Autoindustrie
Autobauer fordern von der Politik „den großen Wurf“
Die Branche steckt in einer tiefen Krise. Die Auto-Cheflobbyistin Hildegard Müller stellt konkrete Reformforderungen an Berlin und Brüssel.
Von Knut Krohn
Deutschlands Autobauer machen mobil. Immer lauter werden die Forderungen an die Politik, endlich die versprochenen Reformen in Angriff zu nehmen. Offensichtlich wird, dass die Hersteller angesichts der tiefen Krise der Branche allmählich die Geduld mit den führenden Köpfen in Berlin und Brüssel verlieren. „Keine kleinen Schritte, sondern der große Wurf ist notwendig“, forderte Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) am Dienstag im Rahmen der Jahrespressekonferenz in Berlin. Doch die Funktionärin nimmt nicht nur die Politik in die Pflicht, die ganze Gesellschaft sei zu einem „Mentalitätswechsel“ aufgerufen, „um den Standort international wieder wettbewerbsfähig zu machen und Wachstum, Klimaschutz, Wohlstand und Arbeitsplätze zu garantieren“.
Schleppender Umstieg auf die Elektromobilität
Eines der zentralen Probleme der Branche ist der sehr schleppend verlaufende Umstieg auf die Elektromobilität. Dabei sitzen den Herstellern die verschärften CO2-Grenzwerte für die Neuwagenflotten im Genick, die in diesem Jahr von der EU deutlich verschärft wurden. Damit diese eingehalten werden können, müssen die Neuzulassungen von Elektroautos deutlich zunehmen, denn nur so können die angedrohten Strafzahlungen vermieden werden. Allein reine Batteriefahrzeuge müssten beim Absatz um rund 75 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zulegen, sagte der VDA-Chefvolkswirt Manuel Kallweit. Das entspräche rund 666 000 Einheiten.
Die Strafzahlungen, die laut der Hersteller in die Milliarden Euro gehen könnten, sind in der Europäischen Union inzwischen allerdings erneut in der Diskussion. So werden etwa aus Deutschland, Frankreich und Tschechien Forderungen laut, die Vorgaben auszusetzen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zeigte sich zuletzt offen für Lockerungen. Die FDP würde gerne einen Schritt weiter gehen und die Flottengrenzwerte inklusive des daraus resultierenden Verbrennerverbots ab 2035 ganz abschaffen. Damit liegen die Liberalen auf einer Linie mit der Union.
Die EU beginnt einen „strategischen Dialog“
Auch Brüssel zeigt sich bereit, der Industrie entgegenzukommen. Die EU-Kommission will Ende Januar einen „strategischen Dialog“ über die Zukunft der Autoindustrie starten. Am Tisch sitzen werden Hersteller, Zulieferer und Gewerkschaften. Die Gespräche unter der Leitung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sollen die Grundlage für einen europäischen Aktionsplan für die Autoindustrie liefern.
Hildegard Müller machte am Dienstag klar, dass sie von dem Dialog mehr erwarte als nur gute Gespräche. Der deutsche Standort sei international nicht mehr wettbewerbsfähig, das zeigten alle internationalen Rankings und Datenerhebungen. „In Sachen Standort und Wettbewerbsfähigkeit gibt es also kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“, betonte die VDA-Präsidentin und lieferte im selben Atemzug konkrete Reformforderungen.
Autobauer kritisieren die hohen Energiepreise
An erster Stelle nannte sie die überaus hohen Energiepreise in Deutschland, die dringend gesenkt werden müssten, damit die Betriebe wettbewerbsfähig produzieren könnten. Auch sei der Strom für die Verbraucher viel zu teuer, monierte sie, was auch das Umsteigen auf ein Elektroauto bremse. „Es muss sichergestellt werden, dass Laden billiger ist als Tanken“, forderte Müller.
Auch in Sachen Bürokratieabbau macht sich bei den Unternehmen zunehmen Ungeduld breit. Es reiche nicht, immer nur über den Abbau zu reden, erklärte die VDA-Chefin mit Blick auf Brüssel. Die Industrie habe schon vor Jahren konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt, die müssten endlich in Angriff genommen werden.
Plädoyer für ein Zusammenwachsen der EU
Bei aller Kritik an den EU-Vorgaben, betonte Hildegard Müller aber immer wieder, dass angesichts der geopolitischen Veränderungen und Herausforderungen ein weiteres Zusammenwachsen der Union nötig sei. Konkret forderte sie eine europäische Energie- und Kapitalmarktunion, ein Ausbau der internationalen Partnerschaften nach dem Vorbild von Mercosur und eine Stärkung des europäischen Binnenmarktes. Allerdings plädierte sich auch für mehr Pragmatismus. „Mehr EU heißt nicht mehr Bürokratie und Klein-Klein,“ erklärte die VDA-Präsidentin.
Angesichts des Amtsantritts von Donald Trump wagte sie keinen Blick in die Glaskugel. Der neue US-Präsident habe sehr viel angekündigt, doch nun bleibe abzuwarten, was er davon tatsächlich umsetze. Angesprochen auf die angedrohten Zölle setzt sie offensichtlich auf den wirtschaftlichen Sachverstand Trumps. Auch die USA seien ein Exportland, sagte die VDA-Präsidentin, und „Zölle erzeugen Gegenzölle“, was die Preise für die Verbraucher nach oben treibe. Bei einem möglichen Handelskrieg gebe es auf allen Seiten nur Verlierer.