Aufnahme eines knienden Mannes in traditioneller Kleidung.

© Alexander Becher

Moodleys Aufnahme eines knienden Mannes in traditioneller Kleidung.

Neo Image Matloga beim Zoom-Meeting. Er befindet sich derzeit in Südafrika.

© Alexander Becher

Neo Image Matloga beim Zoom-Meeting. Er befindet sich derzeit in Südafrika.

Heute ist Vernissage

Fotografien und Collage-Malereien Arbeiten zweier südafrikanischer Künstler unterschiedlicher Generationen, Singarum „Kitty“ Jeevaruthnam Moodley (1922 bis 1987) und Neo I. Matloga (geboren 1993), sind von 25. Februar bis 30. April in der Galerie der Stadt Backnang zu sehen. Zur Eröffnung der Ausstellung „Ersehnte Nähe / We just want to be closer“ mit Fotografien und Collage-Malereien am heutigen Freitag, 25. Februar, um 20 Uhr in der Galerie der Stadt Backnang, Petrus-Jacobi-Weg 1, sind alle Interessierten eingeladen. Stadträtin Ute Ulfert, Erste ehrenamtliche Stellvertreterin des Oberbürgermeisters, hält ein Grußwort. Galerieleiter Martin Schick führt in die Ausstellung ein. Am Eröffnungstag ist die Galerie bereits ab 17 Uhr geöffnet.

Begleitprogramm Museumspädagogik

Samstag, 12. März, 10 bis 13 Uhr, „Du und ich“, Malen und Collagieren, Kunstaktion für Kinder von sechs bis elf Jahren, mit Hannah Gossel, Anmeldung bis 9. März. Sowie: Samstag, 2. April, 10 bis 13 Uhr, „Identities – Experimente mit Pinsel und Schere“, Kunstworkshop für Jugendliche, Anmeldung bis 30. März unter 07191/894-477 oder per E-Mail an galerie-der-stadt@backnang.de.

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Erstellt:
25. Februar 2022, 06:00 Uhr

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