Reichsbürger-Prozess in Stuttgart

Angeklagter erzählt vom „militärischen Arm“ der Rechtsterrorgruppe

Am 25. Verhandlungstag des Reichsbürger-Prozesses erzählt der Mitangeklagte Ralf S. vom „militärischen Arm“ der mutmaßlichen Rechtsterrortruppe. Dabei berichtet er von den Geschichten des selbst ernannten Elitekämpfers Marco van H..

Ein Wachtmeister führt am ersten Verhandlungstag im April Ralf S. in den Saal 1 des Oberlandesgerichtes Stuttgart-Stammheim.

© dpa/Bernd Weißbrod

Ein Wachtmeister führt am ersten Verhandlungstag im April Ralf S. in den Saal 1 des Oberlandesgerichtes Stuttgart-Stammheim.

Von Franz Feyder

In unterirdischen Lagern bei Offenburg habe er gekämpft, um dorthin verschleppte Kinder zu befreien. Verbindungsmann zu einer Allianz sei er gewesen, einem ominösen Zusammenschluss der USA mit Russland, China und weiteren 17 Staaten, der die Welt vom tiefen Staat, dem Deep State, befreien wollte, wenn alles zusammenbreche am Tag X. Nachdem auch in Deutschland die Lichter ausgingen, das Stromnetz zusammenbrach, es zu Plünderungen und Schlimmeren kommen soll.

Marco van H. sei dieser selbst ernannte Elitekämpfer gewesen, schildert der Horner Dachdeckermeister Ralf S. am 25. Verhandlungstag in Saal 1 der Außenstelle des Stuttgarter Oberlandesgerichtes. Zwei Richter und drei Richterinnen des 3. Strafsenats versuchen seit Ende April herauszufinden, was es mit dem „militärischen Arm“ der mutmaßlichen Rechtsterrorgruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß auf sich hat.

Seit jetzt drei Tagen erzählt Ralf S. - und immer wieder von dem Pforzheimer Marco van H.. Der habe erzählt, er sei ein „hohes Tier beim KSK gewesen“, dem in Calw stationierten Eliteverband Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr. Darauf spezialisiert, Geiseln im Ausland zu befreien, in kleinen Trupps hinter feindlichen Linien kritische Infrastruktur zu sabotieren, Terroristen zu fangen oder auszuschalten, wie der militärische Fachbegriff das Wort töten umschifft.

Jetzt war van H. nie im KSK, sondern absolvierte nur elf Monate Grundwehrdienst im Transportbataillon 492 in Dillingen an der Donau, karrte also Mitte der 1990er Jahre Munition, Diesel und Ausrüstung durch Süddeutschland. Und machte sich einen Namen als Kleinkrimineller. 17 Eintragungen weist das Strafregister für den notorisch klammen Mann aus. Vor allem Körperverletzungen und Betrügereien wie diese: Um bei einem Gerichtsvollzieher die Schulden des Vaters eines Cousins seiner Ehefrau zu bezahlen, erhielt er 900 Euro. Die steckte er in die eigene Tasche, kehrte jedoch zu dem Mann zurück und gab vor, bei dem Gerichtsvollzieher seien weitere 900 Euro zu begleichen. Der Cousin kratzte weitere Euro zusammen und übergab sie van H. - der das Geld in die eigene Tasche steckte.

Betrüger und Schläger

Einem türkischstämmigen Autoreparateur knöpfte er 8842 Euro Vorkasse für Werkzeuge und Maschinenteile ab, ohne diese je liefern zu können. Er schlug einen Wirt, seinen Vermieter und eine Frau zusammen, beleidigte Polizisten - und gab sich als Oberleutnant des KSK aus bis hin zu seinen Codenamen in Chats mit seinen mutmaßlichen Mitverschwörern, denen er als „Marco KSK“ bekannt war.

Der also gab vor, so erzählt es Ralf S., in unterirdische Lager im Raum Offenburg eingedrungen zu sein, um dort gefangen gehaltene Kinder zu befreien. Kinder, deren Blut abgenommen wurde, aus dem ein lebensverlängerndes Elixier für Politiker des tiefen Staates gewonnen werde. Zum Beweis seien Bilder vorgezeigt worden: An Wände gekettete Kinder „mit überall Schläuchen drin, mit denen das Blut abgezapft wurde“. Ob die Fotos von van H. verbreitet wurden, erinnert sich S. nicht mehr.

Leopard-Kampfpanzer für Horb am Neckar

Wie auch daran, wer das Gerücht verbreitete, dass in einer norddeutschen Klinik „Frühgeburten eingeleitet wurden, den Eltern gesagt wurde, die Kinder seien gestorben aber in Wirklichkeit verkauft wurden“. Und Corona-Geimpfte seien unzurechnungsfähig, die „könnten anderen Menschen schaden“. Fest aber steht für Ralf S.: Mittendrin sei van H. gewesen: „Er hatte auf alles Antworten und Belege.“

Nur nicht auf die Frage, was es mit der ominösen Allianz auf sich habe. Da habe es nie Antworten gegeben. Während van H. eine tragende Rolle in den zur Last gelegten Umsturzplänen der Reuß-Gruppe einnahm. Er habe eine Ausrüstungsliste eingefordert für eine von S. zumindest zeitweise befehligte „Heimatschutzkompanie“. Deren Aufgabe für den Raum von Freudenstadt bis Tübingen sei es gewesen, nach einem Stromausfall auf Anordnung der Allianz für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Als Ersthilfe für Kranke und Verletzte ebenso wie militärisch. Sein Mitangeklagter Mathias H., so schildert Ralf S., habe handschriftlich eine Wunschliste erstellt: Gewehre, Panzerfäuste um „Plünderer auch in Häusern beschießen zu können“, vier kleine Luftlandepanzer vom Typ Wiesel, ausgestattet mit einer Bordmaschinenkanone vom Kaliber 20 Millimeter. Sogar vier Leopard-Kampfpanzer seien vorgesehen gewesen. „Ich hab mich gefragt, wer das Zeugs fahren soll“, sagt S., dessen Zweifel nach vorgesagten aber ausgebliebenen Stromausfällen und dem Zusammenbruch jeder Ordnung wuchsen.

Die Freundin liest dem mutmaßlichen Verschwörer die Leviten

Zumal ihm seine Lebensgefährtin „die Leviten gelesen hat. Ich hatte mich verrannt und wollte mein altes Leben zurück. Meine Freundin riet mir, die Notbremse zu ziehen.“ Bedenken, die er mit seinem Mitangeklagten Markus H. teilte. Gemeinsam verfassten sie eine Gesprächsnotiz “Geschehnisse durch Marco van H.”, weil “berechtigte Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussagen” van H.s bestünden. Ziel sei es gewesen, herauszufinden was alles nicht stimmt und es dann zur Anzeige zu bringen. Zumal den beiden dämmerte, dass sie inzwischen selbst Straftaten begangen haben könnten.

Irgendwann im Spätsommer, Herbst 2022 wurde Ralf S. seines Amtes als Kompaniechef enthoben - durch van H: „Am Ende habe ich selbst nicht mehr gewusst, was wahr ist und was nicht.“ S. erzählt ruhig, sachlich, macht deutlich, wo er sich nicht erinnert oder wo er sich nicht sicher ist, ob er sein Wissen aus den Ermittlungsakten oder aus seiner Erinnerung hat. Er bereue, was er getan habe.

Pullover mit dem Film-Vorbild im Prozess

Reue scheint für Markus L. hingegen fremd zu sein. Der Reutlinger soll im März 2023 bei einem Schusswechsel mit der Polizei einen SEK-Beamten angeschossen und schwer verletzt haben. Motivierend für L. Wirkte die Filmfigur „Punisher“, der Bestrafer, der Selbstjustiz übend durch US-amerikanische Straßen wandelt. Ein schwarzes Sweatshirt mit dem Emblem des Punishers trug Markus L. zum 25. Verhandlungstag. Ralf S. will am kommenden Montag, 14. Oktober, weiter aussagen.

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Erstellt:
9. Oktober 2024, 14:37 Uhr

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