Was geschah am . . . 20. März 1916?
Albert Einstein veröffentlicht seine Allgemeine Relativitätstheorie
Kaum jemand verstand das geniale Gedankenkonstrukt, als es am 20. März 1916 veröffentlicht wurde und doch machte sie den deutschen Physiker Albert Einstein endgültig zum Superstar der Wissenschaftsgeschichte: die Allgemeine Relativitätstheorie.

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Albert Einstein bei einem Besuch in Washington im Jahr 1922.
Von Markus Brauer
20. März 1916: Der 37-jährige Albert Einstein ist seit elf Jahren eine Berühmtheit in der Wissenschaftswelt. Am 30. Juni 1905 hatte der theoretische Physiker seine Abhandlung „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ eingereicht. Kurz darauf lieferte Einstein einen Nachtrag „Ist die Trägheit eines Körpers von seinem Energieinhalt abhängig?“
Letzterer Artikel enthält implizit zum ersten Mal die wohl berühmteste Formel der Welt, E= mc2 (Energie ist gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat, Äquivalenz von Masse und Energie). Beide Arbeiten zusammen werden heute als Spezielle Relativitätstheorie bezeichnet.
An diesem 20. März im dritten Jahr des Ersten Weltkriegs gelingt dem Deutschen sein zweiter Geniestreich: In der renommierten Fachzeitschrift „Annalen der Physik“ publiziert er den Artikel „Die Grundlage der Allgemeinen Relativitätstheorie“.
Darin führt er die Gravitation auf ein geometrisches Phänomen in einer gekrümmten 4-dimensionalen Raumzeit zurück. Auch wenn kaum jemand die Theorie versteht als sie veröffentlicht wird, macht sie Albert Einstein doch endgültig zum Superstar der Wissenschaft.
Die große Welle
Wer heute sein Navi einschaltet, findet auch mit Hilfe von Albert Einstein (1879-1955) zum Ziel. Erst die Allgemeine Relativitätstheorie ermöglicht die gewünschte Genauigkeit der Satellitennavigation.
Diese praktische Anwendung konnte Einstein nicht vorhersehen, als seine umwälzende Theorie veröffentlicht wurde. Die Wirkung seiner Arbeit war umso tiefgreifender: Mit der Allgemeinen Relativitätstheorie revolutionierte das Menschheitsgenie das Weltbild der Physik – auch wenn das nicht sofort klar war.
Immer wieder haben sich Einsteins Vorhersagen in der Realität bestätigt. Im Jubiläumsjahr 2016 krönte der erste direkte Nachweis sogenannter Gravitationswellen die Allgemeine Relativitätstheorie. Gravitationswellen waren bis dahin das letzte noch unbewiesene Element der Einsteinschen Relativitätstheorie.
Mit Detektoren auf der Spur kosmischer Wellen
Die Wellen werden der Theorie zufolge von großen Massen erzeugt, wenn diese sich bewegen, und verzerren den Raum selbst. Das Ligo-Observatorium ist ein spezielles Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatorium, das in den USA speziell für den Nachweis von solchen Gravitationswellen gebaut worden ist.
Das Ligo-Konsortium betreibt zwei nahezu identischen Detektoren: in Hanford im US-Bundesstaat Washington und 3000 Kilometer davon entfernt in Livingston im US-Bundesstaat Louisiana. Dort konnten die Forscher im Jahr 2016 erstmals die Gravitationswellen von zwei Schwarzen Löchern auffangen, die in rund 1,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung von der Erde verschmolzen waren.
Sie entstehen immer dann im Universum, wenn sich große Massen beschleunigt bewegen. Also etwa, wenn die Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne kreist. Allerdings sind diese Wellen so schwach, dass sie nicht zu messen sind.
Autofahren und Gravitationswellen
Gravitationswellen gehören zu den spektakulärsten Vorhersagen von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Jeder beschleunigte Körper sendet demnach Gravitationswellen aus – also auch ein Autofahrer, der an einer Ampel startet.
Die Wellen sind umso stärker, je mehr Masse der Körper hat. Jedoch sind sie in der Regel so winzig, dass Einstein selbst nicht daran glaubte, dass man sie jemals messen könnte. Seit über 50 Jahren hatten Physiker dafür einen direkten Nachweis gesucht.
„Neue Ära in der Astronomie“
„Das ist mit Sicherheit der Beginn einer neuen Ära in der Astronomie“, urteilte der Direktor am Albert-Einstein-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Potsdam und Hannover, Bruce Allen, bei der Präsentation der Entdeckung im Februar 20216. An Allens Institut, das an der internationalen Ligo-Kooperation beteiligt ist, war das Signal zuerst bemerkt worden. Die Beobachtung bestätigte nicht nur die Existenz von Gravitationswellen, sondern auch von verschmelzenden Schwarzen Löchern.
Die Allgemeine Relativitätstheorie hat sich damit selbst dort als erfolgreich erwiesen, wo ihr Entdecker es nicht für möglich hielt. „Einstein hat nicht geglaubt, dass man Gravitationswellen jemals nachweisen können wird, und er hat nicht an Schwarze Löcher geglaubt“, so Allen. „Ich denke, er würde sich freuen, dass er in beiden Punkten unrecht hatte.“
Einstein Relativitätstheorien
Den Kern seiner Allgemeinen Relativitätstheorie hatte Albert Einstein bereits ein paar Monate vor der Veröffentlichung in den „Annalen der Physik“ an der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin präsentiert.
„Es war ein Jahrtausendereignis der Wissenschaft, das damals in Berlin stattgefunden hat“, erklärt Hermann Nicolai, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam. „Aber es ist erst im Laufe der folgenden Jahrzehnte klar geworden, was das für eine Leistung war.“
Seine 1905 veröffentlichte Spezielle Relativitätstheorie besagt, dass sich Raum und Zeit nicht getrennt voneinander messen lassen. Einstein erkannte, dass Gleichzeitigkeit nur eine relative Eigenschaft ist, die von der Wahl des Beobachters abhängt: Zwei räumlich getrennte Ereignisse, die dem einen als gleichzeitig erscheinen, können für einen anderen nacheinander ablaufen. Nur am selben Ort ist die Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse eindeutig.
Raum und Zeit sind relativ
Die Spezielle Relativitätstheorie führt über die Vereinigung von Raum und Zeit zu einer vierdimensionalen Raumzeit. Die Zeit verlor damit ihren Status als absolute Größe. „1905 hat er herausgefunden, dass Raum und Zeit miteinander zusammenhängen“, erklärt Metin Tolan,Professor für Experimentelle Physik.
„Die Zeit ist nicht irgendetwas Absolutes und für alle gleich. Wenn man sich schnell bewegt, vergeht die Zeit objektiv langsamer. Man altert auch langsamer im Vergleich zu jemanden, der sich nicht so schnell bewegt.“
Ein Beispiel: Der Flug nach Alpha Centauri, dem uns mit vier Lichtjahren am nächsten gelegenen Stern. „Das Licht braucht von dort vier Jahre, um zur Erde zu gelangen“, erläutert Tolan.
„Wenn die Lichtgeschwindigkeit von knapp 300.000 Kilometer pro Sekunde die größte Geschwindigkeit ist, die im Universum erreichbar ist, dann wäre man offenbar mindestens vier Jahre unterwegs. Dem ist aber nicht so. Wenn man sich nämlich mit 99,9999 Prozent der Lichtgeschwindigkeit bewegen könnte, würden auf dieser Reise nur drei Tage vergehen. Tatsächlich würde die Zeit also viel langsamer verlaufen.“
Das Geheimnis des Universums und die Schwerkraft
In seiner Allgemeine Relativitätstheorie geht Einstein einen entscheidenden Schritt weiter und bezieht die Schwerkraft (Gravitation) mit ein. Seine Theorie besagt, dass die Raumzeit durch Masse verzerrt wird – ähnlich wie etwa eine Bowling-Kugel ein Trampolin einbeult.
Dieser Effekt ist umso stärker, je größer die Masse ist. „Das war ein Paradigmenwechsel“, erläutert Nicolai. „Die Aussage ist, dass die Schwerkraft eine Folge der verkrümmten Geometrie von Raum und Zeit ist.“ So wie ein Tennisball auf einem anderen Weg über ein Trampolin rollt, wenn es durch die Bowlingkugel eingedellt wird.
Der Theorie zufolge wird durch die Verkrümmung der Raumzeit auch das Licht messbar abgelenkt, wenn sein Weg an einer großen Masse wie der Sonne vorbeiführt. Diese Vorhersage machte Einstein vier Jahre später auf einen Schlag weltberühmt.
Von der Theorie zum experimentellen Nachweis
Der Brite Sir Arthur Eddington hatte im Jahr 1919 zwei von der Königlichen Astronomischen Gesellschaft RAS ausgerüstete Expeditionen zur Beobachtung einer Sonnenfinsternis entsandt. Während der Sonnenfinsternis vermaßen die Expeditionen die Position von Sternen neben der verdunkelten Sonne. Tatsächlich wichen die gemessenen Positionen während der Finsternis entsprechend der Vorhersage durch Einsteins Theorie von den vorher bestimmten Werten ab.
„Das war ein spektakulärer Erfolg, der Einstein auf die Titelseiten der Weltpresse brachte“, betont Nicolai. „Die Sterne sind nicht, wo sie zu stehen scheinen“, schrieb damals die „New York Times“ damals. „Aber niemand muss sich sorgen.“
Diese erste experimentelle Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie sandte Schockwellen durch das wissenschaftliche Establishment. Heute benutzen Astronomen diesen Effekt als natürliches Teleskop. Denn große Massen im All wie eine Galaxie können das Licht dahinterliegender, weit entfernter Objekte bündeln und wie eine Lupe verstärken. Die Forscher nennen das eine Gravitationslinse.
Vom Urknall zur Quantentheorie
Schwarze Löcher, Urknall, die stetige Ausdehnung des Universums– das alles lässt sich mit der Allgemeinen Relativitätstheorie erklären. „Die ganze moderne Kosmologie fußt auf den Einstein-Gleichungen“, erläutert Nicolai. Die Allgemeine Relativitätstheorie habe sich zu einem Grundpfeiler der modernen Physik entwickelt: „Es gibt heute eigentlich nur zwei grundlegende physikalische Theorien: die Quantentheorie und die Allgemeine Relativitätstheorie.“