„Un/fair“ im Jungen Ensemble Stuttgart

Alle wollen Torte! Aber wer kriegt sie?

Kinder wissen genau, was fair und was unfair ist. Das Junge Ensemble Stuttgart zeigt mit ungewöhnlichen Requisiten, warum sie mit der Idee der Gerechtigkeit scheitern könnten.

Szene aus „Un/fair“

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Szene aus „Un/fair“

Von Adrienne Braun

Man stelle sich ein Stück Kuchen vor. Wer darf es essen? Der mit dem größten Hunger? Oder eher die, die es zufällig in die Hände bekommen hat? Oder doch der, der größer, schneller, schlauer oder was auch immer ist? Gerechtigkeit ist eine komplizierte Angelegenheit, das ahnt man schnell in der Premiere im Jungen Ensemble Stuttgart. Der Regisseur Milan Gather hat mit dem Team das Stück „un/fair“ entwickelt und dazu auch Kinder befragt: Fair ist, erklärt da jemand aus dem Off, „dass man tauscht, dass man 50/50 macht“.

Das klingt einfach, aber in diesen rund fünfzig Theaterminuten für Kinder ab fünf Jahren wird deutlich, dass das soziale Miteinander stete Aushandlungsprozesse erfordert. Auf der Bühne steht eine riesige Torte aus Tüllkugeln. Sie sind groß oder klein, gelb, lila oder weiß. Den kleinen grünen schillernden Tüllpuschel gibt es allerdings nur einmal – und den wollen die fünf Schauspieler freilich alle haben. Ich! Ich! Ich!

Mit wenig Worten und symbolischen Szenen deklinieren die fünf Darsteller die Möglichkeiten im ewigen Verteilungskampf durch. Sie machen Wettrennen – aber ist Geschwindigkeit eine verlässliche Größe, wenn der eine schwerer beim Lauf beladen ist als die anderen? Wer legt überhaupt die Regeln fest? Daniela Ruocco wird zur Chefin gekürt – und prompt beginnt sie lustvoll zu kommandieren und lässt Ali Aykar und Johannes Christopher Maier, Gerd Ritter und Estelle Schmidlin die bunten Tüllbälle nach ihren Wünschen arrangieren.

Vielleicht muss man Ungerechtigkeit manchmal ertragen

Ob die bunten Puscheln nun nach Farben geordnet werden oder kunterbunt durchmischt sind, es entstehen immer neue Bilder, die sehr pädagogisch die moralische Fragestellung veranschaulichen. Wenn es vier Farben, aber fünf Personen gibt, wird es eben schwierig, Fifty-fifty zu teilen. Vielleicht muss man im Leben auch lernen, dass man manchmal den Kürzeren zieht. Wie sich das anfühlt, haben Kinder den Theaterleuten ebenfalls vorab erzählt: Die einen spüren es im Kopf, die anderen eher in den Beinen, sodass sie fest auf den Boden treten wollen.

Am Ende von „un/fair“ steht die Erkenntnis, dass Fairness ein wichtiges Ziel ist, sich aber nie erreichen lässt. Die Schauspieler werfen deshalb den begehrten grünen Zankapfel kurzerhand ins Nichts hinter der Bühne. So müssen sie zumindest nicht mehr zanken, wer ihn haben darf. Auch über das eine Stück Kuchen müssen sie nicht mehr streiten, das hatte Gerd Ritter zu Beginn schon selbst gierig verputzt.

un/fair. Vorstellungen im Jungen Ensemble Stuttgart am 29.1. und vom 19. bis 21.3.

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Erstellt:
28. Januar 2025, 14:34 Uhr

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