Fund in Israel
35.000 Jahre alter Ritualplatz in Höhle entdeckt
In der 2008 erstmals erkundeten Manot-Höhle in Israel haben Archäologen einen außergewöhnlichen Stein gefunden, der bei religiösen Zusammenkünften eine Rolle gespielt haben könnte. Er erinnert an eine Schildkröte und deutet auf die mit ältesten Rituale in der Geschichte hin.
Von Markus Brauer/KNA
Archäologen haben in einer Höhle in Nordisrael einen altsteinzeitlichen Ritualort entdeckt. Er symbolisiere den „Übergang von unstrukturierter Anbetung zum Beginn fester öffentlicher Rituale“, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der israelischen Antikenbehörde und der Universitäten Haifa und Tel Aviv.
Die Gruppe um Omry Barzilai, Ofer Marder und Israel Hershkovitz von den Universitäten Haifa, Beer-Sheva und Tel Aviv gingen daran, den tiefsten Teil der Manot-Höhle genauer zu erforschen. Die Entdeckung sei der älteste Nachweis in der Region für gemeinschaftliche Anbetung. Die Forschungsergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift „PNAS“ veröffentlicht.
Heimstatt von Neandertalern und Homo sapiens
Die Manot-Höhle in Westgaliläa in Israel diente Neandertalern und Homo sapiens über Jahrtausende hinweg zu unterschiedlichen Zeiten als Unterkunft. Entdeckt wurde sie im Jahr 2008 zufällig, als ein Teil der Höhlendecke im Verlauf von Bauarbeiten einstürzte.
Stein mit geometrischen Gravuren
Bereits bei der ersten Begutachtung stieß man auf Knochenfragmente von offensichtlich beträchtlichem Alter. Unter anderem fand man rund 55.000 Jahre alte Schädelteile, die den physischen Beweis für die Vermischung von Neandertalern und Homo sapiens lieferten.
Die neueste Sensation: In der Manot-Höhle nördlich der israelischen Hafenstadt Haifa haben Archäologen jüngst einen Felsen mit geometrischen Gravuren, die einem Schildkrötenpanzer ähneln. Er sei „absichtlich in einer Nische im tiefsten und dunkelsten Teil der Höhle“ und damit fernab von den täglichen Aktivitätsbereichen platziert worden, so die Forscher.
Einer der frühesten rituellen Versammlungsorte
Der eigentliche Wohnraum befand sich in der Nähe des Eingangs. Im tiefsten, dunkelsten Teil der Höhle entdeckte man nun aber Hinweisen darauf, dass die Grotten auch als Versammlungsraum genutzt wurden, möglicherweise für Rituale, die den sozialen Zusammenhalt stärkten.
Die zeremoniellen Zusammenkünfte fanden vor etwa 37.000 bis 35.000 Jahren statt, wie die Forscher herausgefunden haben. Damit zählen sie zu den frühesten rituellen Versammlungsorten auf dem asiatischen Kontinent.
Symbol für Wiedergeburt und Erneuerung
Die Dunkelheit symbolisiere Wiedergeburt und Erneuerung und verkörpere zugleich heilige Eigenschaften. Die Art der Gravur deute ferner darauf hin, dass „es sich um ein Totem oder eine mythologische oder spirituelle Figur handeln könnte“, heißt es in der Studie.
Der Komplex verfügt laut den Forschern über eine natürliche Akustik, die für gemeinschaftliche Aktivitäten wie Gebet, Gesang und Tanz geeignet sei. Ferner seien Aschereste gefunden worden, die auf die Verwendung von Feuer zur Beleuchtung des Ritualraums hinwiesen.
Ähnichkeiten mit Panzer einer Schildkröte
Der in der Höhe gefundene Stein erinnert die Wissenschaftler an den Panzer einer Schildkröte und muss aufgrund seines Gewichts und seiner Beschaffenheit von mehreren Menschen dorthin transportiert worden sein. Auch weitere Ritzungen in anderen Gesteinsformationen konnten menschlichen Aktivitäten zugeordnet werden, berichten die Studienautoren.
„Dies ist eine beispiellose Entdeckung eines Raums mit „audiovisueller Ausstattung“, der um ein rituelles Objekt (die Schildkröte) herum angeordnet ist und den ersten Beweis für gemeinschaftliche Rituale in der Levante darstellt“, erläutert der in Tel Aviv lehrende Ko-Leiter der Studie, Israel Herschkowitz. Ein ebenfalls gefundenes Hirschgeweih mit Gebrauchsspuren könnte mit rituellen Aktivitäten in der Höhle in Verbindung stehen.
„Es könnte ein Totem oder eine spirituelle Figur dargestellt haben“, erläutert Barzilai. „Die besondere Lage, weit entfernt von den täglichen Aktivitäten in der Nähe des Höhleneingangs, deutet darauf hin, dass es sich um ein Objekt der Verehrung handelte.“
Gemeinschaft mit rituellen Riten
Aus all diesen Beobachtungen schließen die Forscher, dass sich hier eine Gemeinschaft versammelt haben könnte, um im weitesten Sinne „religiöse“ Riten abzuhalten, in deren Mittelpunkt ein symbolisch bedeutendes Objekt – der Schildkrötenstein – stand. Möglicherweise dienten diese Rituale zum Festigen des Zusammenhalts der mit vielen Herausforderungen kämpfenden Gruppen.
Die in Stein verewigte Maurische Landschildkröte (Testudo graeca) dürfte für die Menschen in jener Zeit nicht nur Bedeutung als Nahrung, sondern auch in der spirituellen Welt der altsteinzeitlichen Gemeinschaften gehabt haben, wie zahlreiche Funde von Schildkrötenpanzern, etwa im Kontext von Bestattungen, und vereinzelte bildliche Darstellungen in der Gegend nahelegen.
Einblick in spirituelle Welt der paläolithischen Jäger
Die Spatenforscher werten den Fund zudem als seltenen „Einblick in die spirituelle Welt der paläolithischen Jäger- und Sammlergruppen“ vor 35.000 Jahren. Die Schaffung von rituellen Zentren sei ein wesentliches Element beim Übergang von isolierten Jäger- und Sammlergruppen hin zu einer kollektiven Identität und komplexen Gesellschaften gewesen.
In den seit 2010 andauernden Grabungen in der für ihre Stalaktiten bekannten Höhle wurden laut Mitteilung bereits Reste von Behausungen mehrerer altsteinzeitlicher Kulturen gefunden, darunter ein rund 55.000 Jahre alter Schädel eines modernen Menschen, der älteste derartige Fund außerhalb Afrikas.