Backnang: Gut eingelebt im Haus Plattenwald
Nun schon zwei Jahre leben Menschen mit psychischer Erkrankung im Haus Plattenwald in Backnang. Drei Bewohner berichten, wie es ihnen im neuen Heim gefällt. Sie können dort ihren Alltag selbstständiger und individueller bestreiten – auch aufgrund neuer Regelungen.
Von Anja La Roche
Backnang. In der Plattenwaldallee strahlt das sanierte Haus der Paulinenpflege Winnenden. Mit ihm um die Wette strahlen seine Bewohner und Bewohnerinnen, welche sich für den Besuch der Redakteurin im Gemeinschaftsraum zusammengefunden haben. Für den Fotografen wird sich noch schnell herausgeputzt und posiert, bevor Carmen, Franziska und Thomas berichten, wie sie sich in ihrem neuen Zuhause eingelebt haben. Seit 2021 leben die drei, die nicht mit Nachnamen genannt werden wollen, hier mit 20 weiteren Personen mit psychischen Erkrankungen zusammen – ein Zimmer ist aktuell frei. Sie sind dabei drei von insgesamt 16 Personen, die eine 24-Stunden-Betreuung benötigen. Sieben weitere Bewohner werden ambulant betreut, leben also etwas selbstständiger. Zuvor hatte sie die Paulinenpflege viele Jahre auf der Burg Reichenberg in Oppenweiler betreut (siehe Infotext).
Eine wertvolle Änderung in dem neuen Konzept im Haus Plattenwald besteht für die Klienten im Angebot der Tagesgruppe (TG). Seit Dezember ist das eine geschlossene Gruppe für diejenigen, die aufgrund ihrer Erkrankung keiner Arbeit nachgehen können. Die TGler kümmern sich beispielsweise um hauswirtschaftliche Aufgaben wie das Einkaufen und Kochen in der Gemeinschaftsküche. Dadurch wird eine Tagesstruktur vorgegeben und die Klienten bewältigen ihren Alltag eigenständiger. „Ich bin in der Rente und ich bin sehr dankbar, dass ich hier eine Gruppe habe“, freut sich der 64-jährige Thomas.
In der Morgenrundetauschen sich die Teilnehmer aus
Auch Carmen (33) und Franziska (28) sind Teil davon. Beide haben früher mal in der Reha-Werkstatt von der Paulinenpflege gearbeitet, einer Arbeitsstätte für psychisch erkrankte Menschen. Derzeit klappt das bei beiden nicht mehr. Durch die Tagesgruppe können sie dennoch weiterhin bestimmten Aufgaben nachgehen. Auch eine Morgenrunde, in der die Gruppenteilnehmer ihre Befindlichkeiten mitteilen können, gehört dazu. Carmen gefallen besonders die Fantasiereisen, die sie in der Gruppe machen. Thomas fügt spaßeshalber hinzu: „Der Renner in der Tagesgruppe ist natürlich das Kühlschrankauswischen.“ Etwa die Hälfte der 23 Bewohner sind TGler, die andere Hälfte arbeitet in der Werkstatt.
Für Thomas ist klar: Er will am liebsten als Landschaftsgärtner in einer Baumschule arbeiten. Franziska kann sich vorstellen, in der Gaststätte Lamm zu arbeiten. Sie ist ausgebildete Fachkraft im Gastgewerbe. „Darum geht es hier auch, Perspektiven zu schaffen“, erklärt die Sozialpsychiaterin Martina Kühme, die Teamleiterin für verschiedene Wohnbereiche der Paulinenpflege Winnenden ist.
Verschiedene Wohneinheiten sind im Haus untergebracht
Wenn es den Klienten dann doch mal zu viel wird, können sie sich in ihre Zimmer zurückziehen. Dabei wird darauf geachtet, dass jede Person in einer Wohnform lebt, die zu ihr passt. Vier Wohnungen mit jeweils einem, zwei oder drei Zimmern stehen zur Verfügung. Franziska teilt sich mit einer Freundin eine Wohnung. „Hier ist alles größer, man hockt nicht mehr so aufeinander“, hebt sie den Vorteil des Hauses gegenüber der Burg Reichenberg hervor.
Ein weiterer Vorteil des neuen Heims am Plattenwald ist seine Nähe zum Naherholungsgebiet Plattenwald und zur Stadt. „Die Stadt ist gut, wenn man mal zum Doktor oder Aldi muss“, sagt Thomas. Dafür können die Klienten auch die E-Bikes und Fahrräder der Paulinenpflege nutzen.
Doch auch etwas Wehmut klingt aus den Erzählungen der drei Neu-Backnanger. „Ich vermisse auf jeden Fall die große Küche auf der Burg“, sagt Carmen. Thomas hingegen könnte stundenlang von dem vielen Platz um die Burg in Oppenweiler erzählen; der leidenschaftliche Gärtner hatte sich dort um zahlreiche Pflanzen gekümmert. Was die Burg in Fülle bieten konnte, setzt er jetzt in kleinerem Maßstab im Haus Plattenwald fort. Kiwis, Rosen, Kräuter, Salate, Beeren, Zucchinis und vieles mehr zeigt er bei einem Rundgang durch den hübsch angelegten Garten. Lediglich die Bohnen hatte das Unwetter kürzlich umgenietet.
„Hier ist eine größere Selbstständigkeit möglich“, sagt Kühme. „Viele sind in der Selbstversorgung, sie gehen selber einkaufen oder bekommen Unterstützung. Wir haben alle Modelle. Es kommt darauf an, was jemand kann und möchte.“ Wenn sich ein Bedarf ändert, wird das Konzept der Person angepasst. Seit Neuestem ist es beispielsweise auch möglich, nur Teilzeit in der Reha-Werkstatt zu arbeiten. „Das ist ein großer Gewinn“, sagt Martina Kühme.
Die Leistungen werden individueller an die Bedürfnisse angepasst
Mehr Flexibilität in der Betreuung ist auch durch die neue Leistungsvereinbarung möglich. Die sogenannten Eingliederungshilfen vom Landratsamt für erkrankte Menschen können nun genauer an die Bedürfnisse und Krankheitsverläufe der Klienten angepasst werden.
Wenn das Konzept des Hauses gar nicht mehr zum Klienten passt, besteht die Möglichkeit zu wechseln. „Ich bin froh, dass ich die Paulinenpflege bald verlasse“, sagt Carmen. Bald startet für sie das Probewohnen in einer anderen Einrichtung im Schwarzwald. Schade nur, dass sie dann als Andrea-Berg-Fan nicht mehr ganz so nah an der Heimat der Schlagersängerin wohnen wird.
Die Bewohner und Bewohnerinnen sind über die vielen Jahre, die viele von ihnen schon zusammen wohnen, zu einer Art Familie geworden. Geteilt werden Heimweh, Freude, Streit und Freundschaft. „Unsere Klienten geben sich so viel Unterstützung“, sagt Martina Kühme. „Natürlich wird es auch mal laut. Dann wird das Gespräch gesucht und die Ursache benannt.“ Thomas betont seine Dankbarkeit gegenüber den Betreuern. „Frau Kühme hat ein ganz weites Herz.“ Eine Stelle ist noch frei im Haus Plattenwald: ein Ausbildungsplatz zum Heilerziehungspfleger.
Haus Plattenwald Ein Backnanger Verein errichtete das Haus Anfang der 70er-Jahre und wollte dort ein Begegnungszentrum betreiben. Die Paulinenpflege hat das Haus Ende der 70er-Jahre erworben. Es diente bis 2015 als Wohnheim für erwachsene Menschen mit Behinderung.
Verhandlungen Nach dem Umzug wollte die Stadt Backnang auf dem Grundstück geflüchtete Menschen unterbringen. Die Paulinenpflege sah sich gezwungen, die Verhandlungen abzubrechen und das Gebäude selbst zu sanieren und wieder zu nutzen.
Verordnung Grund war zum einen, dass das Kreissozialamt die Paulinenpflege schon vor Jahren zur Aufgabe des Wohnens auf der Burg aufgefordert hatte. Im Sinne der Inklusion sollte eine zentrumsnahe Unterbringung angestrebt werden. Dazu kam 2017 die neue Landesheimbauverordnung, deren Vorgaben die Burg nicht erfüllen kann.