Gute Idee oder Irrweg?
Abnehmspritzen für übergewichtige britische Arbeitslose
Elf Milliarden Pfund kostet Fettleibigkeit jedes Jahr den britischen Gesundheitsdienst. Die Regierung wirbt nun für Mittel aus der Pharmaindustrie. Laut Fachleuten ist das aber zu einfach gedacht.
Von Markus Brauer/dpa
Im Kampf gegen Fettleibigkeit wirbt die britische Regierung dafür, dass sich übergewichtige Arbeitslose Abnehmmittel spritzen. Die Medikamente könnten Menschen helfen, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, hat Premierminister Keir Starmer im Sender BBC erklärt. Das würde sowohl der Wirtschaft helfen als auch den maroden staatlichen Gesundheitsdienst NHS entlasten.
Erhebliche Belastung des Gesundheitswesen durch Adipositas
Nach Angaben von Gesundheitsminister Wes Streeting kosten Krankheiten im Zusammenhang mit Fettleibigkeit den NHS jährlich 11 Milliarden Pfund (13,2 Mrd Euro).
„Unsere immer breiter werdenden Hosenbünde stellen auch eine erhebliche Belastung für unser Gesundheitswesen dar“, schreibt Streeting in der Zeitung „Telegraph“. „Die langfristigen Vorteile dieser Medikamente könnten für unseren Ansatz zur Bekämpfung von Fettleibigkeit von enormer Bedeutung sein.“
Wes Streeting: "Widening waistbands are a burden on Britain" "The NHS can’t be expected to always pick up the tab for unhealthy lifestyles."https://t.co/eEJpSXpmyE — Cat (@CovidSolidarit1) October 15, 2024
Risiken, Nebenwirkungen, unklare Langzeitfolgen
Fachleute warnen allerdings, dass Medikamente kein schneller Ersatz für gesunde Ernährung und Bewegung seien. „Wir vertrauen darauf, dass Ärztinnen und Ärzte im Einzelfall entscheiden, ob sie einem Patienten oder einer Patientin ein rezeptpflichtiges Arzneimittel verordnen oder nicht“, heißt es seitens der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände.
„Rezeptpflichtige Arzneimittel wie ‚Abnehmspritzen‘ haben Risiken und Nebenwirkungen, die nicht ausgeblendet werden dürfen.“ Dazu zählten Kopfschmerzen, Übelkeit, Durchfall und Erschöpfung.
Was für Langzeitfolgen die Medikamente haben könnten, ist bisher unklar, weil die Mittel noch nicht lange genug im Einsatz sind. Auch kommt es beim Absetzen der Mittel beim überwiegenden Teil der Betroffenen wieder zu einer Gewichtszunahme. Deswegen müssen sie nach derzeitigem Kenntnisstand langfristig über Jahrzehnte genommen werden.
Fürs Erste sind Praxistests geplant
Minister Streeting betonte, die Menschen müssten selbst Verantwortung für einen gesunden Lebensstil übernehmen. Die Mittel dürften nicht als kosmetische Medikamente für einen Instagram-tauglichen Körper missbraucht werden.
Der US-Pharmakonzern Eli Lilly kündigte unterdessen Investitionen in Höhe von 279 Millionen Pfund in Großbritannien an. Die Summe ist auch für Praxistests zum Einfluss von Abnehmspritzen auf Arbeitslosigkeit und Auswirkungen auf die Inanspruchnahme von NHS-Diensten vorgesehen.
Was ist der BMI bzw. „Body Mass Index“?
Adipositas kann Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und einige Krebsformen auslösen. „Adipositas ist eine chronische Krankheit, die definiert ist als eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfetts“, schreibt die Deutsche Adipositas-Gesellschaft.
Ob jemand betroffen ist, wird nach Gewicht und Größe berechnet, dem sogenannten Body-Mass-Index (BMI). Ab einem BMI von 30 spricht die Gesellschaft von „Adipositas Grad I“ (BMI Rechner).
Wie kann Adipositas vorgebeugt werden?
Adipositas könne durch gute Ernährung und Bewegung von Kindesbeinen an vorgebeugt werden, rät die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf.
Regierungen sollten dafür sorgen, dass besonders salz-, fett- oder zuckerhaltige Nahrungsmittel und Getränke nicht in der Nähe von Schulen verkauft werden und dass Reklame dafür, die sich an Kinder richtet, eingeschränkt wird.
Sie sollten zudem Kampagnen über die Vorteile guter Ernährung und sportlicher Betätigung fahren. Die WHO räumt ein, dass gute Ernährung teuer sein kann.
Info: Wie viele Menschen leiden an Übergewicht?
Übergewicht Die Zahl der Menschen mit Adipositas oder starkem Übergewicht steigt in einem rasanten Tempo:
• Weltweit sind mehr als eine Milliarde Menschen betroffen.
• Der Anteil der stark Übergewichtigen an der weltweiten Bevölkerung hat sich seit 1990 mehr als verdoppelt, unter Heranwachsenden zwischen 5 und 19 Jahren sogar vervierfacht
• Insgesamt sind 880 Millionen Erwachsene und 159 Millionen Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 19 Jahren stark übergewichtig.
• 9,3 Prozent der Jungen und 6,9 Prozent der Mädchen galten 2022 als fettleibig.
• Bei Erwachsenen verdoppelte sich der Anteil bei Frauen seit 1990 auf 18,5 Prozent
• Die Rate verdreifachte sich bei Männern auf 14 Prozent.
• In Deutschland liegt der Anteil bei Frauen mit Adipositas bei 19 Prozent, was Platz 137 in der Länderliste entspricht.
• Bei Männern liegt der Anteil in Deutschland bei 23 Prozent (Platz 80).
• Unter den Mädchen und Frauen bis 19 Jahren liegt der Anteil in Deutschland bei sieben Prozent (119. Platz), bei Jungen und jungen Männern bei 10 Prozent (111. Platz).
• Ob jemand betroffen ist, wird nach Gewicht und Größe berechnet, dem Body-Mass-Index (BMI). Ab einem BMI von 30 spricht die Gesellschaft von „Adipositas Grad I“ (BMI Rechner).
• Die insgesamt höchsten Adipositas-Raten gab es in Inselstaaten im Pazifik wie Niue, Tonga und Amerikanisch-Samoa mit teils über 60 Prozent.
• In den Top Ten waren in einzelnen Kategorien auch Katar, Ägypten, Chile und die USA.
• Rasant war der Anstieg unter anderem in den USA: Der Anteil der Frauen mit Adipositas stieg von 21,2 Prozent 1990 auf 43,8 Prozent 2022, bei den Männern stieg der Anteil von 16,9 Prozent auf 41,6 Prozent.
• Die niedrigsten Raten verzeichneten Madagaskar, Burkina Faso, Vietnam und Äthiopien.