Ausbaubedarf bei Ganztagsgrundschulen niedriger
dpa/lsw Stuttgart. Das Land hat bei Ganztagsgrundschulen großen Nachholbedarf. Doch neue Berechnungen zeigen: Es müssen wesentlich weniger neue Plätze geschaffen werden als gedacht. Dennoch kann sich Grün-Schwarz nicht zurücklehnen.
Die Landesregierung in Baden-Württemberg und die Eltern künftiger Grundschulkinder können aufatmen: Nach neuen Berechnungen des Deutschen Jugend-Instituts und der Technischen Universität Dortmund ist der Ausbaubedarf in der Ganztagsbetreuung in Grundschule bei weitem nicht so hoch wie zuletzt angenommen. Gleichwohl hat Baden-Württemberg nach Nordrhein-Westfalen und Bayern weiter den höchsten Ausbau- und Personalbedarf.
Nach der Studie muss die grün-schwarze Regierung im Südwesten bis zum Schuljahr 2026/2027 zusammen mit den kommunalen Schulträgern zwischen 54 000 und 76 000 neue Ganztagsplätze schaffen. Dann könnte das Land den Rechtsanspruch neu eingeschulter Kinder gewährleisten, den Bundestag und Bundesrat im September beschlossen haben. Zuletzt hatte es geheißen, Baden-Württemberg müsse über 200 000 neue Plätze schaffen, damit dies gelingt.
Gemeindetagspräsident Steffen Jäger kennt die neuen Zahlen nach eigenen Worten erst seit kurzem. „Wenn es weniger wären, dann wäre es gut und es würde mich freuen. Aber so ganz glauben kann ich es noch nicht. Bislang hat man mit uns noch nicht vertieft gesprochen“, sagte Jäger der Deutschen Presse-Agentur. Land und Kommunen müssen noch vereinbaren, wer welchen Anteil an den Investitions- und Betriebskosten beim Ausbau trägt. Die Zahlen des Jugend-Instituts gelten als Grundlage dafür.
Auch SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei reagierte zurückhaltend: „Wer sich die Entwicklung der letzten Jahre anschaut, weiß, dass der Bedarf an neuen Plätzen in der Regel immer höher ausfiel, als prognostiziert wurde“, sagte er am Sonntag. Grün-Schwarz dürfe sich daher nicht auf diesen Zahlen ausruhen, sondern müsse dringend mehr Tempo zulegen beim Ausbau.
Die FDP sieht in den neuen Zahlen ebenfalls keinen Grund zum Aufatmen für die Landesregierung. „Auch mit der finanziellen Unterstützung durch den Bund wird der Ausbau kein Selbstläufer“, sagte der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Die Kommunen müssten als Schulträger bei der Personalgewinnung unterstützt werden, weil Tausende pädagogische Fachkräfte fehlten. „Ich erwarte von Grün-Schwarz weiterhin ein landesweites Konzept gegen den Fachkräftemangel und die Schaffung weiterer Studienplätze für die Lehrämter Grundschule und Sonderpädagogik. Der Lehrerberuf muss endlich wieder attraktiver gestaltet werden“, sagte Rülke.
In Baden-Württemberg gibt es zurzeit ungefähr 2400 Grundschulen, davon haben etwa 700 ein Ganztagsangebot, teilweise gebunden oder freiwillig. Im Jahr 2019 gab es laut Deutschem Jugend-Institut etwa 83 000 Ganztagsplätze an Grundschulen im Südwesten. Laut der neuen Studie muss Baden-Württemberg bis zum Schuljahr 2029/2030 etwa 60 600 bis 87 000 neue Plätze schaffen, um den vollständigen Rechtsanspruch zu befriedigen.
Die Spanne ergibt sich aus unterschiedlichen Faktoren in der Berechnung. Ende 2019 gab es der Studie zufolge 398 600 Kinder im Grundschulalter in Baden-Württemberg. Ende des Jahres 2029 sollen es demnach 450 500 sein, ein Plus von 13 Prozent.
Das Land muss dringend neues pädagogisches Personal ausbilden. Es würden im Schuljahr 2029/2030 etwa 2300 bis 5000 neue Stellen benötigt. Das entspricht etwa 3900 bis 8400 Menschen.
Der insgesamt geringere Bedarf führe dazu, dass auch „die anfallenden Kosten geringer sein werden, als bislang angenommen“, teilten die Forscher mit. Für Baden-Württemberg wird mit Investitionskosten von 368 bis 530 Millionen Euro gerechnet. Die jährlichen Betriebskosten für zusätzliches Personal wird auf 161 bis 346 Millionen Euro veranschlagt, wenn das Land dabei bleibt, die Ganztagsbetreuung nicht nur auf die Schultern von Lehrkräften zu legen. Ansonsten fielen Kosten von 176 bis 378 Millionen Euro an.
Der Bund hat den Ländern zugesagt, den Ganztagsausbau mit bis zu 3,5 Milliarden Euro für die Infrastruktur zu unterstützen und sich an den laufenden Kosten dauerhaft zu beteiligen. Die Mittel wachsen laut Bundesregierung auf bis zu 1,3 Milliarden Euro pro Jahr ab 2030. Die Länder hatten hier auf Initiative von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) das Gesetz im Bundesrat zunächst aufgehalten, um mehr finanzielle Hilfe vom Bund herauszuholen.
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