Südwest-AfD stolpert in den Wahlkampf
dpa/lsw Stuttgart. Die AfD hatte viel mit sich selbst zu kämpfen in den vergangenen Wochen. Nun will der Landesverband mit Spitzenkandidat Gögel in den Wahlkampf starten - der schraubt die Erwartungen aber herunter.

Ein Mann wirft seine Stimme für die Landtagswahl in Baden-Württemberg in die Wahlurne. Foto: Wolfram Kastl/dpa/Archivbild
Ein Wort hat noch gefehlt zum allseits bekannten Dreiklang der deutschen Nationalhymne. „Für Recht und Freiheit“ lautet das Motto, mit dem die Südwest-AfD in den Wahlkampf ziehen will. Klar, Einigkeit hätte man noch dazu nehmen können, sagt Spitzenkandidat Bernd Gögel am Montag bei der Vorstellung des Wahlprogramms. Aber Recht und Freiheit seien in diesen Tagen dann doch wichtiger. Unfreiwillig passt diese Lücke dann auch zum Wirken der Südwest-AfD: Gerade mit Einigkeit konnten weder der Landesverband noch die Fraktion in den vergangenen Jahren glänzen.
Schlagzeilen machte die Partei seit 2016 vor allem mit Grabenkämpfen, Ausschlussverfahren, Fraktionsaustritten, permanenter Selbstbeschäftigung und Abgeordneten vom rechten Rand, die sich von der Polizei aus dem Plenum führen ließen. Nächstes Mal werde alles anders, verspricht Gögel den Wählern. Aber so richtig nach stabiler Zukunft sieht das nicht aus. Ein Überblick über die Gemengelage.
SCHRUMPFTRUPPE IM PARLAMENT - Bei der Landtagswahl 2016 erreichte die AfD einen Stimmenanteil von 15,1 Prozent. Das entsprach 23 Mandaten. Nach heftigen Flügelkämpfen und mehreren Austritten sind es nun noch gerade noch 15. Antisemitismusvorwürfe gegen den mittlerweile fraktionslosen Abgeordneten Wolfgang Gedeon führten 2016 vorübergehend sogar zur Spaltung der Fraktion. Man sei damals eben mit politisch unerfahrenen Mitglieder gestartet, sagte Gögel. „Ich bin überzeugt, dass der Prozess in der nächsten Legislatur stabil bleibt“, sagte Gögel. „Da ist mir nicht bange.“
WUNSCH UND WIRKLICHKEIT - Vor einem Jahr sprach die Fraktionsspitze noch davon, ein deutlich besseres Ergebnis bei der Landtagswahl erreichen zu wollen als 2016. Fraktionsvize Emil Sänze sagte, man gehe davon aus, 20 Prozent zu erreichen. Ein Jahr später klingt es demütiger. Er wäre glücklich, wenn man das Ergebnis von 2016 wiederholen könne, sagte Gögel. Auch Bundesparteichef Jörg Meuthen gab 15 Prozent als Ziel aus - er sprach von einer Signalwirkung der Landtagswahl für weitere Wahlen dieses Jahr. Im jüngsten ZDF-„Politbarometer“ der Forschungsgruppe Wahlen liegt die AfD jedoch bei 11 Prozent, in einer Umfrage von Infratest dimap im Auftrag von SWR und „Stuttgarter Zeitung“ sogar nur bei 10.
DAS WAHLPROGRAMM - Die AfD setzt in vielen Punkten ganz auf die gute alte Zeit. Man verteidigt den Diesel, ist gegen Fahrverbote, für billige Strompreise, für das dreigliedrige Schulsystem und die Rückreise von Asylbewerbern in deren Heimat. Kohle- und Atomkraft müssten bewahrt werden, der Ausbau der Windenergie gestoppt, der Umstieg auf E-Mobilität sei ideologiegetrieben. „Der Verbrenner ist enorm wichtig“, sagte Gögel. Die größte Schnittmenge der AfD sieht er bei der CDU. Allerdings mache er sich über mögliche Farbenspiele keine Gedanken. „Im Moment möchte niemand mit uns koalieren.“
ERFOLGLOSE HALLENSUCHE - Fast ein Jahr suchte die AfD nach einer Halle, um einen Präsenzparteitag für die Aufstellung der Kandidaten für die Bundestagswahl abzuhalten. Eigentlich wollte man mit mehr als 1000 Mitgliedern am Wochenende in der Stuttgarter Messe zusammenkommen, scheiterte aber schlussendlich an den Auflagen des Gesundheitsamts. Zwar präferiere der Landesvorstand weiter eine Präsenzveranstaltung, sagte die AfD-Landesvorsitzende Alice Weidel. Aber man werde alle Optionen prüfen: auch Online- oder Briefwahl. Das Wahlprogramm für die Landtagswahl wurde kurzum online beschlossen.
HOLPRIGE KANDIDATENSUCHE - Auch die Kür eines Spitzenkandidaten für die Landtagswahl verlief mehr als holprig. Vier Online-Wahlgänge brauchte es, bis Gögel sechs Wochen vor der Wahl die nötige absolute Mehrheit auf sich vereinen konnte. „Die Wahlgänge sind Ausdruck echter innerparteilicher Demokratie“, lobt hingegen Weidel. Davon könnten andere Parteien nur träumen. „Besser geht es überhaupt nicht.“
CORONA-WAHLKAMPF - Keine Partei solle von Corona profitieren, fordert Gögel. Dennoch steht der Umgang mit der Krise im Zentrum des AfD-Wahlkampfs. Die AfD sieht sich als Anwalt der Grundrechte, fordert die Aufhebung der Beschränkungen für Handel, Gastronomie, Hotels. Die Schüler sollen in den Präsenzunterricht zurückkehren. Dafür sollen gefährdete Gruppen speziell geschützt werden, etwa durch spezielle Einkaufszeiten. Gögel glaubt nicht an den Impfstoff als Lösung. Man müsse lernen, mit dem Virus zu leben. „Covid-19 wird nicht zu besiegen sein.“ Grundrechte und Corona-Einschränkungen werden nach Angaben von Parteichef Tino Chrupalla auch im Zentrum des AfD-Bundestagswahlkampfs stehen.
QUERDENKER - Umstritten ist offenbar das Verhältnis zu den „Querdenkern“, die seit Monaten gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen und mittlerweile vom baden-württembergischen Verfassungsschutz beobachtet werden. Die Politik müsse die Nähe zu solchen Protestbewegungen suchen, sagte Weidel, die auch Bundestags-Fraktionschefin ist. „Ich kann einfach nur davor warnen, die Leute in eine Ecke zu stellen.“ Abgeordnete sollten auf solche Demonstrationen gehen und sich mit den Menschen unterhalten. Co-Fraktionschef Alexander Gauland hatte die AfD kürzlich als „Bewegungspartei“ bezeichnet, die Kontakt zu bestimmten Protestgruppen pflegen sollte. Parteichef Jörg Meuthen widersprach.
VERFASSUNGSSCHUTZ - Mit Händen und Füßen wehrt sich die AfD gegen eine mögliche Beobachtung der gesamten Partei durch den Verfassungsschutz. Ein vom Bundesamt geäußerter Verdacht, dass bei der AfD womöglich Rechtsextremisten den Ton angeben könnten, wäre vor Landtagswahlen und der Bundestagswahl eine schwere Hypothek. „Das ist ein politisches Instrument, um die politische Konkurrenz im konservativen Spektrum auszuschalten beziehungsweise zu schwächen“, sagte Weidel. Der inzwischen formal aufgelöste „Flügel“ wird bereits vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistische Bestrebung eingestuft.
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