Aktionstag der IG Metall
25 000 Metaller kämpfen in Stuttgart für die Zukunft der Industrie
81 000 Industriebeschäftigte folgen dem Aufruf von IG Metall und Chemiegewerkschaft zum bundesweiten Aktionstag – die größte Kundgebung findet mit 25 000 Teilnehmern in Stuttgart statt. Max Herre offenbart sich ihnen als IG-Metall-Fan.

© /Lichtgut/Ferdinando Iannone
Auf dem Schlossplatz in Stuttgart bietet sich während der Kundgebung ein spektakuläres Bild.
Von Matthias Schiermeyer
Eine Delegiertenversammlung der IG Metall in Stuttgart, so heißt es, soll im Herbst 2024 der Ursprungsort eines großen Aktionstags der Industriegewerkschaften gewesen sein. An diesem Samstagmittag zeigt sich an fünf Standorten bundesweit das aufsehenerregende Ergebnis: Ca. 81 000 Beschäftigte sind nach Veranstalterangaben dem Aufruf gefolgt. Allein in Stuttgart füllen 25 000 IG-Metaller und Mitglieder der Chemiegewerkschaft aus Baden-Württemberg sowie Bayern den Schlossplatz.
„Wenn ich daheim im Wohnzimmer sitze, passiert nichts“
Es ist ein Megaevent, das in diesem Format wohl nur die IG Metall auf die Beine stellt. Auf der großen Bühne vor dem Neuen Schloss wird eine bunte Show aus Politik und Musik geboten – symbolhaft beginnend um „fünf vor zwölf“. Schon am frühen Morgen sind viele Metaller in den Bus gestiegen – um drei Uhr in Passau oder um sieben Uhr in Bamberg, wo ein Dutzend Busse abgefahren sei, wie drei Bosch-Beschäftigte berichten. Warum sie das auf sich nehmen? „Wir müssen Flagge zeigen“, sagt einer von ihnen. „Wenn ich daheim im Wohnzimmer sitze, passiert nichts.“ Wie so vielerorts sehen auch sie ihre Jobs unter massivem Druck. „Wir brauchen die Arbeitsplätze in Bamberg auch noch für unsere Kinder“, betonen sie.
„Jetzt müssen wir kämpfen – es geht um die Zukunft“, mahnt folgerichtig Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende, auf der Bühne. Zukunft ist wohl der meistverwendete Begriffe an diesem Mittag. Kerner lobt daher die angehende Koalition aus Union und SPD, die Hunderte Milliarden neue Schulden machen will: „Endlich ist die Investitionsbremse gelöst – seit Jahren fordern wir, dass mehr investiert wird.“ Nicht irgendwann, jetzt müsse dies passieren. „Handelt schnell, vor der Sommerpause müssen die Zeichen in den Betrieben ankommen“, mahnt er. In einigen Bereichen sei es schon fünf nach zwölf. „Wir haben bereits Tausende Arbeitsplätze verloren.“ Jeden Tag gebe es Horrormeldungen von Stellenabbau, Verlagerungen, Standortschließungen. Da könne man sich „keine Hängepartie leisten“.
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Die 100 Milliarden Euro für den Klimafonds quasi schon verbucht
Dank zollt der Gewerkschaftsvize den Grünen, „dass Ihr auch Verantwortung für unsere Arbeitsplätze übernommen habt“. Die 100 Milliarden Euro, „die jetzt in den Klimafonds gehen, können wir für unsere Industrie nutzen“. Insgesamt warnt er die angehenden Koalitionäre: „Verteilt das Geld nicht mit der Gießkanne, sondern gezielt für unsere Arbeitsplätze.“ Beispielsweise müssten die hohen Energiekosten gesenkt werden. „Für Stahl, Chemie, Aluminium geht es ums nackte Überleben – allein in diesen Branchen stehen vier Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel.“ Zudem hingen an ihnen der Maschinenbau sowie die Automobil- und Zuliefererindustrie, die von der Politik unbedingt stabilisiert werden müssten.
Eindringliche Appelle richtet Kerner auch gegen die „lieben Arbeitgeber“: „Wir erwarten, dass ihr investiert und euch zu den Belegschaften bekennt.“ Nicht gebraucht würden „Frühstücksdirektoren, sondern Vorstände und Geschäftsführer, die Mumm haben und in die Standorte investieren“, betont er. „Die Arbeitgeber, die sich verpissen, weil es woanders billiger ist, kriegen unseren Widerstand.“ Klar müsse sein: Wenn ein Unternehmen vom Staat unterstützt wird, darf es keinen Personalabbau betreiben und keine Löhne drücken.
Max Herre und Joy Denalane als musikalischer Top-Act
Im Verlaufe der zweistündigen Kundgebung wird mit Liveübertragungen von den anderen vier Standorten eine „Mega-La-Ola-Welle“ durch die Republik geschickt. Da ist die Stimmung auf dem Höhepunkt angelangt. Auch Betriebsratsvorsitzende wie Ergun Lümali zu Wort: „Wir haben bei Mercedes vereinbart, was die Politik nicht hinbekommt: Perspektive und Sicherheit“, sagt er mit Blick auf die „Zusi 2035“, also den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis ins Jahr 2035. Und Frank Sell, der Amtskollege von Bosch, muntert auf: „Es lohnt sich, noch härter dafür zu arbeiten, dass die Arbeitsplätze in Deutschland bleiben.“
Das große Finale bestreiten die populären Künstler Max Herre und Joy Denalane. „Gewerkschaften und die IG Metall sind immer die Orte, an denen Solidarität gelebt wird“, sagt Herre. Es werde nicht unterschieden nach Arbeitern und Angestellten, nach Migranten und Biodeutschen. „So muss es bleiben!“ Noch bevor das letzte Lied verklingt, macht sich ein großer Teil der IG-Metaller wieder auf den teils langen Heimweg – zunächst auf den Weg zum Wasen etwa, wo viele der 300 Busse geparkt wurden.
Enttäuschung bringt nur die Zahl in Hannover
25 000 Teilnehmer – nirgends sind es mehr als in Stuttgart. Man muss 21 Jahre zurückdenken, um sich an eine vergleichbare Gewerkschaftskundgebung an diesem Ort zu erinnern. 23 000 werden nun in Köln gezählt sowie jeweils 12 000 in Frankfurt und Leipzig. Eine für die IG Metall enttäuschende Zahl, nämlich 9000, kommt in Hannover zustande – offenbar lassen sich die erschöpften VW-Beschäftigten nach ihrem Arbeitskampf im Unternehmen weniger mobilisieren.
In einer Reaktion auf den Aktionstag machen die Metallarbeitgeber die Politik „für viele Missstände und die schlechten Rahmenbedingungen“ verantwortlich. Somit hätten Betriebe und Beschäftigte „ein gemeinsames Interesse, ihre Forderungen an die künftige Bundesregierung zu adressieren“, sagt Südwestmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Barta. Zur Wahrheit gehöre aber auch, „dass die Gewerkschaften eine Mitverantwortung dafür tragen, dass wir bei den Kosten in Deutschland kaum noch wettbewerbsfähig sind“. Wegen einer „auf Maximierung abzielenden Tarifpolitik“ habe man die „weltweit höchsten Lohnkosten“.
Arbeitgeber kontern die Gewerkschaftskritik
Auch seien „gewerkschaftliche Forderungen nach noch mehr Sozialstaat die falsche Antwort“. Frühverrentungsanreize, Rentengarantien, Tariftreuegesetze oder höhere Mindestlöhne trügen nicht dazu bei, „die Rahmenbedingungen zu verbessern und Unternehmen zu ermutigen, in Zukunftstechnologien, Arbeitsplätze und die Sicherung unseres Wohlstands zu investieren“.