45 Jahre in der Todeszelle

88-jähriger Langzeit-Todeskandidat in Japan freigesprochen

Immer weniger Länder verhängen oder vollstrecken die Todesstrafen. Für Amnesty International ist das aber kein Grund zur Entwarnung. Und: In Japan ist jetzt der am längsten in einer Todeszelle einsitzende Häftling freigesprochen worden.

Polizisten postieren sich vor einem Gerichtsgebäude in der Stadt Kyodo, in dem über die Todesstrafe für einen Gefangenen verhandelt wird (Archivbild).

© Kyodo/dpa

Polizisten postieren sich vor einem Gerichtsgebäude in der Stadt Kyodo, in dem über die Todesstrafe für einen Gefangenen verhandelt wird (Archivbild).

Von Markus Brauer/AFP

Mehr als ein halbes Jahrzehnt nach Verhängung der Todesstrafe gegen ihn ist ein 88-jähriger Japaner in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden. Das Bezirksgericht im japanischen Shizuoka erklärte den früheren Boxer am Donnerstag (26. September) für unschuldig. Hakamada gilt mit 45 Jahren als der Häftling, der weltweit am längsten in einer Todeszelle saß.

45 Jahre war Iwao Hakamada in #Japan im Todestrakt eingesperrt - wegen eines erzwungenen "Geständnisses". Heute hat ihn ein Gericht freigesprochen. Auch bevor sie vollstreckt wird, verursacht die #Todesstrafe enormes Leid. Sie gehört endlich abgeschafft!https://t.co/FNMKM0Eu7T — Amnesty Deutschland (@amnesty_de) September 26, 2024

1968 verurteilt, 2014 neuer Prozess

Hakamada wurde 1968 wegen der Ermordung seines Chefs und dessen Familie zum Tode verurteilt. Der frühere Boxer legte nach wochenlangen Polizeiverhören ein Geständnis ab, widerrief es aber später. Er sagte aus, er sei in den brutalen Verhören zu dem Geständnis gezwungen worden. Zudem gab er an, die Beweise seien gefälscht worden.

Dennoch wurde das Todesurteil 1980 vom Obersten Gerichtshof bestätigt. 2014 ordnete dann ein Bezirksgericht überraschend an, dass Hakamada einen neuen Prozess bekommen müsse. Bis zur Wiederaufnahme des Prozesses wurde er freigelassen.

Die zumeist in Einzelhaft verbrachten fast fünf Jahrzehnte im Todestrakt haben Hakamada psychisch schwer zugesetzt. Japan ist neben den Vereinigten Staaten die einzige große demokratische Industrienation, in der Todesurteile noch vollstreckt werden.

Amnesty: Todesstrafe muss abgeschafft werden

Länder, in denen die Todesstrafe vollstreckt wird, sind nach Ansicht eines Amnesty-Experten Unrechtsstaaten. Diese Länder würden das grundlegendste aller Menschenrechte verweigern, sagt Alexander Bojčević, Experte für die Todesstrafe bei Amnesty International in Deutschland.

„Die Todesstrafe ist grundsätzlich abzulehnen, das Recht auf Leben ist immer zu schützen.“ In den Ländern, in denen Hinrichtungen vollzogen werden, würden Menschen als Objekte des Staates gesehen und nicht umgekehrt.

Todesstrafe noch in 20 Ländern

  • Länder: Nach Angaben von Amnesty International (AI) hat die Mehrzahl der Staaten in der Welt die Todesstrafe abgeschafft oder vollzieht sie nicht mehr. Dennoch gab es laut Amnesty im Jahr 2022 mindestens 883 Hinrichtungen in 20 Ländern (Stand: Mai 2023). Das sei der höchste Wert in einem Zeitraum von fünf Jahren gewesen.
  • Methoden: Derzeit kommen die folgenden Hinrichtungsmethoden zur Anwendung: Enthaupten, Erhängen, Giftinjektion und Erschießen.
  • Verurteilte: Derzeit befinden sich laut AI weltweit zwischen 28 000 und 30 000 Menschen im Todestrakt.
  • Stickstoffhypoxie: Die erste Hinrichtung in den USA in diesem Jahr am 25. Januar erregte viel Aufsehen: Erstmals wurde ein zum Tode verurteilter Mensch mit einer neuen Stickstoff-Methode hingerichtet. Der 58 Jahre alte Kenneth Eugene Smith wurde in einem Gefängnis im US-Bundesstaat Alabama mittels sogenannter Stickstoffhypoxie exekutiert.
  • Rangliste: Mehr als zwei Drittel aller Staaten weltweit haben Amnesty International zufolge die Todesstrafe per Gesetz oder zumindest in der Praxis abgeschafft. Die Länder mit den meisten bekannt gewordenen Hinrichtungen 2022 waren China, Iran, Saudi-Arabien, Ägypten und die USA.China: In einigen Ländern wie China, Nordkorea und Vietnam sind nach Amnesty-Angaben die genauen Zahlen geheim geblieben. Doch es bestehe kein Zweifel daran, dass etwa China nach wie vor jährlich Tausende Menschen hinrichte.

Verschiedene Länder, verschiedene Arten der Hinrichtung

  • Enthaupten: Nach Amnesty-Kenntnissen werden Verurteilte in Saudi-Arabien enthauptet.
  • Erhängen: In Japan, Ägypten, Bangladesch, Irak, Iran, Japan, Myanmar, Singapur, Südsudan und Syrien erhängt.
  • Giftspritze: In China, den USA und Vietnam sterben zum Tode Verurteilte durch die Injektion von Gift.
  • Erschießen: Erschießungen gibt es in Afghanistan, Belarus, China, Jemen, Kuwait, Nordkorea, Somalia und den Palästinensergebieten.

Zahl der gerichtlichen Hinrichtungen auf Fünf-Jahres-Hoch

Zuletzt hatte die Menschenrechtsorganisation kritisiert, die Zahl der gerichtlichen Hinrichtungen sei 2023 mit mindestens 1153 auf den höchsten Wert seit 2015 gestiegen.

Die exakte Zahl zu nennen, sei aber äußerst schwierig, so Bojčević. Zwar seien Staaten verpflichtet, Hinrichtungen offenzulegen. Tatsächlich aber gebe es in vielen Ländern gar keine oder keine genauen Angaben. Darunter seien mit China und Vietnam zwei Staaten, in denen Schätzungen zufolge sehr viele Menschen hingerichtet werden.

Um Todesurteile in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht zu verhängen und zu vollstrecken, müssen nach Angaben von Experte Bojčević hohe Hürden erfüllt werden. Dazu gehören unabhängige Gerichte, öffentliche Prozesse und dauernder Rechtsbeistand ab der Festnahme. Mit Sicherheit würden aber in den meisten Fällen gleich mehrere Faktoren nicht erfüllt, sagt Bojčević.

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Erstellt:
26. September 2024, 11:29 Uhr

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