Architektur als Impuls: Linien und Flächen bei „Gego“
dpa/lsw Stuttgart. Ist das nun Architektur auf Papier? Oder ist es Kunst? Oder beides? Bei Gertrud Goldschmidt alias Gego hat sicher das eine das andere maßgeblich beeinflusst. Das Stuttgarter Kunstmuseum widmet sich dieser Schnittmenge und dem Schaffen der gebürtigen Deutschen.
Ein wenig wird man das Gefühl nicht los, Gertrud Goldschmidt habe zu ihrer Karriere als eine der bekanntesten Kunstschaffenden Lateinamerikas gezwungen werden müssen. Sie sei „der Architektur verloren gegangen“ behauptete sie. Die Sitten und Standards im venezolanischen Exil hätten ihr die Arbeit unmöglich gemacht. Eine neue Werkschau im Stuttgarter Kunstmuseum zeigt in den kommenden Monaten eindrucksvoll, dass der Welt der Kunst eine spannende Vertreterin verloren gegangen wäre, hätte sich Goldschmidt genannt „Gego“ in der Architektur durchsetzen können. Unter dem Titel „Gego. Die Architektur einer Künstlerin“ zeigt das Ausstellungshaus bis zum 10. Juli eine breite Auswahl ihrer Gebilde, Zeichnungen und Malereien.
„Gego“, 1912 in Hamburg geboren, studierte ab 1932 in Stuttgart an der Technischen Hochschule Architektur. Aufgrund der immer bedrohlicher werdenden Situation wegen ihrer jüdischen Wurzeln wanderte sie 1939 aus, erhielt ein Visum für Venezuela. Dort arbeitete sie nur zunächst als Architektin, bevor sie Mitte der 1950er Jahre auf Umwegen begann, architektonische Gebilde und Kollagen zu schaffen, Kunst aus Linien und Flächen zu entwerfen.
Ob auf einfachen Zeichnungen oder in Skulpturen aus Draht und Ösen: der architektonische Einfluss ist überall zu erkennen. „Wenn ich auch der Architektur verloren gegangen bin und nicht durch sie das Leben hab' meistern können, so hat sie mich doch, zum Teil gewiss, geformt“, schreibt sie dazu. Die 1994 gestorbene Künstlerin konstruierte den Raum, ihre Ausbildung blieb ständiger Bezugspunkt für ihre künstlerische Praxis. Kontinuierlich erweiterte sie diese auf andere Medien, fertigte technische Skizzen und Zeichnungen, Radierungen und Druckgraphiken bis hin zu Objekten und raumgreifenden Installationen.
Im Jahr 2017 übergab die Fundación Gego (Caracas/Venezuela) dem Kunstmuseum 100 Werke der Künstlerin als Dauerleihgabe. Gemeinsam mit der Universität Stuttgart und der Wüstenrot Stiftung initiierte das kürzlich zum „Museum des Jahres 2021“ gekürte Haus ein Forschungsprojekt - aus dem nun unter anderem die Ausstellung hervorgeht.
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