Apotheken im Raum Backnang protestieren am Mittwoch

Am Mittwoch sind alle Apotheken im Raum Backnang wegen des bundesweiten Protesttags geschlossen. Mit der Aktion machen die Apotheker auf ihre Probleme aufmerksam und geißeln die unzureichende Vergütung, die ständig steigenden Anforderungen und die ausufernde Bürokratie.

Apothekerin Katja Ganser im Gespräch mit der Kundin Isabell Reißing. Am Mittwoch gibt es solch eine Beratung nicht. Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Apothekerin Katja Ganser im Gespräch mit der Kundin Isabell Reißing. Am Mittwoch gibt es solch eine Beratung nicht. Foto: Stefan Bossow

Von Christine Schick und Matthias Nothstein

Backnang. Übermorgen greifen die Apotheker bundesweit zum letzten Mittel des Protests: Sie streiken. Auch in Backnang und Murrhardt bleiben an diesem Mittwoch alle Apotheken geschlossen. Die örtlichen Apotheker solidarisieren sich so mit dem Apothekerverband und auch untereinander, wenngleich dies einigen ganz offensichtlich nicht leichtfällt. Doch der Leidensdruck ist inzwischen für alle Apotheker zu hoch, sie müssen etwas unternehmen.

Unter dem Motto „Apotheken kaputtsparen? Mit uns nicht!“ wollen sie auf die massiv steigenden Kosten und die davongaloppierende Inflation aufmerksam machen. Es gibt immer weniger Apotheken, gleichzeitig immer mehr zu versorgende Patienten mit überproportional mehr unbezahlten Aufgaben und Bürokratie. Und das alles mit einer Vergütung, die aufs Jahr 2004 zurückgeht. Die Streikenden sind sich einig: „Das führt zu einer Perspektivlosigkeit.“

Lieferengpässe bereiten zusätzlichen Aufwand

Die derzeitigen Missstände haben auch schon im Raum Backnang zur Schließung mehrerer Apotheken beigetragen. Die Forderungen sind seit Langem bekannt: Die Vergütungen müssen angehoben und die Bürokratie muss abgebaut werden. Thomas Förster von der St.-Johannes-Apotheke und der Apotheke im Gesundheitszentrum in Backnang verweist zum Beispiel darauf, dass die Lieferengpässe aktuell für einen riesigen Mehraufwand sorgen.

Und Iris Lüdecke von der Backnanger Apotheke am Obstmarkt konkretisiert: „Oft ist ein Medikament nicht lieferbar. Die Mitarbeiter klären mit dem Arzt ab, ob ein anderes Produkt möglich ist und checken auf allen Kanälen, ob dieses dann lieferbar ist. Das kostet alles Zeit und Nerven und wird nahezu gar nicht honoriert.“ Förster bestätigt dies und lobt sein Team: „Die Mitarbeiter machen einen tollen Job.“

Die flächendeckende Versorgung scheint in Gefahr zu sein

Trotz der großen Verärgerung über die Politik und die Kassen fällt es den Apothekern schwer, die Türen abzuschließen. Weniger wegen der finanziellen Einbußen, die werden von den meisten lokalen Apothekern nur ganz am Rande erwähnt. Sondern vielmehr wegen der Menschen, die übermorgen nur in Notfallapotheken versorgt werden. Die nächste im Raum Backnang ist die Löwen-Apotheke in Sulzbach an der Murr. Volker Müller von der Backnanger Schillerapotheke sagt: „Ich weiß nicht, wie die Bevölkerung reagiert. Aber es muss etwas geschehen. So kann es nicht weitergehen.“

Ihn ärgert kolossal eine Aussage „aus Berlin“, wonach die Apotheken mehr Umsatz machen würden, wenn sich ihre absolute Zahl reduziere. Und es ärgern ihn die ständig steigenden Anforderungen, zum Beispiel im Bereich Digitalisierung. „Das kostet alles Geld, aber unsere Vergütung sinkt.“ Iris Lüdecke ist sich sicher: „Unter diesen Umständen können wir unsere Qualität und die flächendeckende Versorgung nicht aufrechterhalten. Es ist höchste Zeit, dass die Öffentlichkeit von diesem Thema erfährt, und da ist dieser Streiktag richtig und wichtig.“

Thomas Förster sagt: „Es fällt uns nicht leicht, aber da laufen ein paar Dinge in die falsche Richtung. Deshalb ist es jetzt die richtige Zeit, ein Zeichen zu setzen.“ Den Aktionstag bezeichnet Förster als außergewöhnlich. Er könne sich nicht daran erinnern, das Apotheken schon einmal gestreikt hätten, mit Ausnahme einer Aktion vor etwa zwölf Jahren. Damals wurde die Versorgung nur durch die Notdienstklappe vorgenommen.

In Murrhardt protestieren alle Apotheken mit

In Murrhardt schließen sich alle drei Apotheken der Stadt dem Protesttag an, um auf die aus ihrer Sicht immer schwierigeren Bedingungen in der Branche aufmerksam zu machen. Katja Ganser von der Walterich-Apotheke freut sich über diese Geschlossenheit und Solidarität. „Es geht darum, ein Signal an die Regierung zu senden, dass es so nicht mehr weitergeht. Im vergangenen Jahr haben allein 400 Apotheken geschlossen. Viele können den Betrieb nicht mehr stemmen angesichts der gestiegenen Kosten und sinkenden Einnahmen“, sagt sie. Keine Angleichung bei den Honoraren seit zehn Jahren, erhöhter Kassenrabatt von zwei Euro pro verschreibungspflichtigem Medikament sowie eine enorme Bürokratie sind ihre zentralen Stichworte.

Als problematisch beschreibt sie zudem die Praxis von Kassen, die Kostenübernahme wegen eines Formfehlers beim Rezept auf null zu setzen („Wir haben ja die Leistung erbracht und die Medikamente an den Kunden weitergegeben“) und die langwierigere Fachrecherche vor dem Hintergrund von Lieferengpässen mit einer 50-Cent-Pauschale abzuspeisen. „Apotheken verursachen unter zwei Prozent der Gesamtkosten des Gesundheitssystems, dennoch versucht man bei uns immer weiter einzusparen.“ Sie sieht die flächendeckende Versorgung gefährdet: „Wir machen die Aktion auch für unsere Kunden. Sonst wachen wir irgendwann auf und wissen nicht, wo wir unsere Medikamente besorgen können.“

Gestiegene Kosten bei gleichbleibender Vergütung

Für Kai Uwe Hermann, Inhaber der Hörschbach-Apotheke, sind die Gründe, sich beim Protesttag zu beteiligen, vielfältig, der Druck sei aber mittlerweile so hoch, dass die Branche sich über diesen Notruf Gehör verschaffen wolle. Auch er schildert die wirtschaftliche Lage vor dem Hintergrund von teils massiv gestiegenen Kosten und einer seit zehn Jahren gleichbleibenden Vergütung, Lagerrisiken, Preisschwankungen sowie „Kassenwillkür“ bei der sogenannten Retaxierung (keine Vergütung bei Formfehlern) als äußerst schwierig.

Hinzukomme die Bürokratie. „Ich könnte mich drei Wochen im Büro einschließen, um das abzuarbeiten. Wir kommen da eigentlich nicht mehr hinterher.“ Angesichts der Apothekenschließungen sagt er außerdem: „Das wird den ländlichen Raum als Erstes treffen.“ Hermann ärgert auch die Diskussion auf politischer Ebene, die mit Halbwahrheiten geführt werde. Ein Beispiel: Mit dem Umsatz von Apotheken zu argumentieren sei unseriös, weil der Ertrag die entscheidende Maßzahl für die wirtschaftliche Situation sei. „Es sind viele Baustellen, die Thematik ist komplex“, erläutert er, aber dass er sich eine ehrlichere und detaillierte Diskussion wünsche.

Auch Stefan Wahl, der die Vitalwelt-Apotheke in Murrhardt und drei weitere Apotheken im Kreis Schwäbisch Hall betreibt, schließt sich dem Protesttag an. Die Rahmenbedingungen inklusive Lieferengpässe seien so schwer, dass die Versorgung der Patienten mittlerweile schon gefährdet sei. „Das ist ein Problem, das uns alle betrifft.“ In den vergangenen Jahren habe man noch vieles abfedern können, aber das werde immer schwieriger. Das jetzige System müsse auf den Prüfstand, Punkte wie den Preis immer weiter zu drücken – ohne Limit. „Wir wollen nicht gegen die Kunden agieren“, sagt er. „Die Patienten müssen eine schlechte Versorgung allerdings dann auch ausbaden und das kann in einem Industrieland wie Deutschland nicht sein.“

Initiative „Gegen Zukunftsklau“

Zukunftsperspektive Fast alle der rund 2300 Apotheken in Baden-Württemberg leiden unter Nachwuchsmangel und Personalnot. Zugleich befürchten viele junge Apothekerinnen und Apotheker, dass ihr Arbeitsplatz mangels Unterstützung durch die Politik gefährdet ist. Die Apotheker in Baden-Württemberg unterstützen deshalb die bundesweite Initiative „Gegen Zukunftsklau“, die am Tag der Apotheke (7. Juni) von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) gestartet wurde und an der sich Hunderte Pharmazeuten aus der ganzen Republik beteiligen.

Apothekensterben In Baden-Württemberg gibt es derzeit 2265 öffentliche Apotheken, das sind fast 900 Betriebsstätten weniger als noch vor 30 Jahren. Dort arbeiten ungefähr 21000 Beschäftigte, darunter 90 Prozent Frauen. Auf den kammer- und verbandseigenen Stellenportalen sind aktuell mehrere Hundert freie Stellen ausgeschrieben.

Ausbildung In Baden-Württemberg kann man Pharmazie in Freiburg, Heidelberg und Tübingen studieren. Dort fangen jedes Jahr 275 junge Menschen mit dem Studium an.

Notdienst Am bundesweiten Protesttag am Mittwoch wird die Arzneimittelversorgung nur über die Notdienstapotheken aufrechterhalten. Für den Raum Backnang ist an diesem Tag die Löwen-Apotheke in Sulzbach an der Murr zuständig. Die Apotheken empfehlen den Kunden, dass diese sich ihre Medikamente vorausschauend an anderen Tagen besorgen und Fragen möglichst vorher klären sollen.

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Erstellt:
12. Juni 2023, 06:00 Uhr

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