„An schlechten Tagen gehe ich Müll sammeln“

Linda Behringer sammelt regelmäßig Müll in ihrem Stadtbezirk Möhringen. Bei einem ihrer Spaziergänge erzählt sie, warum sie das macht und was sie so findet.

Mit Greifzange und Müllbeutel ausgestattet dreht Linda Behringer ihre Runden. Meistens mit dabei: Hund Keks.

© /Lichtgut/Ferdinando Iannone

Mit Greifzange und Müllbeutel ausgestattet dreht Linda Behringer ihre Runden. Meistens mit dabei: Hund Keks.

Von Jannik Hiddeßen

Stuttgart - Mittlerweile habe sie einen Tennisarm, klagt Linda Behringer, während sie auf eine Hecke zusteuert. In der Hand hält sie allerdings keinen Tennisschläger, sondern eine Greifzange. Mit geübten Bewegungen fährt sie damit in den Busch und befördert eine grüne Bierflasche zutage. Es ist die erste von vielen an diesem Nachmittag.

Seit zehn Jahren sammelt die Möhringerin, die hauptberuflich im Robotik-Bereich tätig ist, Müll in ihrem Stadtbezirk. Angefangen hat sie damit, nachdem sie von einem mehrjährigen Aufenthalt in Dubai nach Stuttgart zurückgekehrt war. Plötzlich sei ihr der Abfall aufgefallen, der an allen Ecken und Enden auf der Straße und in der Natur liegt. Früher sei die Stadt sauberer gewesen, meint Behringer. „Ich kann doch nicht einfach zusehen, wie mein Möhringen immer mehr verschmutzt“, gibt sie ihre Gedanken von damals wieder. Also legte Behringer los, schnappte sich Greifzange und Müllbeutel und begann aufzuräumen. Mehrmals die Woche ist sie unterwegs.

Am meisten Arbeit machen ihr die Raucher. Auch an diesem Tag findet sie Unmengen an Kippenstummeln und Zigarettenverpackungen, teilweise nur ein paar Schritte neben dem nächsten Mülleimer. Außerdem bemerkenswert: Über einen Monat nach dem Jahreswechsel liegen immer noch Dutzende Raketenteile und Böllerüberreste in Grünstreifen, Hecken und Büschen. Ergänzt durch eine bunte Mischung an Flaschen, Plastikverpackungen und Papiertaschentüchern kommen nach einer Stunde zwei prall gefüllte Mülltüten zusammen. Behringer stellt sie nach ihrem Rundgang neben einem öffentlichen Abfallkorb ab.

Die Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) selbst sammelte vergangenes Jahr circa 3700 Tonnen Müll im öffentlichen Raum ein. In den städtischen Abfallkörben hingegen landeten nur ungefähr 1600 Tonnen. Dabei spricht einiges dafür, dass die Situation in Stuttgart noch vergleichsweise gut ist. In einer repräsentativen Umfrage von 2023 im Auftrag der AWS gaben 83 Prozent der Befragten an, mit der Sauberkeit in Stuttgart insgesamt zufrieden zu sein.

Die positive Wahrnehmung der Stuttgarterinnen und Stuttgarter rührt vielleicht auch daher, dass der Müll nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist. Wo der Gehsteig sauber ist, findet sich häufig trotzdem einiger Abfall in Hecken und Büschen. Entwickelt man wie Behringer einen Blick dafür, sieht man den Müll plötzlich überall. Unter dem Strich ist das Müllsammeln aber ein enttäuschendes Unterfangen. Kommt sie in ein paar Wochen wieder zum selben Ort, kann sie sicher sein, dort neuen Abfall zu finden. Woher nimmt sie das Durchhaltevermögen, gegen die Vermüllung anzukämpfen? „Wahrscheinlich ist es die Wut“, meint Behringer. „Ich kann nicht verstehen, wieso Leute ihren Müll einfach liegen lassen.“

Nur einmal hat sie jemanden auf frischer Tat ertappt. Ein Postbote ließ neben ihr das Fenster herunter, um seinen Verpackungsmüll aus dem Auto zu werfen. Da sei ihr der Kragen geplatzt, und sie habe den Fall zur Anzeige gebracht, erzählt Behringer. Herausgekommen sei dabei allerdings nichts. Es stand Aussage gegen Aussage.

Neben der Wut ist da aber auch noch etwas anderes: nämlich das Gefühl, etwas Gutes zu tun. „Wenn ich einen schlechten Tag habe, gehe ich Müll sammeln. Das ist gut fürs Karma“, sagt sie.

Und manchmal, findet sie sogar Dinge, die kein Abfall sind. So zum Beispiel einen rosaroten Gummi-Spielwürfel in Tennisballgröße, der am Fuß einer steilen Böschung im Gras liegt. Mit einem Lächeln hebt Behringer ihn auf. Ein Mitbringsel für ihre Tochter.

Zum Artikel

Erstellt:
14. Februar 2025, 22:08 Uhr
Aktualisiert:
15. Februar 2025, 21:57 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen