112 Ärzte gegen den Rest
Fachwelt hält Vorstoß von Lungenärzten für unbegründet
Grenzwerte - Der Mediziner Dieter Köhler und seine Mitstreiter stoßen in der Fachwelt auf breite Ablehnung.
Karlsruhe Eines haben der Lungenarzt Dieter Köhler und die Unterzeichner seiner „Stellungnahme“ auf jeden Fall erreicht: Auch in der Bundesregierung wird jetzt darüber diskutiert, ob der EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft wissenschaftlich ausreichend begründet ist – was Köhler und Kollegen medienwirksam bezweifeln.Die Reaktionen der wissenschaftlichen Fachwelt auf den Vorstoß des Mediziners sind aber eindeutig. So kritisiert etwa der Vizechef des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts, Nino Künzli, dass weder Köhler noch die anderen Autoren des Papiers selbst zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Luftschadstoffen geforscht hätten. Ihnen fehle „die Einsicht über die Grenzen der eigenen Kompetenzen“, so Künzli.
Einige Unterzeichner haben nicht einmal einen medizinischen Hintergrund. Dazu zählt Wolfgang Koch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Der Ingenieurwissenschaftler ist Experte für Verbrennungsmotoren und hat zehn Jahre lang bei Daimler in der Dieselmotoren-Entwicklung gearbeitet. Auch Matthias Klingner, Chef des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme in Dresden, ist kein Mediziner, sondern Informatiker und Kybernetiker. Zahlenmäßig stellen die Grenzwert-Skeptiker ohnehin isoliert da. Von den rund 4000 Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) haben nur etwa hundert Köhlers Aufruf unterzeichnet. Der größte Fachverband von Lungenärzten in Deutschland hatte erst im November in einem Papier die gesundheitlichen Risiken von Luftschadstoffen klar herausgestellt.
Christian Witt von der Berliner Charité verweist darauf, dass Luftschadstoffe zu den bestuntersuchten Substanzen gehörten. Ihre schädliche Wirkung werde durch rund 70 000 wissenschaftliche Publikationen belegt. „Die Ansicht der Autoren (von Köhlers Papier, d. Red.), dass es keine wissenschaftliche Rechtfertigung für die derzeitigen Grenzwerte für Luftverschmutzung gibt, kann im Angesicht der überwältigenden wissenschaftlichen Evidenz nicht bestehen“, sagt auch Jonathan Grigg, Professor für pädiatrische Atmungs- und Umweltmedizin an der University of London. Es sei „besonders enttäuschend“, dass die Kritik an den Grenzwerten von einer Gruppe von Ärzten stamme.