Aufklärer Will: Bezeichnung „Nazi-Jäger“ mag ich nicht

dpa/lsw Ludwigsburg. Der Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg sieht seine Aufgabe losgelöst von politischen Ansichten der Menschen im Zweiten Weltkrieg. Die politische Überzeugung sei nicht ausschlaggebend dafür, sie heute zu verfolgen, sondern ihre Taten, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Will der „Heilbronner Stimme“ (Montag). „Wir verfolgen Mörder oder Mordgehilfen.“ Die Arbeit der Zentralstelle solle klarstellen: „Was ihr da getan habt, wobei ihr mitgemacht habt - ohne euch die Hände dreckig zu machen - ist strafbar gewesen.“

Oberstaatsanwalt Thomas Will. Foto: Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

Oberstaatsanwalt Thomas Will. Foto: Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

Er lese als Bezeichnung für die Mitarbeiter der Zentralstelle immer wieder „die Nazi-Jäger“, sagte Will. „Das mag ich gar nicht.“ Das Label „Nazi“ gelte für viele Menschen im Nationalsozialismus, teils verführte Menschen, aufgewachsen im System. „Leute, die vielleicht indoktriniert waren oder überzeugte Nazis waren.“

Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen wurde 1958 gegründet. Sobald sie ihre Vorermittlungen abschließt, werden die Verfahren an die örtlichen Staatsanwaltschaften abgegeben. Diese müssen dann über Anklagen entscheiden. So gibt es noch heute Gerichtsprozesse.

Die jüngsten Beschuldigten seien bald 95 Jahre alt, sagte Will der Zeitung. Die baden-württembergische Landesregierung wolle in der laufenden Legislaturperiode über eine Nachfolgeeinrichtung der Zentralen Stelle entscheiden. „Unsere 800 Meter Akten und die Kartei sind ein unglaublicher Schatz“, sagte der Oberstaatsanwalt. „Sie zeigen die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs in umfassender Weise, ein Meer von Taten.“ Das sei auch für Forscher wichtig.

Wie Entscheidungen getroffen wurden - im Jahr 1960 oder 2020 - sage darüber hinaus viel über die Gesellschaft aus, führte Will aus. „Die Gesellschaft, die aus sich heraus Verbrechen begangen hat und die später versucht hat, mit den Tätern in ihrer Mitte umzugehen - auch indem man zum Teil nicht damit umgegangen ist.“

© dpa-infocom, dpa:220131-99-912859/2

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Erstellt:
31. Januar 2022, 08:42 Uhr

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