Backnang als Testlauf für München 1972
Bewegende Sportmomente (12): Deutsche Olympia-Vorbereitungspartie bis heute das einzige Volleyball-Länderspiel im Murrtal
Wintersportfans schauten am 6. Februar 1972 nach Japan, fanden dort doch vom 3. bis 13. Februar in Sapporo die elften Olympischen Winterspiele statt. Volleyballfreunde in Deutschland schauten an jenem Sonntag dagegen nach Backnang. Hier standen sich die Nationalteams der Bundesrepublik und aus Jugoslawien in einem Testspiel gegenüber.
Von Uwe Flegel
Rund 600 Zuschauer lockte das erste und gleichzeitig einzige Volleyball-Länderspiel in Backnang an. 3:2 siegte Deutschland gegen Jugoslawien in der Sporthalle Maubacher Höhe, wie die heutige Karl-Euerle-Halle damals noch hieß. Es war eine gelungene und gute Veranstaltung, trotzdem fand sie nie eine Wiederholung. Backnang hat dafür schlichtweg keine geeignete Wettkampfstätte. Denn kurz nach dem Vergleich mit den Schmetterkünstlern vom Balkan änderte der Verband die Regeln. In Backnang hängt die Hallendecke seitdem zu tief. Hinzu kam, dass „wohl auch die Zuschauerkapazität für Länderspiele nicht ausgereicht hat“, wie Joachim Reschke erzählt.
Aber wie kam es dann überhaupt zu diesem einen Länderspiel? „Das lag vor allem an den guten Verbindungen, die Abteilungsleiter Heinz Knepel zum Landesverband hatte“, erinnert sich Reschke. Er war damals noch Spieler im Volleyballteam, das erst wenige Jahre zuvor ins Leben gerufen worden war. Überhaupt bildeten die Volleyballer damals noch keine eigene Abteilung, sondern waren Teil der Turnabteilung der TSG Backnang 1846 TuS. Wohl auch deshalb war die Organisation eine Gemeinschaftsarbeit mehrerer Abteilungen und TSG-Vereine. Reschke erzählt: „Den Schiedsrichterstuhl haben wir zum Beispiel vom Tennisverein besorgt, wir hatten so etwas ja nicht. Bei unseren Spielen stand der Unparteiische immer auf einem Sprungkasten.“ Heinz Lindner, Leiter der TSG-Versehrtensportler, wiederum war dafür zuständig, in Stuttgart ein Netz zu holen, das den Anforderungen für ein Länderspiel genügte. Für eine musikalische Untermalung sorgte der TSG-Musikzug unter Leitung von Reinhold Dittrich. Minutiös wurde das Großereignis in der erst kurz zuvor eingeweihten neuen Sporthalle vorbereitet. Genauestens war benannt worden, wer welche Arbeit zu erledigen hat. Noch heute besitzt Reschke den Ablauf- und Organisationsplan.
Ein Papier, auf dem ihm und seinen Mitstreitern wie den Ediger- und Bachmann-Brüdern oder Heinz Hörauf die Aufgaben als Anschreiber und Linienrichter sowie für die Hand-Anzeigetafel zugeteilt werden. Reschke und Co. waren aber auch Teil des sportlichen Programms, trafen sie im Vorspiel doch auf Kornwestheim. Das hieß für die Herren Nationalspieler aus Deutschland und Jugoslawien, dass sie sich nebenan in der Stadthalle aufwärmen und einspielen mussten. Für Reschke und Kollegen bedeutete es, sich nach dem eigenen Spiel flugs umzuziehen und zu duschen, schließlich wartete der nächste Job. Noch heute bedauert Joachim Reschke: „Ich hätte vom Drumherum mit Hymnen, Reden und dem allen gern mehr mitgekriegt. Aber das ging halt nicht.“ Denn auf einen eigenen sportlichen Auftritt in einem solchen feierlichen Rahmen verzichtet ein Sportler nur ungern.
Erst recht da Volleyball damals in der Bundesrepublik noch seltener als heute im Blickpunkt stand. Hinzu kam: Während das Männerteam der ehemaligen DDR in jener Zeit schon Weltmeister war, kämpften deren Kollegen aus dem Westen ein knappes halbes Jahr vor den Olympischen Sommerspielen in München um den Anschluss an die Weltspitze und um Aufmerksamkeit. Der Vergleich im Murrtal diente als Vorbereitungsspiel für Olympia. Die DDR gewann da Silber hinter Japan. Die BRD wurde Elfter unter zwölf Mannschaften, gewann nur das Platzierungsspiel gegen Tunesien.
Der Begeisterung in Backnang tat das keinen Abbruch, schließlich gelang der deutschen Mannschaft ein 3:2-Sieg. Einer, zu dem mit Klaus-Dieter Buschle ein Spieler beitrug, der fast als Lokalmatador durchging. Der 21-Jährige, der für den TSV 1860 München in der Bundesliga auf Punktejagd ging, stammte aus Schwäbisch Gmünd. Auch das Fernsehen und das Radio berichteten groß von dem Duell im Murrtal. Dies war damals keine Selbstverständlichkeit. Volleyball steckte fast noch in den Kinderschuhen. Im Programmheft, das die TSG erstellt hatte, wurden den Zuschauern zum Beispiel ein paar der Regeln erklärt. Im Vorbericht versuchte die Backnanger Kreiszeitung, den Lesern auf die Sprünge zu helfen. „Man kann bei einem solchen Spitzenspiel mit einer Spielzeit von 60 bis 70 Minuten rechnen“, wurde in der Ausgabe vom Freitag, 4. September 1972, erklärt, um drei Tage später von einem „Zweieinhalb-Stunden-Spiel“ zu berichten. Selbst Zeitungsschreiber mussten sich in der jungen Sportart offensichtlich erst noch zurechtfinden.
Vielleicht sagt Reschke auch deshalb: „Das Spiel war für alle, die mit Volleyball zu tun hatten, die Attraktion.“ Backnangs Sport war stolz darauf, eine Halle zu haben, in der so etwas geboten werden kann. Im Spätherbst 1972 gab es dann zudem noch ein Bundesliga-Spiel zwischen Stuttgart und dem USC Freiburg. Damit hatte es sich aber und mittlerweile hat der Sporttempel der Murr-Metropole in positiver Hinsicht ohnehin längst keine Ausnahmestellung mehr. Mit Ablenkungsgefahr aus Backnang müssen Wintersportfans in Sachen Volleyball-Länderspiel jedenfalls nicht rechnen.
In dieser Serie geht es um Sportereignisse, die im Murrtal und über die Region hinaus bedeutend waren. Wettkämpfe, zu denen die Zuschauer strömten oder die längere Zeit ein fester Teil der Sportszene waren.
Der Gmünder Klaus-Dieter Buschle war der erste Volleyball-Nationalspieler aus Württemberg. Buschle war auch bei den Olympischen Spielen in München Bestandteil des deutschen Teams. In Backnang waren zudem Hans-Ulrich Graßhoff (Kapitän), Hatto Nolte, Hans-Georg von der Ohe, Rüdiger Hild, Uwe Zitranski, Paul-Georg Brisken, Toni Rimrod, Bernhard Endrich, Volker Paulus, Ulf Tütken und Klaus Wendert am Ball.
Der Großteil der Nationalmannschaft kam vom USC Münster und vom TSV 1860 München. Die beiden Vereine waren in jenen Jahren führend im deutschen Volleyball. Zudem waren der USC Gießen sowie der Hamburger SV jeweils mit einem Spieler vertreten. Bei den Olympischen Spielen in München verlor die Bundesrepublik gegen Rumänien, die DDR und Japan jeweils 0:3. Gegen Brasilien und Kuba gab es jeweils ein 2:3. Bei Rumänien war damals der spätere deutsche Nationaltrainer und Meistermacher Stelian Moculescu am Ball. Er nutzte Olympia zur Flucht aus Rumänien.
In Backnang gewann Deutschland das Duell mit 3:2. Tags zuvor in Stuttgart hatte Jugoslawien 3:2 gesiegt. Für München hatte sich das Team vom Balkan nicht qualifiziert.