Abnehmen löst keine Probleme

Wie ernähre ich mich gesund? Ernährungswissenschaftlerin Antonie Post vertritt hierzu einen (noch) außergewöhnlichen Ansatz und fordert ein Umdenken. Diäten lehnt die 39-Jährige entschieden ab.

Das Credo von Antonie Post lautet: „Du bist gut, wie du bist.“Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Das Credo von Antonie Post lautet: „Du bist gut, wie du bist.“Foto: A. Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Backnang. Sollte man einen Tag der Vorsätze küren, die Wahl würde vermutlich auf den Neujahrstag fallen. Den Beginn eines neuen Jahres nutzen die allermeisten Menschen, um Änderungen ihres Lebensstils anzugehen. Und die Klassiker hierbei sind abnehmen und mehr Sport machen. Doch ist abnehmen wirklich ein so begehrenswertes Ziel? Zumindest Ernährungswissenschaftlerin Antonie Post hat da so ihre Zweifel.

Mit elf Jahren machte Antonie Post ihre erste Diät. Dabei sei sie ein normalgewichtiges Kind gewesen, berichtet sie. Doch Diät zu halten gehörte einfach irgendwie dazu. 25 Jahre und unzählige Diäten später bekam sie die Quittung. Ein anaphylaktischer Schock zwang sie dazu, ihre Einstellung zum Essen und zu ihrem Körper zu überdenken. „Da hat mich das Universum auf Diät gesetzt“, sagt sie rückblickend. „Ich habe schnell gemerkt, dass ich nicht Frieden mit dem Essen und meinem Körper schließen kann, wenn ich gleichzeitig aus einem Optimierungsgedanken heraus meinen Körper verändern will.“

Dabei kennt sie sich mit Ernährung aus, denn sie hat Ernährungswissenschaften studiert, promoviert hat sie zum Thema „Functional Foods“. Eigentlich habe sie das Fach gewählt, um sich ganz offiziell mit dem Thema Essen beschäftigen zu können. Nun nutzt die 39-Jährige ihre Erfahrungen und ihr Wissen im Bereich Ernährungsberatung, sie ist Keynote-Speakerin und hat ihren eigenen Podcast mit mittlerweile über 70 Folgen. Dabei legt sie jedoch den Fokus nicht auf Gewichtsveränderung. Denn eigentlich ist nicht das Körpergewicht das Problem, sondern der gesellschaftliche Umgang und die Sichtweise auf Körper, die nicht der vorherrschenden Schönheitsnorm entsprechen.

Antonie Post hat das intuitive Essen für sich entdeckt (siehe Infotext). „Bei jedem Gewicht kann man etwas für die Gesundheit tun“, betont die Körperrespektaktivistin. Denn auch wenn viele Menschen es verinnerlicht hätten – es wird eben nicht alles besser, nur weil man abnimmt. „Dieser Irrglaube ist ein gesellschaftliches Konstrukt.“

Nachvollziehbar, wenn man sich überlegt, welchen Einschränkungen oder Zwängen sich so mancher unterwirft, um endlich die „Traumfigur“ zu erreichen. Oft bleibt sie das nämlich – ein Traum. Denn ist man wirklich zufrieden, wenn man das Wunschgewicht erreicht hat? Geht nicht noch ein bisschen mehr? Magersucht und Bulimie sprechen eine deutliche Sprache. Antonie Post sieht Diäten deshalb als eine Form essgestörten Verhaltens an: „Diäten sind nicht harmlos!“ Eine Diät sei keine Lösung für individuelle Probleme.

Sie fordert ein Umdenken. „Viele Menschen werden wegen ihres Gewichts stigmatisiert.“ Entspreche man nicht der Norm, werde das entsprechend kommentiert und bewertet. Doch die Akzeptanz des eigenen Körpers sei wichtig für das Wohlbefinden und wirkt sich entsprechend auf die Gesundheit aus. Daher plädiert sie: „Bitte hört auf, Gewicht, Körper und Essverhalten zu kommentieren – und zwar positiv wie negativ.“

Für die zweifache Mutter aus Burgstetten gilt: „Je abwechslungsreicher man isst, desto gesünder ernährt man sich.“ Beschränkungen führen nicht zum Erfolg, ganz im Gegenteil. So ausgelöste Stoffwechseländerungen bleiben zudem erhalten, was etwa den Jo-Jo-Effekt erklärt. Der Körper gewöhnt sich an die geringere Nahrungsaufnahme, isst man nach einer Diät wieder wie früher, dann legt man zu. Zudem setzt man sich durch die Diät unter Stress und nimmt doch wieder zu, da, sehr vereinfacht ausgedrückt, Dauerstress zu einem erhöhten Insulinspiegel führt, was wiederum den Fettaufbau im Körper begünstigt.

Anstatt sich auf das Abnehmen zu fixieren, rät Antonie Post, sich auf die eigenen Verhaltensweisen zu konzentrieren, damit man sich gut um sich selbst kümmern könne. Jeder müsse für sich herausfinden, welche Rahmenbedingungen geeignet seien, um sich selbst gut zu fühlen. „Für mich gibt es keine guten und schlechten Lebensmittel. Denn jedes Lebensmittel ist wertvoll in einem bestimmten Kontext“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin.

„Wir sollten feiern, dass es den Körper in allen möglichen Formen gibt“, findet Antonie Post. Jeder Mensch ist individuell und das gilt nicht nur für Augenfarbe, Nasenform, Talente und Fähigkeiten. Auch beim Gewicht spielt die Genetik eine Rolle. Antonie Post möchte daher Menschen zum Umdenken bewegen, sie dazu einladen, die Welt einmal aus einer anderen Perspektive zu sehen und den Mitmenschen nicht auf das Äußerliche zu reduzieren. Sie möchte vermitteln: „Du bist gut, wie du bist.“ Zahlreiche positive Rückmeldungen bestätigen sie in ihrer Arbeit.

Antonie Post,
die sich selbst Körperrespektaktivistin nennt „Wir sollten feiern, dass es den Körper in allen möglichen Formen gibt.“
Ein hohes Körpergewicht hat vielschichtige Gründe

Body Positivity Man akzeptiert seinen Körper, unabhängig davon, ob er dem aktuellen Schönheitsideal entspricht.

Diät – Anti-Diät In unserer Gesellschaft wird schlank häufig mit gesund, schön und erfolgreich gleichgesetzt. Entsprechend ist es negativ behaftet, nicht dem schlanken Schönheitsideal zu entsprechen. Diäten sind oft die Folge, doch: „Ein hohes Körpergewicht ist keine Frage der Disziplin, sondern hat vielschichtige Gründe, von biologischen und genetischen Merkmalen über psychosoziale und umweltbedingte Größen bis hin zu gesellschaftlichen Faktoren“, wie Antonie Post in ihrem Blog schreibt. Dabei scheitern über 95 Prozent der Diäten, der Jo-Jo-Effekt ist allgemein bekannt.

Intuitives Essen Sich auf das eigene Bauchgefühl zu verlassen, anstatt sich starren Essensregeln zu unterwerfen, ist das Grundprinzip. Dazu gehört, bewusst auf das Hunger- und Sättigungsgefühl zu reagieren, festzustellen, ob man nur aus Langeweile essen möchte, es gelten keine Lebensmittelverbote, man achtet darauf, wie der Körper auf Lebensmittel reagiert, das Essen soll keine Ersatzhandlung sein. Der Genuss steht im Vordergrund, dazu gehören Ruhe, Achtsamkeit und Aufmerksamkeit während des Essens.

Health at Every Size HAES legt keinen Wert auf das Gewicht. Dieser Ansatz konzentriert sich auf Selbstakzeptanz, intuitive Ernährung und Freude an Bewegung und soll dazu führen, sich für eine gesunde Verhaltensweise zu entscheiden und dadurch die eigene Lebensqualität zu verbessern.

Podcast Weitere Infos unter https://antoniepost.de oder zu hören im Podcast „Iss doch, was du willst!“.

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Erstellt:
3. Januar 2022, 06:00 Uhr

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