Plage in Kehl
Ameisen zerstören Spielplätze und Internet
Die Ameisen-Gattung Tapinoma magnum ist aus dem Mittelmeerraum eingeschleppt. Derzeit sorgen Superkolonien der Krabbeltiere nicht nur an der deutsch-französischen Grenze für Panik bei belagerten Bürgern.
Von Kai Holoch
In Kehl (Ortenaukreis) sind die Ameisen los. Spätestens seit September 2023 ist klar, dass die Stadt am Rhein zwar bei weitem nicht die einzige Kommune ist in Deutschland, der Schweiz, Frankreich und sogar Holland, die mit dem Problem zu kämpfen hat. Aber Kehl ist von der Ameisenplage, die von der invasiven Art Tapinoma magnum ausgelöst wird, ganz besonders stark betroffen. Und die Situation spitzt sich weiter zu.
Millionenfach belagern aggressive Exemplare der aus dem Mittelmeerraum stammenden Ameisengattung Gärten und Spielplätze. Sie dringen in Häuser ein, sorgen für Risse in den Straßen, lieben Stromkästen und Kästen mit Netzwerk-Technik und sorgen so immer wieder dafür, dass in etlichen Kehler Haushalten das Internet ausfällt.
Rettung ist nicht in Sicht
Viele Bürgerinnen und Bürger sind verzweifelt. Und Rettung ist nicht in Sicht. Die anfänglichen Bemühungen, der Plage mit Hilfe einer gelegentlich aus Darmstadt angeforderten Spezialfirma Herr zu werden sind gescheitert: Der punktuelle Einsatz eines speziellen Heißschaumverfahrens hat bei weitem nicht ausgereicht, um die Plage zu beenden.
Im Gegenteil: Statt das Problem in den Griff zu bekommen oder zumindest einzudämmen, haben sich die Ameisen auch in den vergangenen Wochen explosionsartig vermehrt. Inzwischen bestätigt sind zwei mehrere Hektar große Areale, auf denen sich so sogenannte Superkolonien gebildet haben. Zudem gibt es mehrere Verdachtsfälle.
Mit Taten gegen düstere Prognosen
In den Superkolonien arbeiten die Ameisen verschiedener Nester - anders als die bisher hier ansässigen Ameisenarten - zusammen, wenn sie bedroht werden. „Die Tapinoma-Magnum ist unter den neun in Deutschland existierenden invasiven Ameisenarten diejenige, die am meisten Probleme bereitet. Wenn man zu lange mit der Bekämpfung wartet, hat man keine Chance mehr, das Problem zu beseitigen“, sagt der bundesweit renommierte Ameisenexperte Bernhard Seifert vom Senckenberg-Museum in Görlitz.
Trotz solch düsterer Prognosen will Kehl sich nicht Tatenlosigkeit vorwerfen lassen. Der Gemeinderat hat jetzt den Kauf einer eigenen Heißschaumanlage zugestimmt. Nun geht es noch darum die personellen Kapazitäten zu schaffen, um das Gerät auch dauerhaft und – so die Hoffnung – effektiv einsetzen zu können.
Erhebliche Kosten durch den Klimawandel
Das alles verursacht erhebliche Kosten, zumal die Ameisen ja nur einen Teil des Kehler Problems ausmachen. Auch die Tigermücke und invasive, streng geschützte Meeresschildkröten, die sich am Altrhein bei Kehl niedergelassen haben und deren Schutz viel Geld kostet, reißen Löcher in die Stadtkasse.
Kehls Oberbürgermeister Wolfram Britz (parteilos) hat sich deshalb unter anderem an das Umweltministerium des Landes gewandt. Die Kommunen dürften nicht allein gelassen werden. Solle das Problem in den Griff bekommen werden, brauche es finanzielle Hilfen, überregionale Zusammenarbeit und wissenschaftliche Unterstützung.
Verantwortlich für die Plage ist der Import von Pflanzen aus Italien
Invasive Arten, so Bernhard Seifert, sind „Tier oder Pflanzenarten, die durch Aktivitäten der Menschen in Gebiete außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsraums eingeführt wurden und hier die Biodiversität und die Ökosystemstabilität gefährden.“ Das führe im Extremfall zu gewaltigen Schäden nicht nur in landwirtschaftlichen Kulturen, sondern, wie auch im Fall der Tapinoma magnum, im menschlichen Siedlungsraum.
Schuld an der Existenz der Tapinona magnum in Deutschland seien, so Bernhard Seifert, vor allem aus Italien eingeführte südländische Pflanzen und Bäume. In deren Pflanztöpfen fühlten sich die Ameisen sehr wohl. Wenn in den Gartenbaumärkten am Zielort nicht überprüft werde, ob Ameisen eingeschleust werden, stünde einer Verbreitung wenig im Weg.
Nur kleine Nester sind beherrschbar
Dann wiederum sei höchste Eile geboten. Denn vernichten lassen sich Nester der Tapinoma magnum nur, wenn sie noch vergleichsweise klein sind. Die Botschaft, die Seifert in Richtung Kehl schickt, ist deshalb eher niederschmetternd. „Wenn die Ameisen bereits eine Superkolonie gegründet haben, dann ist es bereits viel zu spät.“
Wissenschaft aber auch Politik müssten zügig Gefahrenpotenzial der Tapinoma magnum erkennen. Zur schnelleren Erkennung der Gefahr brauche man Monitoring-Stellen, und die Wissenschaft benötige mehr Geld, um wirksame Methoden im Kampf gegen die Ameisen zu entwickeln.
Ministerium sieht keine Gefährdung des Ökosystems
Doch die Bereitschaft seitens der Politik, sich verstärkt im Kampf gegen Tapinoma magnum zu engagieren, scheint trotz des Hilferufs aus Kehl und der sich auch an anderen Gemeinden abzeichnenden Ausbreitung der Ameisenart in Grenzen zu halten. Auf Anfrage teilt das Ministerium mit: „ Das Auftreten der Ameisenart Tapinoma magnum ist ein neues Phänomen mit komplexen Folgen. Wir nehmen die Sorgen und die durch die Ameisen entstandenen Beeinträchtigungen der Bürgerinnen und Bürger ernst.“ Man stehe deshalb in Kontakt zu Wissenschaftlern und anderen Ländern, um „schnellstmöglich Informationen über Vorkommen der Ameisenart, Folgen und die Wirksamkeit von Bekämpfungsmethoden“ einzuholen.
Dieser Prozess sei allerdings noch nicht abgeschlossen. Nach aktueller Bewertung könne „von einer Gefährdung des Ökosystems nicht ausgegangen werden. Damit fehlt auch die Grundlage für landesweite naturschutzfachliche Empfehlungen oder Hilfen.“
Welche Gefahr von Tapinoma magnum ausgeht
Invasiv Invasive Arten, so Bernhard Seifert, sind „Tier oder Pflanzenarten, die durch Aktivitäten der Menschen in Gebiete außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsraums eingeführt wurden und hier die Biodiversität und die Ökosystemstavilität gefährden.“ Das führt im Extremfall zu gewaltigen Schäden nicht nur in landwirtschaftlichen Kulturen, sondern, wie auch im Fall der Tapinoma magnum, im menschlichen Siedlungsraum.
Parasiten Verglichen mit Fällen im Ausland ist das Kehler Problem immer noch vergleichsweise klein. In Frankreich etwa haben Tapinoma-Magnum-Ameisen eine zehnmal so große Fläche zerstört. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass Parasiten die Population auf natürliche Weise verkleinern. In Budapest, wo eine Ameisenart ein 38 Hektar großes Areal für eine Superzelle genutzt habe, sei das geschehen – allerdings erst nach rund 20 Jahren. Das ist für Kehl also keine Alternative. hol