Was geschah am . . . 14. Januar 1875?

Albert Schweitzer – vom Pfarrerssohn zum Urwald-Doktor

Manche Menschen sind ihrer Zeit weit voraus. So auch Albert Schweitzer, eine der großen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Respekt für das Leben war sein Leitmotiv. Ein Rückblick auf den großen Humanisten.

Das Archivbild von 1965 zeigt Albert Schweitzer in dem von ihm gegründeten Tropenkrankenhaus in Lambarene im heutigen Gabun.

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Das Archivbild von 1965 zeigt Albert Schweitzer in dem von ihm gegründeten Tropenkrankenhaus in Lambarene im heutigen Gabun.

Von Markus Brauer/dpa/KNA

Die Ehrfurcht vor allem Leben ist ein Kerngedanke im Werk Albert Schweitzers. „Ich bin Leben, das Leben will, inmitten von Leben, das Leben will“, schrieb er einmal. Aber Albert Schweitzer beließ es nicht bei klugen Gedanken und Worten. Im Urwald von Gabun baute er in Lambaréné ein bis heute bestehendes Spital auf und kämpfte als Arzt gegen Tropenkrankheiten.

Er wandte sich entschieden gegen Atomwaffen und verzichtete aus Mitgefühl mit Tieren auf jeden Fleischkonsum. Seine Solidarität mit allem Leben machte ihn zum überzeugten Philantropen, Pazifisten und Weltgewissen.

Universalgenie voller Schaffenskraft

Albert Schweitzer war ein Universalgenie voller Schaffenskraft: Tropenmediziner, Theologe, Religionsphilosoph, herausragender Bach-Interpret an der Orgel, Orgelbauer, Musikwissenschaftler, Kulturkritiker und Schriftsteller. Er beherrschte mehrere Sprachen.

In einem Pfarrhaus in Kaysersberg im Elsaß kam dieser Humanist am 14. Januar 1875 zur Welt. Er bewahrte sich lebenslang eine dankbare Erinnerung an seine glückliche Kindheit und Jugendzeit im Kreise von Eltern und Geschwistern.

In Straßburg studierte er Theologie und Philosophie. Frucht dieser Studien sind verschiedene theologische Werke, wie „Die Religionsphilosophie Kants von der Kritik der reinen Vernunft bis zur Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (1899), und „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“ (1913), in dem er Fragen nach der historischen Wirklichkeit Jesu und nach dem Urchristentum und deren Bedeutung für die Gegenwart behandelt.

Aber Albert Schweitzer brillierte nicht nur als Geisteswissenschaftler, sondern auch als Musiker. Dem Leben von Johann Sebastian Bach, seinem großen musikalischen Vorbild, hat er in einem umfangreichen gleichnamigen Werk ein immerwährendes Denkmal gesetzt.

Gespür für Leid und Elend in der Welt

Schon als Junge hatte er ein Gespür für Leid und Elend in der Welt. Unbefangene jugendliche Lebensfreude habe er nie gekannt, wird er sich später erinnern. „Insbesondere litt ich darunter, dass die armen Tiere so viel Schmerz und Not auszustehen haben.“ So verfolgte ihn wochenlang der Anblick eines lahmenden Pferdes, das zum Schlachthaus geprügelt wurde.

Als ein mit geistigen Gaben reich ausgestatteter junger Mann stand Albert Schweitzer 1896 am Anfang einer glänzenden wissenschaftlichen und künstlerischen Karriere. Da beschloss er, nach Afrika zu gehen. Dort waren freilich weniger Theologen und schon gar keine Organisten gefragt, sondern Ärzte. Also studierte er Medizin und kam mit 38 Jahren als approbierter Arzt nach Lambaréné in Gabun.

Malaria, Lepra, Schlafkrankheit, Knocheneiterungen und Elephantiasis gehörten zu den häufigsten Krankheiten, die er behandelte. Als Albert Schweitzer zusammen mit seiner deutschen Ehefrau Helene im Jahr 1913 nach Lambaréné kam, war sein erster Konsultationsraum ein ehemaliger Hühnerstall. Vom ersten Tag an umlagerten ihn die Kranken, die häufig bis zu 100 Kilometer zurücklegten, um vom "Urwald-Doktor" medizinisch versorgt zu werden.

Kritische Stimmen zum autoritären Führungsstil

Seine Patienten nannte er seine Brüder. Er empfand sich selbst allerdings als der ältere Bruder, dem man zu gehorchen hatte, der die Anweisungen traf und deren Einhaltung er mit Strenge forderte. Dieser autoritäre Führungsstil wurde ihm später zum Vorwurf gemacht. So soll sein Großneffe, der französische Philosoph Jean-Paul Sartre, einmal gesagt haben, Albert Schweitzer habe die „Schwarzen“ in Lambaréné „schuften“ lassen und einen „autoritären Führungsstil“ an den Tag gelegt.

Andererseits war er von den Krankheiten der einheimischen Bevölkerung tief betroffen und arbeitete häufig Tag und Nacht an ihrer Heilung. „Mir fehlt das robuste Temperament und der Gleichmut, den man als Arzt braucht“, schrieb er über sich selbst. „Ich verzehre mich in ständiger Sorge um das Ergehen Schwerkranker und Operierter.“

Wirken in Lambaréné bis zum Tod 1965

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 erzwang eine Unterbrechung seines humanitären Engagements. Als Zivilinternierter wurde Albert Schweitzer nach Europa zurückgebracht. Obwohl er „ein Idealist ist, der die Öffentlichkeit scheut“ (so seine Selbstdefinition), stellte er sich der Notwendigkeit, weitere Mittel für sein Lebenswerk durch öffentliche Vorträge, Orgelkonzerte und schriftstellerische Arbeiten zu sammeln.

Nach Kriegsende kehrte er nach Afrika zurück. Als der weißhaarige Mann mit dem Schnauzbart am 4. September 1965 im Alter von 90 Jahren in Lambaréné starb, wurde er neben seiner Frau auf dem kleinen Urwaldfriedhof beigesetzt.

Stimme gegen Atomwaffen

Der ersten Atombombenabwürfe auf die japanischen Großstädte Hiroshima am 6. August und Nagasaki am 9. August 1945 veranlassten Albert Schweitzer, sich noch als fast 80-Jähriger in die Atomwissenschaften zu vertiefen. Mit Grauen wurde ihm klar, dass die Kernforschung die Apokalypse für die Menschheit und den gesamten Planeten bedeuten könnte.

Alle ihm noch verbliebene Kraft und die ganze Autorität seiner Persönlichkeit setzte er ein, um dieser bedrohlichen Entwicklung Einhalt zu gebieten. In einer weltweit verbreiteten Rundfunkrede rief Schweitzer die Atommächte zum sofortigen Stopp der Nukleartests auf.

Noch im hohen Alter erhob er ab nun seine Stimme gegen Atomwaffenversuche. Bei der Entgegennahme des Friedensnobelpreises im Jahr 1952 in Stockholm stellte er fest, dass der Mensch umso armseliger werde, je mehr Macht er bekomme.

Kaum noch wahrgenommen

Heute geraten Schweitzers Gedanken zunehmend in Vergessenheit, stellt Roland Wolf vom Deutschen Albert-Schweitzer-Zentrum im Offenbach fest. Nur wenige Menschen kämen in das Zentrum, das unter anderem ein Museum und eine Bibliothek beheimatet.

In den 1950er und 1960er Jahren habe es noch einen regelrechten Hype um Schweitzer gegeben, seien Kindergärten und Schulen nach ihm benannt worden. Inzwischen werde der große Humanist kaum noch wahrgenommen, bedauert der Schweitzer-Experte.

Deshalb komme das Jahr 2025 mit zwei wichtigen Gedenktagen – neben dem 150. Geburtstag jährt sich am 4. September auch sein 60. Todestag – sehr gelegen. Im Fokus soll dabei Schweitzers Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben stehen. Die Offenbacher Begegnungsstätte möchte das geistige Werk Schweitzers „wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein“ bringen, wie es auf der Homepage heißt.

Prominente Bewunderer

Zu Albert Schweitzers Bewunderern zählten die Staatsmänner Winston Churchill, Dwight Eisenhower und John F. Kennedy, Jawaharhal Nehru, Theodor Heuss, die Schriftsteller Thomas Mann und Hermann Hesse sowie der Psychoanalytiker Siegmund Freud.

Die treffendste Charakterisierung Schweitzers fand vielleicht Albert Einstein: „Dieser Mann beeinflusst die Welt weniger durch das, was er alles vollbracht hat, was schon erstaunlich genug ist, als vielmehr durch ein unbestimmbares Element seiner Persönlichkeit, das durch rein rationale Analyse nicht zu erfassen ist.“

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Erstellt:
3. Januar 2025, 17:38 Uhr
Aktualisiert:
5. Januar 2025, 17:53 Uhr

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