Backnanger Wirtschaft: Ökologie und Ökonomie müssen vereint werden
Der Nachhaltigkeitsexperte Christian Berg fordert bei den Wirtschaftsgesprächen die Unternehmer zu zukunftsorientiertem Handeln auf.
Von Matthias Nothstein
Backnang. Für den Nachhaltigkeitsexperten Christian Berg ist klar: Die Klimakrise sollte mit höchster Priorität angegangen werden. Doch das ist nicht der Fall, weil spätestens seit 2001 und den 9/11-Terroranschlägen ständig eine Krise die nächste jagt: die Kriege in Afghanistan und im Irak, die Immobilienblase, die Eurokrise, die Krimannexion, der Syrienkrieg. 2021 schon lautete das Thema des Festredners Peter Bofinger „Durchstarten nach der Krise“. Nun fragte der aktuelle Redner: „Welche Krise war das? Ich denke: Corona.“ Und er ergänzte angesichts der aktuellen Probleme wie Lieferengpässe, Energiepreisexplosion, Inflation, Hungerkrise oder Abhängigkeit vom Gas: „Heute denkt manch einer, die Sorgen von damals hätte ich gerne.“
Folgen der Klimakrise sind langfristig
Angesichts der ständigen Krisen fragte sich der Referent, wo bei alledem die Nachhaltigkeit und die Bewältigung der Klimakrise bleiben? „Diese Themen haben es schwer, sich gegen andere durchzusetzen, denn unser Fokus ist immer extrem kurzfristig.“ Die Folgen „unserer Nichtnachhaltigkeit und der Klimakrise sind hingegen langfristig“. So verbringt die Gesellschaft die Zeit mit kurzfristiger Krisenbewältigung, statt die Zusammenhänge zu sehen und die Welt krisenfester zu machen. Die Prognose „das fällt uns irgendwann einmal auf die Füße“ äußerte Berg öfter. „Und dabei haben wir gar kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.“
Wir haben extrem gute Voraussetzungen: Spitzentechnologie, gute Ingenieure, ein gutes Bildungssystem
Er listete drei Beispiele auf, bei denen jeweils früh klar war, wie man vorbeugend auf eine mögliche Krise reagieren könnte. So hätten Wissenschaftler schon 2012 „mit einer geradezu unheimlichen Präzision“ beschrieben, was im Falle einer Pandemie passieren könnte. Und sie hätten aufgezeigt, was die Gesellschaft und die Kliniken im Ernstfall zu tun hätten. Als dann acht Jahre später die Pandemie ausbrach, gab es in Deutschland nicht einmal Gesichtsmasken. „Man fragt sich, wie kann es sein, dass uns Corona auf dem falschen Fuß erwischt hat?“ Ebenso listete er auf, wie nach der Krimannexion alle Experten vor einer zu großen Abhängigkeit von Russland gewarnt hätten. Trotzdem stieg der Anteil an russischem Gas seit 2014 bis zum Kriegsausbruch in der Ukraine von 35 auf 55 Prozent. Beim Beispiel Klima beklagte Berg: „Wir reden seit Jahrzehnten vom Klimaschutz, haben aber viel zu wenig gemacht. Immer war irgendetwas anderes gerade dringender.“
19. Backnanger Wirtschaftsgespräche
Erstmals hatten der Industrie- und Gewerbeverein Backnang sowie die Stadt Backnang für den Treff für die Unternehmer und Multiplikatoren des Backnanger Raums auf das Parkdeck der Kauflandfiliale in der Sulzbacher Straße geladen.
Dabei müsste Deutschland, das historisch stark von der Industrialisierung profitiert und viel zu dem jetzigen Problem beigetragen hat, nun vorangehen: „Wir haben extrem gute Voraussetzungen: Spitzentechnologie, gute Ingenieure, ein gutes Bildungssystem, eine stabile Gesellschaft und Rechtssicherheit für Investoren. Wer, wenn nicht wir, sollte anfangen, die Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie zu erreichen?“
Die nötigen Veränderungen sind für die Wirtschaft auch eine Chance: „Wenn wir als Gesellschaft es schaffen, Technologien, Systeme, Lebensstile und soziale Innovationen hervorzubringen, die ein gutes Leben im Einklang mit den Belastungsgrenzen des Planeten erlauben, dann wird es keine besseren Exportschlager geben können. Denn es ist unstrittig, dass das früher oder später für alle Menschen wichtig werden wird.“
Der Druck kommt aus der Gesellschaft, der Belegschaft und den Finanzmärkten
Das setzt aber voraus, dass sich die Firmen fit machen und die Herausforderungen für diese Transformationen erkennen. „Das ist eine der größten Aufgaben, die wir als Gesellschaft zu bewältigen haben.“ Die Unternehmen müssten sich drastisch ändern, der Druck dazu komme von vielen Seiten. Berg erinnerte an die Fridays-for-Future-Bewegung. Der Druck komme aber auch aus den Belegschaften. Er appellierte an die Gäste, die in einer sehr strukturstarken Region leben: „Sie müssen zeigen, dass sie den Mitarbeitern etwas bieten.“
Druck komme ferner von den Finanzmärkten. So zitierte er aus einem Brief des Blackrock-Chefs Larry Fink an die CEOs seiner Investoren: „Die Dekarbonisierung ist die größte Investitionsmöglichkeit unseres Lebens.“ Berg: „Das sagt er nicht als Gutmensch oder Umweltaktivist, sondern als Investor.“ Der Redner listete einige Beispiele auf, mit denen er belegte, dass das Optimierungspotenzial ein Wettbewerbsvorteil sein kann. Das sehe man an den Prozessen, den Produkten und den Geschäftsmodellen. So etwa bei der Firma Schmalz, die erhebliche Energie benötigt und vor Jahren schon kräftig investierte. „Das hat eine Zeit lang wehgetan, aber heute mit dem Steigen der Energiepreise sind sie fein raus.“