Wortgewaltiger Florian Schroeder beim Murrhardter Sommerpalast

Vom Wunsch des zertifizierten Opferdaseins: Zum Auftakt des Murrhardter Sommerpalasts kämpft sich Florian Schroeder wortgewaltig und temporeich durch aktuelle Themen und Milieus. Parteien bekommen genauso ihr Fett weg wie Wähler oder berufsbeleidigte Zeitgenossen und Lastenradberserker. Das Publikum dankt es ihm.

Kabarettist Florian Schroeder läuft im Sommerpalast zur Hochform auf. Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Kabarettist Florian Schroeder läuft im Sommerpalast zur Hochform auf. Foto: Stefan Bossow

Von Heidrun Gehrke

Murrhardt. Florian Schroeder sinniert in seinem neuen Programm über Habeck, Klimakleber, soziale Medien, über die Last der Privilegierten auf Lastenfahrrädern, Freibadprügler, die AfD, die „Energiestasi“ der Grünen und er packt in seinen mehr als zweistündigen sprudeligen Gedankenfluss noch viel mehr rein. In einem Tempo, dass man sich beim Zuhören fragt: Wann holt der Kerl eigentlich mal zwischendurch Luft?

350 Zuschauer beklatschen und feiern den Kabarettisten beim Eröffnungsabend im Zelt des Murrhardter Sommerpalasts. Warum reden eigentlich alle über Freibadprügler und nur selten über das, was ihr Verhalten „vielleicht ein Stück weit erklärbar“ macht? „Was du da zu sehen bekommst, da wünschst du dir teilweise die Vollverschleierung.“ Es ist an der Zeit für den ultimativen Neustart. Florian Schroeder leitet ihn ein: Sein neues Programm unter dem Titel „Neustart“ begräbt so ziemlich alles, was in Deutschland gerade passiert, sich bewegt oder eben auch stillsteht – vielmehr festklebt. Die Fridays for Future fand er ja noch gut, wie auch die Friedensbewegung, weil da noch etwas in Bewegung sei. „Selbst die Honks von den Coronaleugnern sind noch spazieren gegangen.“

Das eigene schlechte Gewissen

Aber die Protestform der Festkleberei sei total daneben. Das sagt einer, der sich selbst als „der beste Grünen-Wähler“ sieht. „Denn ich bin weiß, reich und privilegiert und ich habe ein wahnsinnig schlechtes Gewissen, dass es mir so gut geht.“ Er würde gern was abgeben von seinem Vermögen an die, die unter ihm im dunklen Erdgeschoss leben. „Aber die Grünen haben die Vermögenssteuer leider nicht durchgekriegt.“ Im Programm seiner eigenen „Neustart“-Partei habe darum die Erhöhung der Reichensteuer Priorität eins. Auch wenn er jetzt schon die gerümpften Nasen seiner Freunde Timo und Sarah vor dem geistigen Auge sehen kann. Die jammern ja jetzt schon über das neue Elterngeld. „Es ist richtig schlimm für sie, dass es ab 150000 Euro Jahresverdienst nichts mehr geben soll“, sagt er mit betont bitterem Unterton. Aber, was will man machen: „Der Staat macht einen so arm, dass man nur noch zum Verbrecher werden kann.“ So weit müsse man aber nicht gehen. Er sehe sich da eher als „Einmannlichterkette in der Krise“.

Alles kriselt vor sich hin: das Klima, Krieg, Inflation. Dazu wählt jeder Fünfte die AfD. Auch hier zeigt Florian Schroeder klare Kante: Das Schwierige an der Freiheit ist nicht, dass der Wähler eine solche Partei wählen kann, sondern dass er die Verantwortung für die Wahl übernehmen muss. Schuld am Erfolg der AfD sind nicht die Grünen, sondern die Wähler. „Sie sind bereit, eine Partei zu wählen, die ein nationalistisches Parteiprogramm und einen Herrn Höcke beheimatet.“

„Mit diesen Öko-SUVs kannst du wie eine gesengte Sau fahren“

Überhaupt scheint die Menschheit nur noch aus Opfern und „Woken“ (Menschen, die sich sozialer und politischer Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen bewusst sind) zu bestehen. Die einen seien immer gleich beleidigt, weil sie „hier nichts mehr sagen dürfen“. Die anderen wittern mit ihrem „Woke-Terror“ überall Sexismus und Rassismus. Schroeders Analyse: Sie sind vom „Emanzipationsparadoxon“ befallen. „Beide wollen nicht raus aus ihrer Opferrolle, sondern sie wollen jemanden, der ihnen ermöglicht, zertifiziert Opfer zu sein.“ Und es gibt sogar ein Gesicht für diese Haltung des Schmerzes und Opferdaseins: Robert Habeck. „Er sieht immer aus wie ein Robbenbaby kurz vor der Keulung“, frotzelt Schroeder und ahmt verblüffend echt den Sprachsound des Wirtschaftsministers nach. Sentimentalität und Ignoranz – die Schäden unserer Zeit. Wer holt uns hier raus? Wer könnte nun der neue Messias sein? Sicher nicht die „woken“ Menschen: Die fahren mit dem Auto in die Ferien, meinen aber, es sei okay, weil sie ja mit dem „richtigen Bewusstsein“ das Auto nutzen und wissen, „dass es falsch ist, Auto zu fahren“.

Oder seine Freunde Timo und Sarah, die ihre Kinder mit dem Lastenfahrrad in die Elterninitiativkita („das ist eine Kita, in der Eltern mehr Zeit verbringen als Kinder“) fahren. „Mit diesen Öko-SUVs kannst du wie eine gesengte Sau fahren, aber immer mit gutem Gewissen.“ Sarah hingegen sei „total politisch“ auf der Überholspur – auf Social Media festigt sie mit jedem Post und Klick auf Like und Share ihren Ruf als „Pseudo-Opinionleaderin“. Das seien „Leute, die zu viel Tagesfreizeit haben und sich ständig verbal verprügeln, wie die Freibadprügler, nur eben im Freischwimmbecken des Internets“. Schlimmer ist für Schroeder nur noch Facebook. „Wenn ich ‚teilen‘ nur schon höre, das bedeutet eigentlich, dass man hinterher weniger hat.“

Das Publikum ist begeistert

Etwas weniger wäre zum Beispiel gut in Bezug auf die Geschwindigkeit auf deutschen Autobahnen. Sein Plädoyer fürs Tempolimit erntet Spontanapplaus. Ebenso die selbstironische Pointe: „Ich bin total fürs Tempolimit, aber nur tagsüber, weil nachts fahre ja ich.“ Jubel, Rufe, Klatschen, Pfiffe im Zelt; wo Schroeder ist, ist Leben in der Hütte.

Er trifft die Themen der Zeit, stellt Einigkeit mit dem Publikum her, wenn er sich mit gewetzter, scharfer Zunge, gehörig Schalk im Nacken, bitterbösem Humor, hintersinniger Lästerei und einer ungebändigten Sprechenergie durch die komplizierte Welt kämpft. Er wüsste ja selbst zu gern, was noch stimmt, woran man glauben, sich festhalten kann unter dem zunehmenden Druck, unter dem alle stehen. Wenn jeder nur noch in seiner heilen Welt des Gartens hinterm Grill sein Dasein fristet, wer kümmert sich dann um drängende Weltprobleme? Olaf Scholz wohl kaum. „Der ist nicht bereit, den Mund aufzumachen und die Reden zu halten, die angesichts der Herausforderungen der heutigen Zeit mehr als nötig wären.“ Im ersten Teil hat er angekündigt, den Messias zu finden, nach der Pause müsse er ihn nun liefern. Seine Vorschläge: Heidi Klum, Helene Fischer und Herbert Grönemeyer, deren Stimmen und Sprachmelodie er perfekt nachzuahmen weiß. Neben aller rhetorischer Brillanz und allem Wortwitz läuft Schroeder auch als Stimmenklon zu Höchstformen auf.

Bewundernswert ist sein Maß an Zuspitzung, das mit Tabus bricht, doch eine gewisse Anstandsgrenze nicht überschreitet. Auch als er übers Kabarett als „evangelischen Kirchentag der Unterhaltungsindustrie“ wettert und seinen „Neustart“ als Politiker mit Kanzlerambitionen und damit das Ende der „schlechtesten Regierung, die wir je hatten“ bekannt gibt, wahrt er die Balance. Zustimmender Jubel im Publikum zeigt, dass er den Ton trifft oder die „Bestätigungsbubble“ bedient: Als Kabarettist trete er vor Leuten auf, „die alles sowieso schon wissen und es nur hören wollen von einem, der das vielleicht etwas besser formulieren kann als sie selbst“. Ihn ziehe es weg von den bereits „Bekehrten“ in eine Region, in der noch nicht so viele Menschen missioniert sind. In den Bundestag etwa.

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Erstellt:
21. Juli 2023, 16:00 Uhr

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