Apothekengeschäft in Backnang schwierig wie noch nie

Die Easy-Apotheke in der Backnanger Grabenstraße hat nach 14 erfolgreichen Jahren zuletzt wegen Personalmangel schließen müssen. Die verbliebenen Apotheker klagen über sinkende Einnahmen, steigende Kosten, ausufernde Bürokratie und ausblutende Innenstädte.

Iris Lüdecke ist überzeugt davon: Die Beratung in der Apotheke vor Ort kann von Internetapotheken nicht ersetzt werden. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Iris Lüdecke ist überzeugt davon: Die Beratung in der Apotheke vor Ort kann von Internetapotheken nicht ersetzt werden. Foto: Alexander Becher

Von Matthias Nothstein

Backnang. In den vergangenen Jahren herrschte aus unterschiedlichen Gründen allerhand Bewegung in der Backnanger Apothekenlandschaft. Zur Erinnerung: Die Obere Apotheke an der Marktstraße hat schon seit weit über zehn Jahren geschlossen, dort gingen 2011 das letzte Mal Medikamente über die Ladentheke. Es folgte ein Jahr später in derselben Straße das Aus der Adler-Apotheke nur einen Steinwurf weit entfernt. Dann kam 2017 das Ende für die Uhland-Apotheke, ebenfalls nur einen Katzensprung weiter in der Innenstadt. Und nun ist auch Schicht im Schacht bei der Easy-Apotheke in der Grabenstraße. Dort hat Geschäftsführer Karl Kolp Ende März zum letzten Mal den Rollladen heruntergelassen. Und um das Bild abzurunden: Ende des vergangenen Jahres hat auch die Sturmfeder-Apotheke als Einzige ihrer Art in Oppenweiler dauerhaft geschlossen.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass im gleichen Zeitraum neue Geschäfte dazukamen. So etwa die Raphael-Apotheke in der Gerberstraße sowie die Apotheken im Gesundheitszentrum und im Kaufland. Wobei es dabei einen wesentlichen Unterschied gibt: Zumindest die beiden Letzteren gehören nicht zur unmittelbaren Innenstadt.

Viele Ursachen für Geschäftsausgaben

Die Gründe für die Geschäftsaufgaben sind vielfältig. In jüngster Zeit schält sich als ein Hauptproblem der Fachkräftemangel heraus. Bei der Easy-Apotheke gab dies den Ausschlag. Karl Kolp, der seine Hauptapotheke in Kornwestheim betreibt und dort sogar noch eine Filiale unterhält, sagt: „Es gab keine andere Lösung mehr als die Schließung, weil ich kein Personal gefunden habe.“ Konkret geht es um ausgebildete Apotheker, denn ein solcher muss laut Gesetzgeber ständig vor Ort sein. Und da ein solcher Experte nicht dauerhaft 60 Stunden pro Woche vor Ort sein kann, benötigt man für eine Apotheke mindestens zwei solcher Kräfte. Kolp: „Wir waren jahrelang auf der Suche und zuletzt zum Teil auch unterbesetzt, jetzt ging es nicht mehr.“ Die hohe Arbeitsbelastung beim Personal führt dann im Gegenzug zu Unzufriedenheit wegen Überlastung und zu Krankheitsausfällen, was dann die ganze Situation weiter anspannt. Von der Schließung sind zehn Mitarbeiter betroffen. Die Schließung ist auch ärgerlich, weil der Laden brummte. Kolps Einschätzung: „Es war eine gute Lage. Das Geschäft lief vom ersten Tag an sehr gut.“

Für Thomas Förster von der Johannes-Apotheke kam das Aus für den Mitbewerber überraschend, „damit hatte ich nicht gerechnet“. Doch auch er klagt vor allem über die wirtschaftlichen Veränderungen und die ausufernde Bürokratie. Während sich die Vergütungen der Kassen seit über zehn Jahren nicht verändert hätten, müssten die Inhaber gleichzeitig deutlich höhere Kosten verkraften. Egal ob Mieten, Energiekosten, Lohnkosten oder andere Sachaufwendungen, die Kosten gehen immer nur in eine Richtung – nach oben. Deshalb ist Förster überzeugt, „dass mit der jüngsten Apothekenschließung das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist“. Irgendwann sei es so weit, „dass eine Apotheke nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden kann“, prognostiziert er. Dabei ist ihm ein Glücksgriff gelungen. Denn er konnte 2013 im neuen Gesundheitszentrum eine Filiale eröffnen, die seitdem bestens läuft. Unter anderem deshalb, weil in dem Gebäude mehrere Ärzte untergebracht sind. „Rückblickend war die Entscheidung, diese Filiale zu eröffnen, der richtige Schritt“, sagt Förster. Vor allem deshalb, weil an seinem Stammsitz am Burgplatz zwei Ärzte aufgegeben haben. Die Suche nach Nachfolgern blieb erfolglos.

Kurze Wege sind extrem wichtig

Dabei sind Ärzte in direkter Umgebung das A und O für den erfolgreichen Betrieb einer Apotheke, ist Volker Müller überzeugt. Der Inhaber der Schiller-Apotheke weiß, wovon er spricht, in seiner direkten Nachbarschaft praktizieren viele Mediziner. Für Müller ist jedoch ebenso wichtig, dass die Patienten mit dem Auto vorfahren können, weshalb er die Schließung der Grabenstraße für den Durchgangsverkehr entschieden ablehnt. Er erinnert an Menschen, die gebrechlich, krank oder verletzt sind, oder an Eltern von fiebrigen Kindern. Für sie sei es untragbar, etwa auf der Bleichwiese zu parken und dann in der Schiller-Apotheke ein Rezept einzulösen. Dass kurze Wege extrem wichtig sind, ist auch eine Erfahrung, die Verantwortliche der Center-Apotheke im Kaufland gemacht haben. Als vor Jahren das Kaufland an der Sulzbacher Straße neu gebaut wurde, musste die Apotheke in Container auf dem Parkplatz beim Kaufland an der Weissacher Straße umziehen. Dort lief das Geschäft so gut, dass die Aussage eines Mitarbeiters überliefert ist: „Hier könnten wir für immer bleiben.“ Auch Müller geißelt die Bürokratie und die Dokumentationspflicht, die Zeit kostet und die Tätigkeit unattraktiv mache. Ganz besonders leidet auch sein Betrieb unter dem Nachwuchsmangel, weshalb sowohl er mit 82 Jahren als auch seine Frau Irene mit 81 Jahren noch täglich im Geschäft stehen, stehen müssen.

Wie wichtig das Umfeld ist, hat Iris Lüdecke von der Apotheke am Obstmarkt in den vergangenen Jahren hautnah erfahren. Die lange Baustelle im Zusammenhang mit den Kronenhöfen war dem Geschäft nicht förderlich. Und die Straßenarbeiten gehen in den nächsten Jahren weiter. Die Inhaberin erklärt: „Jede Apotheke hat eine spezifische Ausrichtung. Wir leben davon, dass die Innenstadt sehr belebt ist und die Kunden trotzdem mit dem Auto vor der Tür parken können.“ Wenn sich jedoch die Innenstadtsituation weiter ändert, befürchtet Lüdecke, Schwierigkeiten zu bekommen. „Wir benötigen die Frequenzbringer wie Post, Ärzte, Banken oder den Wochenmarkt.“ Sie fordert deshalb von den Stadtplanern, die Weichen so zu stellen, dass nicht alle Geschäfte an den Stadtrand abwandern.

Beratung als Vorteil gegenüber Internetapotheken

Wie alle in der Branche klagt auch Lüdecke über die ständig steigenden Kosten und die gleichbleibenden Einnahmen. So verweist sie auf die jüngste Änderung, wonach die Apotheken 20 Cent pro Packung mehr an die Krankenkassen vergüten müssen. Für Lüdecke handelt es sich dabei um einen Betrag von 5000 Euro pro Monat. Gleichzeitig hofft sie darauf, auch wieder ein Stück von dem Kuchen abzubekommen, der zuletzt an die Versandapotheken verloren wurde. So stehen sie und ihr Team zum Beispiel bereit, deutlich mehr mit Online-Rezepten zu arbeiten. „Wir sind vorbereitet, wir haben einen Online-Shop und eine App und haben auch Angebote wie jene, mit denen die Internetapotheken werben.“ Allerdings hakt es laut Lüdecke zum Beispiel beim E-Rezept noch am Datenschutz, da haben die Verantwortlichen noch Hausaufgaben.

Laut Lüdecke sollten sich alle Bürger fragen, ob sie die Bedeutung der Vor-Ort-Apotheke richtig würdigen. „Wir bekommen sehr oft gesagt, ,Sie wissen ja mehr als der Arzt‘.“ Das ist ein gravierender Unterschied zu den Internetmöglichkeiten. Lüdecke: „Wir beraten unsere Kunden herzlich, kompetent und umfassend.“ Außerdem ist die Apotheke vor Ort im Notfall unersetzlich. So schildert die Apothekerin gestern: „Ich hatte den Feiertag und die ganze Nacht Notdienst und habe in dieser Zeit 250 Patienten betreut, auch nachts. Im Notfall brauchen die Menschen Babynahrung, Fieber- und Durchfallmittel oder die Pille danach, da hilft kein Internet.“ Bislang mussten die Apotheken im Raum Backnang jeden 13. Tag den Notdienst übernehmen, nach der Schließung der Easy-Apotheke künftig sogar jeden zwölften Tag.

Die Situation hat sich in den vergangenen Jahren verschärft

„Backnang ist insgesamt sehr gut aufgestellt und hat eine hohe Versorgungsqualität vorzuweisen“, lautet die Stellungnahme von Oberbürgermeister Maximilian Friedrich. Er verweist darauf, dass er im ständigen Austausch mit den Apothekern steht. Friedrich: „Die Situation hat sich in den vergangenen Jahren zwar verschärft, allem voran durch den Fachkräftemangel, durch zunehmende Bürokratie und durch die Konkurrenz infolge von Online-Apotheken. Trotzdem mussten wir in der jüngeren Vergangenheit nur die Apothekenschließung in der Grabenstraße verzeichnen. Dafür wird dort und andernorts wie etwa in der Oberen Walke zeitgleich nach Ersatz gesucht.“

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Erstellt:
20. Mai 2023, 06:00 Uhr

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