Hasskriminalität

An der Frontline der Meinungsfreiheit

Die Göttinger Zentralstelle gegen Hasskriminalität hat sich den Unmut der Trump-Regierung zugezogen. Einschüchtern lassen sich die Staatsanwälte davon nicht.

Kassel, 6. Juni 2019: Trauerfeier für den ermordeten Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Die Hetze gegen ihn ging sogar nach seinem Tod noch weiter.

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Kassel, 6. Juni 2019: Trauerfeier für den ermordeten Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Die Hetze gegen ihn ging sogar nach seinem Tod noch weiter.

Von Christoph Link

Mit amerikanischen Medien hat Oberstaatsanwalt Frank-Michael Laue, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet, schon so seine Erfahrungen. 2022 recherchierte ein Reporter der „New York Times“ bei ihm im historischen Justizgebäude am Waageplatz in Göttingen, zunächst skeptisch eingestellt, dann wohlwollend berichtend. Im November 2024 drehte ein Team des US-Senders „CBS“ eine Dokumentation für die Serie „60 minutes“ über Meinungsfreiheit in Deutschland, in der er und zwei seiner Mitarbeiter interviewt worden sind und gezeigt wird, wie morgens um 6 Uhr bei einer Hausdurchsuchung ein Laptop und ein Smartphone beschlagnahmt werden. Dieser Beitrag – ausgestrahlt im Februar – hatte es in sich, löste eine Debatte über Meinungsfreiheit aus. Erstaunt reagierten viele Amerikaner darauf, dass in Deutschland auch Meinungsbeiträge im Netz strafbar sein können. „Jemand zu beleidigen, ist kein Verbrechen, und Sprache zu kriminalisieren, wird eine echte Belastung für das europäisch-amerikanische Beziehungen sein“, schrieb US-Vizepräsident James D. Vance wenige Tage nach der Sendung auf „X“. Das sei „orwellianisch“ und ein „Irrsinn“.

Der Staat verfolgt keine Regimekritiker

Im Landtag in Hannover forderte die AfD nach der Sendung die Auflösung der 2020 gegründeten Zentralstelle in Göttingen. Landesjustizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) konterte dies mit einer flammenden Rede, auf die Oberstaatsanwalt Laue gerne hinweist: „Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede, Bedrohung und Volksverhetzung sind in Deutschland strafbar – egal, ob im Internet oder im realen Leben“, sagte sie. Das habe nicht die Staatsanwaltschaft so entschieden, sondern der Volkssouverän, die Parlamente. Der deutsche Staat verfolge keine Regimekritiker, er verfolge Straftäter. Die Freiheit des einen ende dort, wo er in die Freiheit des anderen eingreife. Sie werde auch keine Beleidigungen von Alice Weidel zulassen, meinte die Ministerin an die Adresse der AfD gerichtet. Die Staatsanwaltschaft schütze aber nicht nur Politiker, sondern auch andere Menschen, die zur „Zielscheibe“ wegen ihrer Weltanschauung, Hautfarbe, sexuellen Orientierung oder ihres Ehrenamtes werden. Das Grundgesetz lehne eine „rücksichtslose Freiheit“ ab, in der jemand „seine niedrigsten Instinkte hemmungslos und ohne jeden Respekt ausleben“ könne.

Ob Wahlmann in den USA Gehör fand? Vermutlich nicht. Aber für die Göttinger Juristen brachte sie etwas „Moral support“. Brauchte die Zentralstelle diesen, fühlte sie sich unter Druck? „Es wäre schlecht, wenn wir uns einschüchtern ließen, nur weil wir unsere Arbeit erledigen“, sagt Laue. Die Amerikaner hätten nun mal ein komplett anderes System, in dem sogar die Verwendung von Hakenkreuzsymbolen erlaubt sei.

Auch die Verhältnismäßigkeit der Mittel sieht Laue bei seiner Arbeit gewahrt. Eine Durchsuchung morgens um sechs, wie von CBS dokumentiert? Ja, wann denn sonst, wenn der Betroffene um 9 Uhr bei der Arbeit sei?, fragt Laue zurück: „Wir hatten 2024 rund 5400 Ermittlungsverfahren, dabei gab es nur 30 Durchsuchungen.“ In dem von CBS dokumentierten Fall sei es um „grobe Volksverhetzung“ und „antisemitische Beleidigungen“ gegangen. Es könne bei einer Kooperation mit den Ermittlungsbehörden, wenn der Verdächtige sein Smartphone oder Laptop identifizieren lasse, auch auf eine Beschlagnahme der Geräte verzichtet werde.

Schweigen aus Angst vor Hetzern

Hass und Hetze im Netz sind für Laue kein Kavaliersdelikt. Die sieben Staatsanwälte seiner Zentralstelle hielten oft Vorträge vor Kommunalverbänden. „Es ist zu beobachten, dass sich Leute im Ehrenamt, die von Hass betroffen sind, sagen, ‚das tue ich mir mehr an. Ich ziehe mich aus dem politischen Prozess zurück.’ Auch das kann eine Gefahr für die Demokratie sein.“ Hinzu komme das „Silencing“, man verschweigt Argumente, um nicht einen „Shit-Storm“ im Netz zu erzeugen. Auch so werde die Demokratie mundtot gemacht. Der Kampf gegen Hass dient also gerade auch der Meinungsfreiheit.

Wie ein dunkler Schatten liegt die Ermordung des Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke über den Ermittlern. Vier Jahre nach einem Hetzvideo im Internet gegen ihn ist er 2019 kaltblütig von einem Rechtsradikalen ermordet worden. Für Laue ist es kaum zu fassen, dass die Hetze gegen Lübcke sogar noch nach seinem Tod weiterging. Neben der Verurteilung des Täters kam es gegen einen 64-Jährigen aus Celle zu einer Verurteilung wegen einer öffentlichen Aufforderung zu Straftaten. „Aufhängen, den Drecksack“, hatte der Mann geschrieben, er wurde zu 60 Tagessätzen zu je 38 Euro verurteilt. Erschüttert hat Laue auch der Fall des sogenannten „Commanders der SHAEF-Forces“, ein Mann, der den Reichsbürgern nahe stand, 17 000 Follower hatte und Hunderte von Drohschreiben oder Todesurteile an Bürgermeister, Journalisten oder Lehrer verschickte.

Die Zahl der Ermittlungsverfahren verdoppele sich fast jedes Jahr, berichtet Laue, was er auf ein höheres Bewusstsein der Opfer, eine Verrohung der Sprache sowie die Anzeigemöglichkeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen zurückführt. „80 Prozent der Straftaten in unserem Bereich sind politisch motiviert“, sagt Laue. Es seien keine Wellen, sondern es sei ein Strom des Hasses: Bei den Spitzenpolitikern seien unter Angela Merkel die Kanzlerin selbst, Wolfgang Schäuble und Jens Spahn oft Zielscheibe gewesen, in der Ampel-Regierung waren es Robert Habeck, Annalena Baerbock sowie Olaf Scholz und seit neustem sind es Friedrich Merz und Lars Klingbeil.

20 Prozent der Ermittlungsverfahren endeten in Anklagen oder Strafbefehlen, was eine ganz gute Quote sei. 50 Prozent würden eingestellt, da der Täter nicht ermittelt wurde oder seine Äußerungen zwar „unschön und geschmacklos“, aber durch die Meinungsfreiheit gedeckt seien. Der Rest werde mit Geldauflagen eingestellt oder an andere Bundesländer abgegeben.

Swen Weiland ist Informatiker in der Zentralstelle und sagt, dass gerade in politischen Bereichen die Täter zu ihren Aussagen stehen und mit Klarnamen ihren Hass posten unter dem Motto „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“. Da sei es nicht so schwierig die Quelle zu ermitteln. „Bei Extra-Fakeprofilen dauert es etwas länger.“ Die Göttinger Ermittler haben einen langen Atem. Aber manchmal geht ihnen die Luft aus, denn Volksverhetzung verjährt nach fünf Jahren. Doch das Internet „vergisst“ nie und spült manchmal uralte Beiträge hoch.

Verfolgung und Strafe

MeldenEinige Länder wie Niedersachsen haben Schwerpunktstaatsanwaltschaften gegründet, die Anzeigen gegen Hasskriminalität zentral bearbeiten. Andere haben Spezialdezernate in allen Staatsanwaltschaften. Jede Staatsanwaltschaft, Polizeiwache oder ein Amtsgericht nimmt die Anzeigen entgegen. In Baden-Württemberg gibt es auch ein Meldeportal der Polizei unter

StrafmaßDie Zentralstelle gegen Hasskriminalität in Göttingen nennt Beispiele für Urteile: Ein antisemitischer Post nach einem Brandanschlag auf eine Synagoge in Berlin („Es soll lichterloh brennen…Fertigkochen lassen und nicht helfen“) ist als Volksverhetzung mit 140 Tagessätzen zu 40 Euro geahndet worden. In Bezug auf Migranten ist ein Post („Alle Ausländer sofort erschießen“) mit 120 Tagessätzen zu 30 Euro bestraft worden. chl

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Erstellt:
7. April 2025, 11:44 Uhr
Aktualisiert:
7. April 2025, 11:54 Uhr

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