Arbeitsbelastung von Bürgermeistern im Rems-Murr-Kreis

60 Arbeitsstunden und mehr die Woche, Abend- und Wochenendtermine, ständige Verfügbarkeit – dazu zunehmend Bedrohungen und Beschimpfungen: Bürgermeisterinnen und Bürgermeister arbeiten häufig an der Belastungsgrenze.

Wochenendtermine gehören für Amtsträgerinnen und Amtsträger zum Alltag. Am ersten Aprilsonntag dieses Jahres nehmen Kai-Uwe Ernst (Dritter von links), Patrizia Rall (daneben) und Daniel Bogner (Zweiter von rechts) an der Einweihung des Wanderwegs „Auweia“ teil.

© Alexander Becher

Wochenendtermine gehören für Amtsträgerinnen und Amtsträger zum Alltag. Am ersten Aprilsonntag dieses Jahres nehmen Kai-Uwe Ernst (Dritter von links), Patrizia Rall (daneben) und Daniel Bogner (Zweiter von rechts) an der Einweihung des Wanderwegs „Auweia“ teil.

Von Melanie Maier

Rems-Murr. Wer sich für den Beruf des Bürgermeisters beziehungsweise der Bürgermeisterin entscheidet, kann den Begriff Work-Life-Balance wohl getrost aus seinem Vokabular streichen – zumindest, wenn es um die eigene geht. Die Entscheidung für das Amt geht so gut wie immer mit dem Verzicht auf geregelte Arbeitszeiten einher. Abend- und Wochenendtermine stellen eher die Regel als die Ausnahme dar. Dazu gelten Bürgermeister als stets im Dienst. Nicht nur zu den Sprechzeiten im eigenen Büro, sondern auch in der Supermarktschlange oder im Restaurant werden sie auf Schlaglöcher oder die nicht funktionierende Straßenlaterne aufmerksam gemacht.

Die zunehmende Bürokratie sowie der enge finanzielle Rahmen, dem Kommunen unterliegen, stellen für die Amtsträgerinnen und Amtsträger eine zusätzliche Belastung dar. Beides erschwert es ihnen, ihre vielen Aufgaben zu erfüllen. Nicht zuletzt sehen sie sich mit einem immer rauer werdenden Umgangston konfrontiert, teils verbunden mit Beschimpfungen und Bedrohungen. Oft geschieht dies online in sozialen Medien, immer öfter aber auch von Angesicht zu Angesicht. Vielerorts finden sich daher kaum noch Bewerber, die den Chefsessel im Rathaus erklimmen wollen.

Das lässt sich auch im Raum Backnang beobachten. Um einen kleinen Einblick in ihren herausfordernden Berufsalltag zu gewinnen, haben wir den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der 13 Kommunen des BKZ-Verbreitungsgebiets eine Reihe von Fragen gestellt. Fast alle Amtsträger haben sich an der Umfrage beteiligt, einige haben sich sogar im Urlaub Zeit dafür genommen.

Ohne Überstunden geht es nicht

Arbeitszeit Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind Wahlbeamte auf Zeit und haben nach dem Landesbeamtengesetz 41 Stunden pro Woche an Regelarbeitszeit. So die Theorie. In der Praxis sei das jedoch unrealistisch, heißt es von allen Befragten. Ihre wöchentliche Arbeitszeit geben sie mit durchschnittlich 50 bis 70 Arbeitsstunden an. Zeitweise können es auch 80 Wochenstunden sein. Überstunden werden in der Regel nicht erfasst und somit auch nicht ausgeglichen. Das gehört für alle Befragten aber zum Berufsbild dazu. „Bürgermeister ist kein Beruf, um auf die Uhr zu sehen“, sagt etwa Murrhardts Bürgermeister Armin Mößner. „Man ist es mit Leib und Seele oder am besten nicht.“ Backnangs Oberbürgermeister Maximilian Friedrich fügt hinzu: „Ich habe es mir allerdings angewöhnt, meine Freiräume wie meine Termine zu planen, da ansonsten keine vorhanden wären.“

Abend- und Wochenendtermine Der Grund für die zahlreichen Arbeitsstunden sind vor allem die zusätzlichen Abend- und Wochenendtermine, deren Anzahl je nach Zeitpunkt im Jahr variiert. Durchschnittlich sind es bei den meisten der Befragten etwa 10 bis 20 zusätzliche Termine pro Monat. Denn Bürgermeister leiten nicht nur die Gemeinderats- und Ausschusssitzungen, sie nehmen an zahlreichen Veranstaltungen teil, darunter Vereinsfeste, Firmenjubiläen, Besprechungen, Einweihungen, Bürgerbeteiligungen und -empfänge, Infoabende sowie weiteren Veranstaltungen benachbarter Kommunen und des Landkreises. Hinzu kommen außerdem diverse ehrenamtliche Verpflichtungen wie das Engagement in überörtlichen Gremien, lokalen Vereinen, Organisationen und Zweckverbänden. Die Arbeitsbelastung ist je nach Zeitpunkt im Jahr verschieden: Vor Weihnachten und den Sommerferien ist sie am größten, weil vorher vieles abgearbeitet werden muss. Da komme man mitunter schon einmal auf eine Siebentagewoche, sagt Weissachs Bürgermeister Daniel Bogner, wobei es sich bei den Festlichkeiten ja auch um sehr gesellige Veranstaltungen handle, die nicht mit der sonstigen Bürotätigkeit vergleichbar seien. Während der Feiertage beziehungsweise in den Ferien ist naturgemäß viel weniger los.

Abstand im Urlaub ist in der Praxis oft schwierig

Urlaub Auch beim Thema Urlaub liegen Theorie und Praxis meist weit auseinander. Wie sämtliche Mitarbeiter des öffentlichen Diensts hat ein Bürgermeister eigentlich 30 Urlaubstage pro Jahr, dazu kommt ein sogenannter Arbeitszeitverkürzungstag, der allen Beamtinnen und Beamten zusteht. In der Praxis schafft es jedoch keiner der Befragten, alle Urlaubstage in Anspruch zu nehmen. Bei den meisten verfällt ein großer Teil. Und auch im Urlaub können viele die Arbeit nicht komplett ruhen lassen. „Denn selbst in der vermeintlich ruhigen Sommerzeit kommen Themen auf, die keinen Aufschub zulassen“, erklärt Auenwalds Schultes Kai-Uwe Ernst, der die BKZ-Umfrage bezeichnenderweise in Japan beantwortet hat.

Für die Bürgerinnen und Bürger gibt’s Freibier, Maximilian Friedrich schenkt aus. Auch am Backnanger Straßenfest ist der Oberbürgermeister natürlich im Amt. Archivfotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Für die Bürgerinnen und Bürger gibt’s Freibier, Maximilian Friedrich schenkt aus. Auch am Backnanger Straßenfest ist der Oberbürgermeister natürlich im Amt. Archivfotos: Alexander Becher

Arbeitsbelastung Als „hoch“, „sehr hoch“ oder „enorm“ bezeichnen die Amtsträgerinnen und Amtsträger unseres Verbreitungsgebiets ihre Arbeitsbelastung. Die Herausforderungen, die ihr Beruf mit sich bringt, sind vielfältig. „Man hat es mehrmals täglich mit ganz unterschiedlichen Themen und Problemfeldern zu tun“, führt Burgstettens Rathauschefin Irmtraud Wiedersatz aus. „Das bedeutet, man muss über viel Fachwissen in verschiedenen Bereichen verfügen und sich oft auf neue Situationen einstellen. Man ist Ansprechpartner für Bürgerinnen und Bürger, Chef der Verwaltung, Seelsorger, Verhandlungspartner, Visionär, Krisenmanager, Kommunikator, Vorsitzende des Gemeinderats, Repräsentant der Gemeinde und vieles mehr in einer Person.“

Für Patrizia Rall, Bürgermeisterin von Allmersbach im Tal, ist eine der größten Herausforderungen, für jedes Thema die beste Lösungsmöglichkeit für die Gemeinde zu finden. Jede Entscheidung sei mit einem großen Maß an Verantwortung verbunden. Als weitere Herausforderung sieht sie die Aufgaben, die den Kommunen von Bund und Land auferlegt werden, ohne zugleich jedes Mal die Mittel dafür zur Verfügung gestellt zu bekommen – wie etwa bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagesbetreuung für Grundschulkinder. Aspachs Rathauschefin Sabine Welte-Hauff erinnert außerdem daran, dass bei einer personellen Unterbesetzung die Aufgabenerledigung am Ende auf den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin zurückfällt.

Viele Themen werden in die Freizeit mitgenommen

Freizeit Die Themen, die sie tagsüber beschäftigen, nehmen viele Rathauschefs in ihre Freizeit mit. Sich im Feierabend davon loszusagen gelingt einigen mehr, anderen weniger und hängt selbstverständlich auch vom Thema ab. „Ein komplettes Abschalten ist tatsächlich nur im Urlaub möglich und nicht am Heimatort“, sagt etwa Althüttes Bürgermeister Reinhold Sczuka. Um das dauerhaft hohe Arbeitspensum stemmen und den damit einhergehenden Stress wegstecken zu können, bedarf es den Befragten zufolge einer guten Stressresilienz und viel Rückhalt in der Familie. Manche finden im Sport einen Ausgleich, so spielt Patrizia Rall beispielsweise Tennis, Daniel Bogner Fußball. Armin Mößner arbeitet gern im Garten, fährt Fahrrad und im Winter Ski, geht mit seinem Hund spazieren, liest oder kümmert sich um sein Stückle. „Leider schaffe ich es nicht mehr, aktiv Blasmusik zu machen. Das fällt mir hin und wieder schwer“, sagt der Murrhardter Rathauschef.

Anfeindungen Dass ein Bürgermeister auch einmal Kritik einstecken muss, gehört zum Job dazu. Ein dickes Fell sollte man an der Verwaltungsspitze auf jeden Fall haben. Doch in den zurückliegenden Jahren hat sich der Umgangston nach Beobachtung der Befragten zunehmend verschärft. „Generell ist durchaus festzustellen, dass der Respekt innerhalb der Gesellschaft abnimmt“, sagt etwa Maximilian Friedrich. „Und dass sich der vorhandene Unmut immer mal wieder gegen Personen der Öffentlichkeit richtet.“ Die meisten der Befragten sind bei der Ausübung ihres Amts schon beleidigt worden, einige sogar schon bedroht. In mehreren Fällen musste die Polizei hinzugezogen werden. Mindestens eine Person hat schon an einer Schulung des Landeskriminalamts teilgenommen, bei der Verwaltungsmitarbeitenden gezeigt wird, wie sie mit konkreten Bedrohungslagen umgehen können – und diese als sehr hilfreich empfunden. Im Großen und Ganzen fühlen sich die Rathauschefs im Raum Backnang aber sicher.

Erfüllung Jede und jeder einzelne der Befragten würde sich wieder für das Amt entscheiden. An ihrem Beruf schätzen die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor allem die Aufgabenvielfalt, die Gestaltungsmöglichkeiten und den Kontakt zu vielen verschiedenen Menschen. „Auch wenn es kitschig klingt, aber Bürgermeister ist für mich kein Beruf, sondern eine Berufung“, fasst Kai-Uwe Ernst stellvertretend für seine Kolleginnen und Kollegen zusammen.

Jungen Menschen würden sie aber nur unter bestimmten Voraussetzungen dazu raten, den Beruf zu ergreifen. Man sollte sich der Auswirkungen auf das Privatleben bewusst sein, sich charakterlich für das Amt eignen – kritikfähig, empathisch, aufgeschlossen und heimatverbunden sein – sowie eine entsprechende Ausbildung oder ein Studium mitbringen. Zu jung sollte man nicht sein, fügt Bernhard Bühler, Bürgermeister in Oppenweiler, hinzu: „Es braucht dafür ein ordentliches Maß an Lebens- und Berufserfahrung.“ Für die richtige Person, erklären die Befragten geschlossen, könne der Beruf aber außerordentlich erfüllend sein. „Es ist nach wie vor einer der schönsten Jobs“, betont Großerlachs Rathauschef Christoph Jäger.

Kommentar
Mehr Unterstützung ist dringend nötig

Von Melanie Maier

Dass Abend- und Wochenendtermine für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zum Job gehören, ist klar. Darüber sind sich diejenigen, die den Beruf ergreifen, in aller Regel auch im Klaren. Doch gerade vor dem Hintergrund dessen, wie viele Opfer die Rathauschefs bezüglich ihrer Freizeit und ihres Privatlebens erbringen, sollte der Staat sicherstellen, dass die Kommunen für ihre Aufgaben ausreichend Finanzmittel zur Verfügung haben und Bürokratie abgebaut wird. Darüber hinaus sollten Bürgerinnen und Bürger öfter ihre Wertschätzung für die Amtsträgerinnen und Amtsträger zeigen, statt sich nur darüber zu beschweren, was alles nicht optimal läuft – oder gar in den sozialen Medien Beleidigungen zu äußern. Denn sonst bewirbt sich bald niemand mehr darum, eine kleinere Kommune zu leiten. Die Bewerberlage bei Bürgermeisterwahlen ist vielerorts jetzt schon äußerst dünn.

m.maier@bkz.de

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Erstellt:
30. August 2023, 06:00 Uhr

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