Autonome Fahrgemeinschaft: VW und Bosch verbünden sich

dpa Stuttgart/Wolfsburg. Wenn der zweitgrößte Autohersteller und der größte Autozulieferer der Welt sich bei Assistenz- und Fahrsystemen zusammentun, hat das Gewicht. Aber die Software-Konkurrenz schläft auch andernorts nicht. Was planen Volkswagen und Bosch konkret?

Ein Mitarbeiter von Bosch fährt auf der A81 in einem Auto, das als Prototyp für autonomes Fahren genutzt wird. Foto: Daniel Naupold/dpa/Symbolbild

Ein Mitarbeiter von Bosch fährt auf der A81 in einem Auto, das als Prototyp für autonomes Fahren genutzt wird. Foto: Daniel Naupold/dpa/Symbolbild

Auf dem Weg zum selbstfahrenden Auto wollen der VW-Konzern und Bosch die nächsten Schritte gemeinsam angehen. In einer Kooperation soll eine Softwareplattform entstehen, die zunächst teil- und hochautomatisierte Funktionen „massentauglich“ macht. Dies könne die Basis für komplexere Anwendungen bis hin zum vollautomatisierten Fahren schaffen, kündigten beide Partner an.

„Erste Funktionen sollen schon im kommenden Jahr für Kunden nutzbar sein“, sagte VW-Finanzvorstand Arno Antlitz am Dienstag. Vorerst geht es um das Level-2-Niveau - also ohne ständiges Steuern des Fahrers - sowie Level 3, wobei der Computer etwa auf der Autobahn für längere Zeit übernimmt. Zudem prüfe man „Entwicklungsziele und Zeitpläne“ in Richtung Level 4 - dann kann der Fahrer zum bloßen Passagier werden.

Bei den Niedersachsen kümmert sich die Softwaretochter Cariad um das Thema. Ziel ist es, Programmcodes und Automatisierungstechnologien öfter selbst herzustellen statt von Zulieferern einzukaufen. In der ersten Etappe sollen die Systeme aus der Zusammenarbeit mit Bosch in Modellen des VW-Konzerns eingesetzt werden - mit Funktionen, „bei denen Fahrer die Hände zeitweise explizit vom Lenkrad nehmen können“, wie es hieß. Später will Bosch sie auch für andere Anbieter öffnen.

Cariad-Chef Dirk Hilgenberg erklärte, es gehe nicht allein um Technik für die Oberklasse: „Wir wollen sie für jeden verfügbar machen. Und wir meinen wirklich: für jeden.“ Zum Start werde ein wesentlicher Schwerpunkt zwar das Projekt Artemis sein, in dem Audi mit Porsche und Bentley einen „Tesla-Fighter“ entwickelt. Bald danach sollen weitere VW-Konzerntöchter jedoch ebenfalls eingebunden werden.

Über 1000 Expertinnen und Experten von Bosch und Volkswagen beginnen den Angaben zufolge nun mit der Umsetzung. Zur Investitionshöhe und zu möglichen Folgen für andere Lieferanten wie Continental wollten sich beide Partner nicht näher äußern.

Bis Ende 2026 steckt der VW-Konzern rund 30 Milliarden Euro allein in Digitalisierung und Automatisierung. Aus Firmenkreisen verlautete, Cariad sehe sich „nicht als reinen Vermittler zwischen Konzern und Zulieferern. Wir können uns nicht mehr nur darauf verlassen, Lösungen zuzukaufen und Software von Dritten mühsam in unsere Architektur zu integrieren, ohne in die Lösung hineinschauen zu können.“

Man bleibe allerdings offen für Kooperationen, Zukäufe oder externe Beschaffung. Im Laufe des Jahres dürfte es „weitere Neuigkeiten in diesen Feldern“ geben. Die Zusammenarbeit mit Bosch sehen die Wolfsburger als Ergänzung zum bestehenden US-Partner Argo AI - dort geht es um vollkommen autonome Fahrzeuge (Level 5) ganz ohne Fahrer.

Bosch-Manager Mathias Pillin hält die große Menge nutzbarer Daten aus der VW-Flotte für geeignet, um Künstliche Intelligenz (KI) gründlich auf die Übernahme zusätzlicher Aufgaben im Auto trainieren zu können: „Wir haben so Zugriff auf eine riesige Sammlung von Mobilitätsdaten, die wir erweitern und verbessern werden.“

Software und Sensorik lernen durch Verarbeitung von Umgebungs- und Verkehrsdaten laufend für höhere Automatisierungsstufen dazu. Bei der früheren Partnerschaft mit Daimler habe nicht der Markt privater Pkw, sondern eher die Anwendung in Robotaxis im Vordergrund gestanden.

Hilgenberg meinte mit Blick auf den US-Rivalen Tesla, der bei Fahrzeugvernetzung und Steuerungstechnik als führend gilt: „Die Partnerschaft wird uns helfen, erheblich an Tempo zu gewinnen.“ Bei der Ausrüstung von Batteriezellfabriken für Elektroautos bereiten Bosch und VW derzeit ein mögliches Gemeinschaftsunternehmen vor.

Software für das automatisierte und - eines Tages - autonome Fahren gilt nach der E-Mobilität als nächstes „großes Ding“ in der Branche. Erwartet wird ein Multi-Milliarden-Markt. VW-Chef Herbert Diess hatte im Sommer eine neue Strategie für die kommenden Jahre vorgestellt. Diese bündelt das Thema - wie bisher die Auto-Hardware - auf großen Plattformen und markenübergreifend. „Der Schlüssel zum künftigen Erfolg wird das autonome Fahren sein“, bekräftigte Diess am Dienstag.

Bis 2030 taxiert Volkswagen die branchenweiten Einnahmen aus allen Autoverkäufen, die mit neuen Softwarefunktionen zusammenhängen, auf bis zu 1,2 Billionen Euro. Hilgenberg schätzt, dass schon Mitte des Jahrzehnts 60 Prozent der Privatwagen Systeme mindestens des erweiterten Levels 2 an Bord haben, dann schrittweise der Levels 3/4.

VW-Finanzchef Antlitz unterstrich: „Dieser neue Einnahme-Pool entsteht zusätzlich zum Geschäft mit dem Verkauf von Verbrenner- und Elektrofahrzeugen.“ Auch der Ausbau von Mobilitätsdiensten lasse sich mit mehr eigener Software gut verschränken, im Wechselspiel mit Sharing-Angeboten oder datengetriebenen Versicherungsleistungen.

Nach und nach sollen die digitalen Assistenten überdies Unfälle vermeiden. „Damit wird der Straßenverkehr sicherer und komfortabler“, sagt Bosch-Geschäftsführer Markus Heyn. Mit bisher erhältlichen „Autopiloten“ kam es jedoch auch schon zu einigen Crashs in den USA.

Nach Jahren vollmundiger Ankündigungen, in denen so manche Frist verstrich, sehen Branchenkenner inzwischen bessere Chancen für einen Durchbruch der Systeme. So zeigte sich gerade auf der Messe CES in Las Vegas: Die Technik, die autonomes Fahren möglich machen könnte, steht vor dem Einzug in Wagen verschiedener Hersteller.

© dpa-infocom, dpa:220125-99-840234/4

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Erstellt:
25. Januar 2022, 09:33 Uhr

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