Autobauer haben keine Wahl

Das Elektroauto soll im Eiltempo den Durchbruch schaffen – das wird anstrengend

Elektroautos -

Stuttgart Bei den deutschen Autobauern klafft derzeit eine Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit. „Be electrified“ – „lass dich elektrisieren“, heißt das Motto des VW-Konzerns auf dem Genfer Autosalon. Doch zu den Händlern kommen ganz andere Autos, die überhaupt nicht öko sind: bullige Geländewagen wie ein vor PS strotzender Touareg.

Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit darf aber nicht hinwegtäuschen, dass in den Entwicklungsabteilungen derzeit mit Hochdruck an Elektromobilen gearbeitet wird. Das laufende Jahr markiert einen Übergang. Noch sind Stromer bei den deutschen Autobauern eine Randerscheinung. Bis 2025 schon soll jedoch etwa jeder vierte Mercedes ein reines E-Auto, bei Porsche jedes zweite verkaufte Auto ein Stromer oder ein Wagen mit Plug-in-Hybridantrieb sein, also eine Kombination aus Verbrenner und E-Motor haben.

Mit diesem Wandel zum Elektroantrieb wird sich aber auch verstärkt die Frage stellen, ob die Zahl derBeschäftigten zumindest gehalten werden kann. Dies wird eine große Herausforderung für die Autobauer. Ein Elektroantrieb hat deutlich weniger Teile als ein Verbrenner, sichert also weniger Beschäftigung. Reicht es aus, wenn die Babyboomer bald in Rente gehen und mehr Beschäftigte in Altersteilzeit gehen? Offen ist auch, wie viele Stromer wirklich gekauft werden, solange das Ladenetz noch lückenhaft ist und die Reichweite im Vergleich mit Verbrennern zu wünschen übrig lässt.

Die Autobauer haben jedoch keine Wahl. Denn schon im nächsten Jahr treten inEuropa schärfere Grenzwertefür den Ausstoß von Kohlendioxid in Kraft, die ohne Elektroautos kaum zu schaffen sein werden. Dies gilt umso mehr für die im Dezember von der EU beschlossene weitere Stufe noch deutlich niedrigerer Grenzwerte, mit denen die Autoindustrie bis 2030 gezwungen werden soll, mehr zum Klimaschutz beizutragen. Erreichen die Konzerne die Grenzwerte nicht, drohen empfindliche Strafzahlungen.

Einem mindestens genauso großen Druck sind die Autobauer in China ausgesetzt, dem größten Markt der Welt. Der Staat will mit strengen Vorgaben für Stromer und Plug-in-Hybridantriebe die große Abhängigkeit vom Ölimport senken und zugleich knallharte Industriepolitik betreiben. Das Reich der Mitte sieht die Chance, bei dieser neuen Technik eine globale Spitzenposition zu erobern.

Der vom chinesischen Staat orchestrierte Aufbruch in die Elektromobilität hat auch zu einem Gründungsboom geführt. Es erinnert an die Kindertage des Automobils, als eine Vielzahl neuer Namen wie Wanderer, Horch oder Adler für den Abschied vom Pferdewagen standen. Die meisten sind von der Bildfläche verschwunden. Nun treten in der Morgenröte einer neuen Mobilität chinesische Newcomer wie Byton, Nio oder Weltmeister an. Zwei dieser Start-ups, Aiways und Arcfox präsentieren sich in diesem Jahr forsch auf dem Genfer Autosalon. Bisher sind alle Versuche chinesischer Autobauer gescheitert, in Europa oder auf dem US-Markt erfolgreich zu sein. Doch man sollte die Konkurrenten aus dem roten Riesenreich nicht unterschätzen. Was die Japaner und die Koreaner geschafft haben, dürfte in absehbarer Zeit auch ihnen gelingen.

Man muss nicht gleich den Teufel an die Wand malen wie Daimler-Chef Dieter Zetsche, der auf dem Mobilfunkkongress in Barcelona etwas flapsig sagte, es gebe kein Naturgesetz, dass Daimler ewig bestehe. Doch die nächsten Jahre werden anstrengend – auch für den Stuttgarter Konzern, der einst das Automobil erfunden hat.https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.elektroautos-in-china-spezielle-spielregeln.d359c4af-c674-46bb-b807-aa16b1a9b548.htmlhttps://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.mercedes-benz-eqc-daimlers-aufholjagd-auf-tesla.b271a3ff-b665-4d1c-a420-d0a6a0aec375.html

harry.pretzlaff@stzn.de

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Erstellt:
12. März 2019, 03:04 Uhr

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