Apotheker schlagen Alarm
Auch im Südwesten werden Medikamente knapp
Die Erkältungssaison beginnt, doch bei wichtigen Medikamenten gibt es bereits wieder Lieferengpässe – auch in Baden-Württemberg. Gegenmaßnahmen der Politik zeigen bisher kaum Wirkung.
Von Regine Warth
Die saisonale Infektwelle ist angerollt – und es fehlt an Medikamenten. Wieder einmal. Auch in Baden-Württemberg ist der Mangel zu spüren: „Wir haben schon die Situation, dass Patienten in die Apotheke geschickt werden, um per E-Rezept ihr Medikament abzuholen – und sie kommen unverrichteter Dinge wieder zurück, weil ihr Medikament nicht lieferbar ist“, sagt Thomas Heyer, Vorstandsmitglied des Hausärzteverbands Baden-Württemberg. „Das sorgt für viel Bürokratie in unseren Praxen, da bei Nichtverfügbarkeit Rezepte für Ersatzmedikamente neu ausgestellt werden müssen oder wir komplett auf andere Medikation umstellen müssen, was den Therapieerfolg beeinflussen kann“, ergänzt die Vorsitzende Susanne Bublitz.
Bei rund 500 Arzneimitteln gibt es bundesweit derzeit Lieferengpässe, bestätigt der Landesapothekerverband Baden-Württemberg. „Vor allem Breitband-Antibiotika sind gerade nicht oder nur eingeschränkt lieferbar“, sagt der stellvertretende Geschäftsführer Frank Eickmann. Aber auch bestimmte Schmerzmittel oder Insulin sind von Lieferengpässen betroffen. Er verweist auf eine Umfrage der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, wonach die Lieferengpässe im Schnitt in Apotheken zu einem Mehraufwand von 20 bis 30 Wochenstunden Mehrarbeit führen – etwa für die Suche nach alternativen Beschaffungswegen.
Was können Ärzte und Apotheken tun, um die Auswirkungen von Lieferengpässen so gering wie möglich zu halten?
„Ein Lieferengpass ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit einer Versorgungslücke“, sagt Eickmann. Viele Apotheken beziehen ihre Medikamente und Medizinprodukte bei zwei oder drei Großhändlern, die abgefragt werden können. Auch sind viele Händler auf Import-Medikamente spezialisiert: „Das bedeutet, dass entsprechende Arzneimittel auch im Ausland eingekauft, umetikettiert und dann geliefert werden können“, sagt Eickmann. Zudem gibt es die Möglichkeit, auf Generika – also Nachahmerprodukte von Arzneimitteln – zurückzugreifen. Teils wird in Apotheken auch „gestückelt“. „So nennen wir es, wenn von bestimmten Medikamenten beispielsweise nur Großpackungen verfügbar sind und wir diese in kleinere Mengen aufteilen, um diese dann bedarfsgerecht an Patienten abzugeben“, sagt Eickmann.
Wo stoßen Apotheken an ihre Grenzen?
Problematisch sind Engpässe bei Medikamenten, die nicht einfach gegen wirkstoffgleiche Präparate ausgetauscht werden können – wie etwa bestimmte Insuline, sagt Eickmann. Ulrike Holzgrabe von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg nennt noch andere Beispiele: „Hochproblematisch sind zum Beispiel Engpässe bei Antibiotika“, erklärte die Seniorprofessorin für pharmazeutische und medizinische Chemie. Ein Umstieg auf ein anderes Antibiotikum sei immer nur die zweitbeste Therapie. Ebenfalls nur schwer zu ersetzen seien Salbutamol zur Behandlung von Asthma oder Atomoxetin gegen ADHS. „Beide Arzneien waren zuletzt von Engpässen betroffen.“
Wie sinnvoll ist es, größere Mengen an Medikamenten einzulagern?
Nach Meinung des Stuttgarter Hausarztes Thomas Heyer wäre es durchaus sinnvoll, bei bestimmten Arzneimitteln wie Antibiotika eine Art nationale Arzneimittelreserve anzulegen. „Antibiotika gehören zu den Medikamenten, die am schnellsten von Engpässen betroffen sind“, sagt Heyer. Im Sommer dagegen seien viele dieser Arzneimittel gut lieferbar, weshalb ein Einkauf in größerer Menge kein Problem wäre. Auch könnten Antibiotika bei Zimmertemperatur rund zwei Jahre gelagert werden. „Eine solche Lagerung ändert zwar am Problem der Lieferengpässe nichts, aber man könnte zumindest einen Mangel überbrücken.“
Wie ist die Situation in Krankenhäusern?
Krankenhausapotheken klagen ebenfalls über Lieferengpässe. Sie bekämen beispielsweise nur rund 80 Prozent der nötigen Mengen an Kochsalzlösung, die für Operationen, Infusionen oder Spülungen gebraucht werden, so Andreas von Ameln-Mayerhofer, Landesvorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Krankenhausapotheker und Chef der Zentralapotheke des Klinikverbundes Südwest in Sindelfingen. Operationen müssten deshalb zwar nicht abgesagt werden. „Es wird aber immer schwerer, die Lücken zu schließen.“ Dazu müsse mehr Ware importiert werden, was mit hohen bürokratischen Hürden verbunden sei, so der Pharmazeut.
Was ist mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln?
Das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz der Regierung zeige bisher kaum Wirkung, heißt es seitens der Experten. Eine Verbesserung lasse sich nicht schnell realisieren, sagt auch der niedergelassene Hausarzt Heyer. Die Herstellung von Medikamenten sei ein globales Geschäft, der Aufbau neuer Anlagen dauere teils Jahre. Eine weitere Hürde, die dem Gesetz entgegensteht, sind die Rabattverträge: Diese Verträge zwischen den Krankenkassen und den Arzneimittelherstellern haben zu einer Abhängigkeit geführt, sodass oft nur wenige Hersteller als Lieferanten für ein bestimmtes Arzneimittel in Frage kommen. „Wenn einer dieser Hersteller Probleme in der Lieferkette hat, verschlechtert sich die Versorgungssituation“, sagt Eickmann. Das bekommen auch die Apotheker zu spüren: Aufgrund der Rabattverträge können sie oft nicht auf lieferbare Alternativen zurückgreifen.
Was können Patienten tun?
Sinnvoll wäre es gerade für chronisch kranke Patienten, ihren Medikamentenvorrat gut im Blick zu haben und sich frühzeitig beim Arzt ein entsprechendes Folgerezept zu besorgen. „So haben die Apotheken genug Zeit, rechtzeitig die entsprechenden Arzneimittel aufzutreiben“, sagt Eickmann. Medikamente wie Fiebersäfte aufs Geratewohl zu horten, davon hält er allerdings nichts. Das verschärfe nur den Mangel bei den Patienten, die dann tatsächlich auf Medikamente angewiesen sind.