Als man noch zu Fuß über das Rollfeld lief

Die Feierlichkeiten beginnen am 19. September mit einem großen Empfang: Vor 100 Jahre wurde – damals noch in Böblingen – der Vorläufer der Flughafengesellschaft gegründet. Erinnerungen zum Jubiläum.

Nur ein kleiner Zaun trennte die Besucherterrasse vom Rollfeld. Nur ein kleiner Zaun trennte die Besucherterrasse vom Rollfeld.

© /Flughafen Stuttgart GmbH, Mack (2), Archiv

Nur ein kleiner Zaun trennte die Besucherterrasse vom Rollfeld. Nur ein kleiner Zaun trennte die Besucherterrasse vom Rollfeld.

Von Uwe Bogen

Stuttgart - Kinderleicht wäre es in den 1960ern gewesen, über den Zaun direkt auf das Rollfeld des Stuttgarter Flughafens zu marschieren. An Flugzeugentführungen dachte damals keiner, als es noch genügend Öl gab. Mit den sehnsüchtigen Blicken einer Wirtschaftswundernation verfolgten Menschen auf den Bänken der Besucherterrasse den Abflug in ferne Urlaubsparadiese.

In diesem Jahr feiert der Flughafen seinen 100. Geburtstag. Denn am 15. November 1924 wurde die Luftverkehr Württemberg AG in Böblingen gegründet, aus dem die heutige Flughafengesellschaft hervorging. Die erste Geburtstagsparty steigt am 19. September – bei einem großen Empfang werden Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Medien sowie Geschäftspartner erwartet. Eine besondere Attraktion gibt’s am 10. November, wenn aus Anlass des Jubiläums 100 Koffer für einen guten Zweck versteigert werden.

Im folgenden erzählen Leserinnen und Leser ihre Flughafengeschichten. Denn viele Stuttgarter verbinden bis heute spannende Erinnerungen und Erlebnisse mit dem Flughafen, dessen Wurzeln eigentlich in Böblingen liegen.

Jens Herzberg erinnert sich gern an die „legendäre Besucherterrasse“. Für Kinder habe es kleine Fahrzeuge wie Flugzeug und Riesenrad gegeben. „Ich habe erst aufgehört zu quengeln, wenn ich fahren durfte“, schreibt er, „das hat 50 Pfennig gekostet.“ Man konnte beobachten, wie Passagiere zu Fuß übers Rollfeld zu den Flugzeugen liefen.

Gisela Salzer-Bothe schreibt: „Mit Opa bin ich immer wieder hingepilgert und hab onser Flughäfele bewundert. Erster Abflug 1961. Dann Reisen durch unser Reisebüro Hetzel. Sehr früh nach Mamaia am Schwarzen Meer. Mit einer russischen Turboprop um 6 Uhr. Als ich in den Flieger reinkam, stank es fürchterlich nach Schnaps. Auf jedem Brettle stand einer. Um sich setzen zu können, musste man den zuerst austrinken.“

Thomas Mack hat 1958 seinen Vater zum Flughafen begleitet, der dort einen Rundflug über Stuttgart buchte. Das Kind schaute von unten zu. „15 Mark war zu teuer“, erinnert sich Mack. Die Karten kaufte man in einem Holzhäuschen. Auf der Besucherterrasse war immer was los. „Wer nur zum Kaffeetrinken auf den Flughafen kam“, erinnert sich Peter Kodweiß, „galt als Weltmensch und Abenteurer.“ Jürgen Pfeiffer schreibt: „Am tollsten war es, wenn sie die Kolbenmotoren der Propellermaschinen anlaufen ließen.“

Mike Gerhards war ein „junger Bub“, als er in den Schulferien früh am Morgen von Heslach zu Fuß losmarschiert ist zum Flughafen auf den Fildern – „mit vielleicht einer Mark in der Tasche.“ Das Geld reichte nicht für die Straßenbahn. Der Eintritt auf der Besucherterrasse kostete damals 20 Pfennige. Weiter notiert er: „Über den Tag eine Brezel und ein 20er Eis. Wasser zum Trinken auf dem Besucher-WC und frühzeitig wieder auf den Rückweg gemacht, damit man zum pünktlichen Abendessen wieder zu Hause war.“

Im Juni 1958 gelang zwei US-Düsenjetpiloten eine abenteuerliche Notlandung auf dem Stuttgarter Flughafen, woran ein weiterer Leser sich noch gut erinnert. Hätten sie ihre defekten Militärmaschinen mit dem Schleudersitz verlassen, wären diese wahrscheinlich im dicht besiedelten Stadtgebiet abgestürzt. OB Arnulf Klett lud danach die beiden Soldaten ins Rathaus, um sich bei ihnen gebührend zu bedanken.

Der Name Hetzel steht für die Erfindung der Charter- und Kurzflugreise. Das Stuttgarter Unternehmen startete 1963 den Luftverkehr mit einer propellergetriebenen DC 7 nach Barcelona. Stand die Taufe eines Hetzel-Flugzeugs an, macht dies OB Arnulf Klett gern zur Chefsache. Zwischen 1963 und 1969 stieg die Zahl der deutschen Flugtouristen um das 90-fache. Palma de Mallorca wurde zum größten Traum der Pauschalreisenden. 1969 landeten dort 47 Prozent aller, die von einem deutschen Flughafen gestartet waren. Der Anteil der All-inclusive-Urlauber wuchs unaufhaltsam – Ende der 1980er auf 40 Prozent. Die 1990er waren dann geprägt von Billigfliegern und vom Preisverfall.

Die Geschichte des STR hat in Böblingen begonnen, wo sich der erste zivile Verkehrsflughafen im Stuttgarter Raum befand. Die erste planmäßige Landung fand dort am 20. April 1925 statt. Man kann noch weiter zurückblicken: Der Wasen diente in den 1920ern als Flugplatz und Zeppelin-Landeplatz.

In Böblingen hatte der Flughafen dann mit 184 280 Passagieren im Jahr 1935 die Kapazitätsgrenze erreicht. Man suchte ein größeres Gelände, das näher an Stuttgart lag – und kam auf Echterdingen. Fertig gebaut wurde der Flughafen auf den Fildern im September 1939. Der Zweite Weltkrieg verhindert die offizielle Inbetriebnahme. Die SS richtete hier 1944 ein KZ-Außenlager für 600 jüdische Häftlinge ein. Sie mussten in einem Steinbruch arbeiten sowie Straßen zur Autobahn bauen. 119 Männer starben an den unmenschlichen Bedingungen des Lagers.

Nach dem Krieg übergaben die Besatzungsmächte 1948 das Gelände an die Stadt Stuttgart. Ende der 1950er landete dort erstmals ein mit Düsen angetriebenes Flugzeug. Es ging immer weiter aufwärts. Zwischen den 1990ern und den 2010er veränderte sich das Bild erheblich. Nach dem Bau der neuen Terminals 1, 3 und 4 zog die Landesmesse in die Nachbarschaft. Seit 2014 ist der Airport nach Manfred Rommel benannt.

Nach dem Rekordjahr 2019 mit über 12,7 Millionen Passagieren nahmen die Flugbewegungen wegen der Coronapandemie erheblich ab. Stolz ist die Flughafengesellschaft auf eine „konsequente Entwicklung in Sachen Klimaschutz“ – aber nur auf dem Boden gelingt dies. So habe man etwa eine vollelektrischen Flotte aus E-Bussen eingesetzt.

Unvergessen bei vielen ist das alte Terminal 3, das im Jahr 2000 abgerissen wurde. Darin führte eine Steintreppe runter zu den Schaltern der Charterflüge. Generationen von Stuttgartern sind diese legendären Stufen voller Vorfreude hinab gestiegen. Eigentlich hätte diese Treppe ins Haus der Geschichte gehört. Nach dem Abriss gelang es Karin und Peter Bretz, eine Stufe zu sichern. Das gute Stück bekam in ihrem Garten einen Ehrenplatz. Denn auf dieser legendären Treppe haben sie sich 1970 kennen gelernt.

Zum Artikel

Erstellt:
12. August 2024, 22:08 Uhr
Aktualisiert:
13. August 2024, 21:59 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen