Abgehängt von der Landeshauptstadt

Drei Jahre lang wird die Gäubahn aus Zürich schon in Stuttgart-Vaihingen enden – Die Anrainer sind darüber empört

Bahnverkehr - Verzögerungen beim Bahnprojekt Stuttgart 21 haben auch für die Anwohner der Gäubahn unangenehme Folgen. Es wird mühsamer, ins Zentrum der Landeshauptstadt zu kommen.

Stuttgart Sanft gleiten die Schweizer Schnellzugwagen an den kegelförmigen Hegau-Vulkanen bei Singen vorbei, durchqueren einen dunklen Tannenwald südlich von Tuttlingen und begleiten den jungen Neckar, der zwischen Rottweil und Horb kaum breiter als ein Bach durchs Tal mäandert. „Eigentlich“, sagt Renate Thomann, „nehme ich mir immer etwas zum Lesen mit.“ Aber dann schaut die 59-Jährige doch die meiste Zeit aus dem Fenster. Alle zwei Monate fährt die Betriebswirtin von Bülach in der Schweiz zur Fortbildung nach Stuttgart. Die Reise mit der Gäubahn von Zürich nach Stuttgart sei abwechslungsreich und bequem. Nach drei Stunden steigt sie am Hauptbahnhof aus. Dann sind es nur noch ein paar Schritte.

Bald dürfte es für Reisende wie Renate Thomann mühsamer werden, ins Stuttgarter Zentrum zu gelangen. Dann wird für die Gäubahn in Stuttgart-Vaihingen Schluss sein. Wer in die Innenstadt will, muss auf die bereits stark ausgelastete S-Bahn umsteigen. Wer in Stuttgart weiterreisen möchte, muss die Koffer zweimal schleppen. Die Haltestelle in Vaihingen wird gerade für 7,2 Millionen Euro zur Endstation für Regional- und Fernverkehrszüge ertüchtigt. In den ursprünglichen Plänen der Bahn hätte die Gäubahn schon in Böblingen enden sollen.

Schuld sind die Bauarbeiten für Stuttgart 21. Ein halbes Jahr vor der Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs muss das Gleis der Gäubahn vom alten Kopfbahnhof abgekoppelt werden, weil es der Verlegung der S-Bahn im Weg liegt. Das war bekannt. Mit Inbetriebnahme von Stuttgart 21 sollte die Gäubahn dann über den Flughafen zum neuen Tiefbahnhof rollen. Doch derFlughafenbahnhofwird erst 2028 fertig. Das Planfeststellungsverfahren für den Ausbau befindet sich gerade erst in der Auslegungsphase.

Für das Landesverkehrsministerium ist es eine ebenso einfache wie ärgerliche Rechnung: Der Tiefbahnhof soll 2025 in Betrieb gehen. Demnach werde sich die Unterbrechung der Gäubahn „von ursprünglich rund einem halben Jahr auf mindestens drei Jahre verlängern“, erklärt das Ministerium auf Anfrage unserer Zeitung. Doch die Bahn verweigert die offizielle Bestätigung. „Wir bitten um Verständnis, dass wir uns zu einem laufenden Planfeststellungsverfahren nicht äußern“, sagt ein Bahn-Sprecher.

Den Ärger entlang der Strecke, die einenGroßteil des Südens des Landes mit Stuttgart verbindet, mildert dies nicht. „Es ist unterirdisch, dass das nicht kommuniziert wird“, schimpft der Bürgermeister von Bondorf (Kreis Böblingen), Bernd Dürr (Freie Wähler). Wenn es Alternativen gebe, müssten die nun auf den Tisch. Es sei absurd, Fahrverbote für die Stuttgarter Innenstadt zu verhängen und zugleich umweltfreundliche Alternativen zu erschweren, erklärt sein Gäufeldener Amtskollege Jochen Buchter (Grüne).

Und auch die Oberbürgermeister entlang der Strecke „sind sauer“, wie der Rottweiler OB Ralf Broß (parteilos) bestätigt. Es bestehe die Gefahr, „dass die Menschen nicht wie erhofft vom Auto auf die Bahn, sondern von der Bahn aufs Auto umsteigen“. Sein Singener Amtskollege Bernd Häusler (CDU) spricht im Angesicht der aktuellen Fahrverbotsdebatten von einem „völlig falschen Signal“. Der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf (CDU), der als ehemaliger Landrat von Tuttlingen dem Interessenverband Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn vorsitzt, will noch im Februar die Bahn-Verantwortlichen zum Gespräch bitten, damit sie dem Interessenverband Rede und Antwort stehen. Bisher habe er von den Verzögerungen nur aus den Medien erfahren. „Die Bahn muss die negativen Begleitumstände für die Gäubahn-Anlieger so gering wie möglich halten. Sie hat uns schon genug zugemutet“, sagt Wolf.

Für den bahnpolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Matthias Gastel, ist klar, wie sich das Problem lösen und die Unterbrechung unabhängig vom Baufortschritt am Flughafen auf ein halbes Jahr verkürzen ließe. Dafür müsste lediglich das Gleis, das der S-Bahn-Verlegung im Weg liegt, gleich wieder aufgebaut werden. Eine entsprechende Brücke sei für einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag zu haben.

Das Problem, glaubt Gastel, dürften dabei weniger die Kosten sein. Vielmehr gehe es wohl ums Prinzip. Schließlich würde die Gäubahn dann weiterhin über die altePanoramabahnfahren und oberirdisch den Hauptbahnhof erreichen, während der Restverkehr bereits über die Tiefbahnsteige abgewickelt werde. Es wäre der Einstieg in einen Kombibahnhof. „Man müsste dann erklären, warum man das oberirdische Gleis überhaupt kappen möchte.“

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Erstellt:
7. Februar 2019, 03:14 Uhr

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