Immobilien
"Abwärts-Sog": Immer weniger Baugenehmigungen für Wohnungen
In Deutschland fehlen geschätzt Hunderttausende Wohnungen - das treibt die Mieten hoch. Doch wegen des Zinsanstiegs halten sich Bauherren zurück und der Abwärtstrend geht weiter.
Von Von Alexander Sturm, dpa
Wiesbaden - Die Krise im Wohnungsbau in Deutschland droht sich zu verschärfen. Die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen ist im ersten Halbjahr um rund ein Viertel eingebrochen, wie das Statistische Bundesamt berichtete.
Die Zahlen bedeuten schlechte Vorzeichen im Kampf gegen den Wohnungsmangel und steigende Mieten gerade in Städten. Bau- und Immobilienverbände forderten einen Neustart in der Wohnbaupolitik. Bauministerin Klara Geyitz (SPD) sprach sich derweil für weniger Vorschriften und serielles Bauen aus.
Baugenehmigungen brechen ein
Von Januar bis Juni wurde laut Statistischem Bu-ndesamt der Bau von 135.200 Wohnungen bewilligt - 27,2 Prozent oder 50.600 weniger als ein Jahr zuvor. Allein im Juni sank die Zahl der Baugenehmigungen um 28,5 Prozent auf 21.800. Darin sind sowohl die Bewilligungen für Wohnungen in neuen Gebäuden als auch Umbauten enthalten.
Mit den neuen Zahlen setzte sich der starke Abwärtstrend der vergangenen Monate fort. "Zum Rückgang der Bauvorhaben dürften weiterhin vor allem steigende Baukosten und zunehmend schlechtere Finanzierungsbedingungen beigetragen haben", erklärten die Statistiker in Wiesbaden.
Schrumpfende Zahlen in allen Bereichen
Rückgänge bei den Baugenehmigungen gab es bei allen Gebäudearten. In neu zu errichtenden Wohngebäuden wurden demnach im ersten Halbjahr 111.500 Wohnungen genehmigt - fast 31 Prozent oder 49.600 weniger als im Vorjahreszeitraum. Dabei ging die Zahl der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser um gut ein Drittel (minus 35,4 Prozent) zurück. Bei den Zweifamilienhäusern sank die Zahl genehmigter Wohnungen gar um über die Hälfte (minus 53,4 Prozent). Auch bei der Gebäudeart mit den meisten Wohnungen, den Mehrfamilienhäusern, schrumpfte die Zahl der genehmigten Wohnungen deutlich - hier um gut ein Viertel.
Der jahrelang boomende Wohnungsbau ist wegen des starken Zinsanstiegs und teurerer Materialien abrupt ins Stocken geraten. Geywitz hat eingeräumt, dass die Ampel-Koalition ihr Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohnungen verfehlen wird. Immobilien- und Bauverbände rechnen dieses Jahr nur mit rund 245.000 neuen Wohnungen.
Geywitz versucht gegenzusteuern
Um den Wohnungsbau anzukurbeln, hatte Geywitz kürzlich deutlich erweiterte Steueranreize im Wohnungsbau vorgeschlagen. Doch die Finanzierung ist noch ungeklärt. Geywitz sieht die Vorschläge als Teil des geplanten Wachstumschancengesetzes von Finanzminister Christian Lindner (FDP). Die Verabschiedung im Bundeskabinett hat sich aber wegen einer Blockade in der Ampel-Koalition verschoben.
Geywitz will ferner technische Regelwerke entschlacken, wie sie der "Leipziger Volkszeitung" sagte. "Wir müssen wieder einfacher bauen in Deutschland und den Kostenanstieg dämpfen." Auch setzt sie auf Vorfertigung am Bau. "Serieller Wohnungsbau ist eine Möglichkeit, schnell Wohnungen zu errichten."
Immobilienwirtschaft appelliert an Politik
Die Immobilienwirtschaft forderte schnelle Hilfen der Politik. "Es braucht zwingend einen Neustart der Wohnungsbaupolitik", sagte Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien-Ausschusses, mit Blick auf die Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg Ende August. Er forderte unter anderem ein Aussetzen der Grunderwerbsteuer und ein großvolumiges Kreditprogramm der Förderbank Kfw mit günstigen Zinsen.
Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Baugewerbeverbands ZDB, verlangte ein starkes Baupaket. "Das Kabinett muss sich in Meseberg entscheiden: Soll die Bauwirtschaft die Konjunktur wieder in die Spur bringen oder mit ihren Betrieben und Arbeitsplätzen aufs Abstellgleis?" Ähnlich äußerte sich der Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands HDB, Tim-Oliver Müller. Der Bau sei "weiter im Abwärts-Sog". Er sprach sich unter anderem für das Aussetzen strenger energetischer Vorgaben bei öffentlichen Förderprogrammen aus.