„‚Babylon Berlin‘ ist erst der Anfang“
Gerade hat Christine Strobl der ARD einen großen Serienerfolg beschert – Folgt nun der Sprung an die Spitze des SWR?
Interview - Seit 2012 leitet die Medienmanagerin Christine Strobl erfolgreich die ARD-Produktionsfirma Degeto. Sie hätte das Zeug zur Intendantin. Aber der SWR, sagt sie, muss ohne sie auskommen.Tim Schleider
Stuttgart
Frage: Frau Strobl, haben Sie Netflix abonniert?
Antwort: Netflix nicht, aber Sky.
Frage: Das Sky-Abo wundert uns nicht, dazu kommen wir noch. Aber das fehlende Netflix schon. Muss man sich als Chefin der mächtigen ARD-Filmeinkaufsgesellschaft nicht für die Arbeit des derzeit erfolgreichsten internationalen Konkurrenten interessieren?
Antwort: Doch, natürlich interessiert mich das. Aber in meinem Job sieht man die Neuheiten von Netflix oder Amazon auf anderen Kanälen, auf Messen, in Präsentationen, im Verkauf. Und keine Frage, dass es dort auch großartige Serien zu entdecken gibt.
Frage: Mit „Babylon Berlin“ wollten Sie erstmals selbst am ganz großen Serienrad drehen, Netflix, Amazon & Co. Paroli bieten, gleichzeitig aber auch das traditionelle ARD-Publikum zufrieden stellen. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?
Antwort: Wir haben mit „Babylon Berlin“ wirklich sehr erfolgreich Neuland betreten. Wir wollten eine Serie produzieren, die sich auch an ein Publikum mit neuen Sehgewohnheiten richtet, eben an die berühmte Seriengeneration; eine Serie, die auch auf dem internationalen Markt Bestand hat. Deswegen mussten wir beim Budget den Kreativen auch die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen und weitere Partner mit ins Boot holen . . .
Frage: Womit wir wieder beim Pay-TV-Sender Sky wären, dem Sie für ein Jahr exklusiv die Erstausstrahlung abtreten mussten.
Antwort: Was ein gewisses Wagnis war, keine Frage, aber das Ergebnis gibt uns absolut recht. Auch der Verkauf in mehr als 100 Länder war ein wichtiger Bestandteil der Finanzierung. Wir mussten aber auch im künstlerischen Sinne neue Strukturen schaffen, um Drehbücher von dieser Qualität zu bekommen. Aber es hat geklappt: „Babylon Berlin“ war ein echtes Must-see-Programm.
Frage: Na ja, die Zuschauerzahl im laufenden ARD-Programm sank von Folge 1 zu Folge 16 von rund 7,8 auf 3,5 Millionen.
Antwort: Was einen durchschnittlichen Marktanteil weit über dem sonst üblichen Schnitt ergibt. Natürlich hat ein großer Teil der Zuschauer sich nach den ersten Folgen die weitere Geschichte sofort in der ARD-Mediathek angeschaut und damit dort die Abrufzahlen in neue Dimensionen getrieben. Und damit zeigt sich, dass wir mit den richtigen Stoffen auch im öffentlich-rechtlichen Programm jenes Publikum erreichen können, das neben dem traditionellen linearen Fernsehen verstärkt Streaming-Angebote nutzt – und dass uns die Erstausstrahlung bei Sky im Übrigen keineswegs geschadet, vielleicht sogar etwas genutzt hat.
Frage: Vor sechseinhalb Jahren sind Sie vom SWR hier nach Frankfurt gewechselt. Die Degeto war damals eigentlich am Ende.
Antwort: Sie übertreiben.
Frage: Die Kasse stimmte nicht, Ihre Vorgänger hatten sich finanziell völlig verkalkuliert. Die internen Strukturen galten als behäbig, um es mal vorsichtig auszudrücken. Vor allem aber war das öffentliche Image katastrophal. Immer, wenn ein ARD-Film besonders seicht und kitschig war, sagte man sich grinsend als Begründung: „Typisch Degeto.“
Antwort: Es stimmt, dass wir manches hier neu organisieren und vor allem die Finanzen wieder ordnen mussten. Es stimmt auch, dass ich mich mit den Kollegen um schlanke und möglichst effektive Abläufe im Haus gekümmert habe. Unser vorrangiges Ziel darf es niemals sein, Sendeplätze irgendwie „zu füllen“. Es muss uns um möglichst hochwertige, überzeugende Inhalte gehen. Wir müssen Geschichten erzählen, die Zuschauer interessieren. Und es stimmt, dass es uns doch wohl gelungen ist, nach und nach mit neuer Qualität zu überraschen.
Frage: Die Liste anspruchsvoller TV-Produktionen der Degeto ist inzwischen ansehnlich. Ob Grimme-Preis, Deutscher Filmpreis, Deutscher Fernsehpreis, überall sind Sie mit im Rennen. Sogar beim Oscar . . .
Antwort: Da freue ich mich gern im Stillen. Entscheidend ist aber für die Degeto, dass wir in Deutschland so wieder zur ersten Adresse für die besten Produzenten, für die überzeugendsten Schauspieler und vor allem für die besten kreativen Köpfe geworden sind. Und zugleich wollen wir aber auch einem großen Publikum das bieten, worauf es doch genauso einen Anspruch hat, nämlich auf die niveauvolle Unterhaltung beispielsweise am Freitagabend.
Frage: Aber die Zeiten von „Traumhotel“ und „Strandpraxis“ sind hoffentlich auch dort endgültig vorbei?
Antwort: Ganz unabhängig von den Titeln, die Sie da nennen – wir haben gemerkt, dass allzu Seichtes gerade an diesen Terminen nicht funktioniert. Der Zuschauer schätzt auch eine gewisse Tonalität, aber keinen weltfernen Quatsch oder übelste Klischees. Wir zeigen stattdessen zum Beispiel am 8. Februar „Toni, männlich, Hebamme – Allein unter Frauen“. Wenn Sie wollen, können Sie darin ein Stück guter Unterhaltung sehen aus einer inzwischen erfreulich differenzierten deutschen Gesellschaft, in der traditionelle Geschlechterrollen langsam, aber sicher überwunden werden. Ich hoffe aber, die Zuschauer freuen sich in erster Linie über eine gut erzählte Geschichte mit faszinierenden Figuren. Denn auch dafür sind wir da, nicht aber für den pädagogischen Zeigefinger.
Frage: Männer können heute Hebammen sein – und Frauen ARD-Intendantinnen. Frau Strobl, Ihre Arbeit der vergangenen Jahre gilt als so erfolgreich, dass viele Sie als künftige SWR-Intendantin ins Spiel bringen.
Antwort: Offen gestanden, das geht mir durchaus nah. Schließlich habe ich mal vor vielen Jahren als kleine freie Mitarbeiterin beim SWR angefangen, und nun trauen einige mir offenbar zu, diese große Rundfunkanstalt sogar leiten zu können. Aber ich stehe für diesen Posten nicht zur Verfügung.
Frage: Angst vor der Heimkehr?
Antwort: Es gehört zu den Kernaufgaben des Südwestrundfunks, die Landesregierungen von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz journalistisch kritisch zu begleiten. Und Sie wissen, dass ich mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg verheiratet bin. Es gibt zwar kein Gesetz, das meine Kandidatur als SWR-Intendantin verbietet, aber sie widerspräche bei dieser Konstellation meiner Auffassung von der nötigen Distanz zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Politik.
Frage: Der Vorwurf, Ihre Wurzeln in der Familie Wolfgang und Ingeborg Schäubles, Ihre Ehe mit Thomas Strobl und Ihre eigene CDU-Mitgliedschaft seien wichtiger für Ihre Karriere gewesen als Ihr fachliches Können, begleitet fast die gesamte berufliche Laufbahn. Kränkt so etwas nicht auch?
Antwort: Der kritische Journalismus hat für mich enormen Wert. Und das gilt natürlich auch dann, wenn ich ihn persönlich einmal aushalten muss, auch wenn ich diese Vorwürfe als nicht zutreffend empfinde.
Antwort:
Frage: Wenn Sie also im März nicht zur SWR-Intendantin gewählt werden wollen, was ist dann Ihr großes Ziel für 2019?
Antwort: Ein großes Ziel ist für mich, die Wahrnehmung von Autoren als bedeutende Kreative in Deutschland zu verbessern. Alle interessieren sich immer für die Schauspieler, einige für die Regisseure. Wir brauchen aber auch sehr gute Autorenleistungen, dazu müssen wir Arbeitsbedingungen und die Anerkennung der Autoren in der Öffentlichkeit verbessern. Wir bewegen uns dabei durchaus im Wettbewerb mit Netflix und Amazon. Es gibt hier noch viel zu tun.