Griechenland

Aufschwung ohne Gewinner

Die griechische Wirtschaft brummt, aber die Menschen murren. Glaubt man den Statistiken, erlebt der einstige Krisenstaat Griechenland ein Wirtschaftswunder. Aber die meisten Menschen spüren davon wenig. Sie leiden immer noch unter den Folgen der Schuldenkrise. Davon profitieren die Rechtspopulisten.

Pallas Athene, Göttin der Weisheit, neben einer griechischen Flagge.

© picture alliance/dpa/Angelos Tzortzinis

Pallas Athene, Göttin der Weisheit, neben einer griechischen Flagge.

Von Gerd Höhler

Griechenlands Finanzminister Kostis Hatzidakis geht zuversichtlich ins neue Jahr. 2024 hat er seine eigenen Ziele und die Erwartungen der meisten Analysten übertroffen. Während die Wirtschaftsleistung in Deutschland im abgelaufenen Jahr voraussichtlich um 0,2 Prozent geschrumpft ist, legte das griechische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um geschätzt 2,3 Prozent zu. Auch für die kommenden zwei Jahre sieht es gut aus in Griechenland: Die EU-Kommission prognostiziert dem Land doppelt so hohe Wachstumsraten wie im EU-Durchschnitt.

Einst das schwarze Schaf der Eurozone jetzt Musterschüler

Die starke Konjunktur hilft bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen und beim Schuldenabbau. In den ersten elf Monaten 2024 erwirtschaftete der Finanzminister im Haushalt einen Primärüberschuss von zwölf Milliarden Euro. Das waren zwei Milliarden mehr als geplant. Die Mehreinnahmen sind nicht zuletzt den Erfolgen der konservativen Regierung im Kampf gegen die Steuerhinterziehung zu verdanken.

Dank sprudelnder Steuerquellen und sparsamer Haushaltsführung konnte Griechenland in den vergangenen vier Jahren Hilfskredite von 24 Milliarden Euro vorzeitig zurückzahlen und seine Schuldenquote schneller senken als jedes andere EU-Land, nämlich um 56 Prozentpunkte. Einst das schwarze Schaf der Eurozone, steht Griechenland jetzt als Musterschüler da. Aber die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen sieht anders aus. Sie spüren immer noch die Folgen der Staatsschuldenkrise, die Griechenland in den 2010er Jahren mehrfach an den Rand der Staatspleite brachte.

Private Haushalte verloren 40 Prozent ihrer Vermögen

Der Bankrott konnte zwar mit dreistelligen Milliardenkrediten der Europartner und des Internationalen Währungsfonds abgewendet werden. Aber die Sparauflagen der Geldgeber stürzten Griechenland in die längste und tiefste Rezession der Nachkriegsgeschichte. Die Wirtschaftsleistung schrumpfte um ein Viertel, private Haushalte verloren 40 Prozent ihrer Vermögen.

Der Ökonom Giorgos Papakonstantinou, der zu Beginn der Krise von 2009 bis 2011 griechischer Finanzminister war, vergleicht die damalige Situation seines Landes mit der großen Rezession in den USA der Jahre 1929-32. „Aber während dort die Krise in wenigen Jahren überwunden wurde, spüren wir die Folgen auch nach mehr als einem Jahrzehnt“, sagt Papakonstantinou. „Dazu gehören vor allem die gewachsenen sozialen Ungleichheiten und die gesunkene Kaufkraft der Griechen, vor allem der sozial Schwachen“, so der Ökonom.

Kaufkraft griechischer Haushalte auf 67 Prozent des EU-Durchschnitts

Nach acht harten Jahren erklärte die EU im Sommer 2018 die Griechenlandkrise offiziell für beendet. Die Hilfsprogramme liefen aus. Seither steht das Land finanziell wieder auf eigenen Füßen. Aber die Bevölkerung hat sich nicht erholt. Der durchschnittliche Bruttolohn eines Vollzeitbeschäftigten in der griechischen Privatwirtschaft lag im Vorkrisenjahr 2009 bei 1379 Euro. Heute sind es nur 1325 Euro. Rechnet man die Inflation ein, sind die Realeinkommen in Griechenland nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) heute 23,7 Prozent niedriger als 2009.

Nach Berechnungen von Eurostat ist die Kaufkraft der griechischen Haushalte zwischen 2013 und 2023 von 72 auf 67 Prozent des EU-Durchschnitts gesunken. Zehn EU-Länder haben Griechenland beim Lebensstandard überholt. Nur in Bulgarien sind die Menschen mit einer Kaufkraft von 64 Prozent des EU-Durchschnitts noch ärmer. Die Regierung des konservativen Premiers Kyriakos Mitsotakis versucht gegenzusteuern. Mitsotakis verbindet seit seinem Amtsantritt 2019 eine wirtschaftsfreundliche Politik mit starken sozialen Akzenten. In kaum einem anderen EU-Land bekamen die Bürger während der Pandemie und der Energiepreiskrise so großzügige staatliche Zuschüsse wie in Griechenland. Seit ihrem Amtsantritt hat die Regierung den Mindestlohn von 650 auf 830 Euro angehoben. Arbeits- und Sozialministerin Niki Kerameus verspricht eine weitere Erhöhung auf 950 Euro bis 2027. Bis dahin soll auch der Durchschnittslohn für Vollbeschäftigte auf 1500 Euro steigen.

Mitsotakis Partei Nea Dimokrotia liegt nur noch bei 31 Prozent

Aber viele Menschen wollen nicht länger warten. Sie fragen, wann der Aufschwung bei ihnen ankommt. Meinungsumfragen zeigen die wachsende Unzufriedenheit. In einer Erhebung des Instituts Metron Analysis sehen zwei Drittel der Befragten das Land „auf dem falschen Weg“. Auch die bisherige Arbeit der Regierung bewerten zwei von drei Befragten negativ.

Für Premierminister Mitsotakis ist das eine gefährliche Entwicklung, auch wenn die nächsten Wahlen regulär erst im Sommer 2027 stattfinden. Seine Nea Dimokratia (ND), die bei den Wahlen vor eineinhalb Jahren 41 Prozent der Stimmen erhielt, liegt in einer Umfrage vom vergangenen Wochenende nur noch bei 31 Prozent. Damit haben die Konservativen zwar einen großen Vorsprung vor der sozialdemokratischen Pasok, die mit 17 Prozent in den aktuellen Umfragen auf Platz zwei liegt.

Von der Unzufriedenheit profitieren Rechtspopulisten

Aber es gibt einen bedrohlichen Trend für Mitsotakis. Wie in anderen Ländern Europas profitieren von der wachsenden Unzufriedenheit in Griechenland vor allem die Rechtspopulisten. So hat die nationalistische und russlandfreundliche „Griechische Lösung“, die bei den Wahlen von 2023 noch auf 4,4 Prozent kam, ihren Stimmenanteil in den Umfragen auf fast neun Prozent verdoppelt. Setzt sich der Trend fort, könnten die Rechtspopulisten in Griechenland bald zur drittstärksten politischen Kraft werden.

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Erstellt:
7. Januar 2025, 15:48 Uhr

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