Backnanger Wohnprojekt: Hier wird mit Stroh gebaut
In Backnang entsteht auf dem Gelände einer ehemaligen Gärtnerei ein Wohnprojekt, das neue Wege gehen möchte. Ziel ist es, günstigen Wohnraum und Gemeinschaft zu schaffen und Nachhaltigkeit und Ökologie miteinander zu verbinden. Dabei spielt Stroh eine besondere Rolle.
Von Simone Schneider-Seebeck
Backnang. „Ein IBA’27-Projekt ist mutig, modellhaft und zukunftsweisend.“ So heißt es im Qualifizierungsprozess für Projekte im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 2027. Eines dieser sicher wegweisenden Projekte ist das geplante Quartier Im Blütengarten in Backnang. Auf dem Grundstück einer ehemaligen Gärtnerei soll auf 3.200 Quadratmetern ein neues Wohnen entstehen. Dazu gehört unter anderem eine neue Bauweise, etwa mit Holz und Stroh. Und so wird bei einem Workshop der Bau eines strohgedämmten Hauses in Holzständerbauweise erprobt.
Bereits am Samstag hat sich die erste Gruppe getroffen. Etwa acht Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich des Aufbaus der Holzkonstruktion angenommen. Am Sonntag steht nun die besondere Herausforderung an – die Dämmung mit Stroh. Von einem in der Nähe gelegenen Hof wurden zahlreiche Strohballen angeliefert. Die Größe hatte man vorher erfragt, die Holzkonstruktion wurde an der Größe der Ballen ausgerichtet. Zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dazu noch einige Kinder, sind nun damit beschäftigt, das Stroh an Ort und Stelle einzubringen. Es wird geschoben und gestopft. Eigentlich erstaunlich schnell sind die Seitenwände und das Dach mit Stroh gefühlt. Mit der Heckenschere wird die Dämmung noch begradigt.
„Das hier ist eine Art Test Case“
Sascha Rudolf ist Projektleiter bei der IBA. „Hier bringt man zwei Dinge ganz gut zusammen“, sagt er. Zum einen werde mit dem Bau des Strohhäuschens etwas ausprobiert, das später auch für größere Gebäude gelten könne, etwa gemeinschaftliche Aktivitäten, indem das kleine Häuschen als Gemeinschaftsaktion zusammen gebaut wird. Dazu geht es auch um das Thema alternative Baustoffe und die Art und Weise, wie überhaupt in Zukunft gebaut werden könne. „Das hier ist eine Art Test Case“, so Rudolf. „Stroh ist ein Baustoff, der in letzter Zeit immer stärker verwendet wird.“ Der Vorteil: Das im Stroh gebundene CO2 wird im Haus eingelagert und kommt nicht in die Atmosphäre. Zudem ist es ein gutes Dämmmaterial und regional verfügbar.
Am Wochenende sollen die Außen- und die Innenfassade fertiggestellt werden. Dazu wird innen Lehmputz direkt auf das Stroh aufgetragen, das verbindet sich dann sehr gut miteinander. Im Anschluss wird Oberputz aufgetragen. Für die Außenfassade werden Weichfaserplatten verwendet, ein Holzresteerzeugnis. Auf diese Verkleidung wird ebenfalls Lehmputz aufgebracht. Für das Dach wird das alte Glasdach der früheren Gärtnerei genutzt, wodurch es einen Dachüberstand gibt, der wiederum die Seitenwände vor Witterung schützt.
Bauherren des Projekts sind die Architekten Thomas Pinnel und Caroline Hafner-Pinnel, unterstützt werden sie von Architects 4 Future und dem Büro Plus Bauplanung. Die beteiligten Partner sind sich darin einig, dass sich im Bauen eine Bauwende vollziehen sollte. So haben die Architects 4 Future folgende zehn Forderungen auf dem Weg zum neuen Bauen überlegt: Bedarfe überdenken, Abriss kritisch hinterfragen, Beschleunigung der Energiewende, zukunftsfähige Qualität entwerfen, kreislauffähig und klimapositiv konstruieren, eine gesund gebaute Umwelt fördern, Klimaresilienz stärken, Raum schaffen und erhalten für Biodiversität, soziale Verantwortung übernehmen und integral planen.
Das Projekt Im Blütengarten wird, sofern es wie gedacht umgesetzt werden kann, einige dieser Forderungen optimal umsetzen können. „Insbesondere Stroh ist ein schnell nachwachsendes Material und insbesondere beim Wachsen der Pflanzen wird CO2 eingespeichert. Beim Holz auch. Dadurch schaffen wir einen CO2-Speicher“, erläutert Jasmin Schoon. Zudem wird ohne Schadstoffe gebaut, ergänzt Jule Michalik, Architektin aus Reutlingen. „So kann man sich guten Gewissens im Gebäude aufhalten.“ Zudem passt auch der Punkt „Bedarfe überdenken“ für das Projekt. Denn es wird weniger individuellen, dafür mehr gemeinschaftlichen Wohnraum geben. „Wir sollten als Gesellschaft überdenken, wie viel Fläche wir tatsächlich brauchen“, sagt Jasmin Schoon. „Wir müssen schauen, wie wir den Wohnraum, den wir haben, gut nutzen können.“ Vorteile der Bauweise – das Stroh kostet so gut wie nichts. „Und wie man hier auch sieht – diejenigen, die hier mitarbeiten, haben eigentlich noch nie mit Stroh gearbeitet und man kann es selbst einbauen. Man kann ziemlich leicht mitmachen“, zählt Jule Michalik weitere Vorteile der Strohbauweise auf.
Jeder Bewohner soll etwas Freifläche zur Nutzung haben
Auf dem Grundstück soll eine kleinere Wohnsiedlung errichtet werden, wie Lukas Brenner, Architekt von Plus Bauplanung, erläutert. Wichtig dabei sei der soziale Mehrwert. Denn es geht auch um Gemeinschaft. Jeder Bewohner soll etwas Freifläche zur Nutzung haben. Dafür sind die geplanten 13 Wohnungen verhältnismäßig klein gehalten, an etwa 40 Bewohner ist gedacht. Dazu werden drei Häuser mit zwei bis vier Wohnungen neu errichtet sowie ein Gebäude, in dem eine Cluster-Wohnung entstehen soll. Diese besteht aus acht Zimmern mit jeweils privatem Bad sowie Gemeinschaftsräumen und einer Geschäftszone im Erdgeschoss.
Die Wohnungsgrößen orientieren sich am förderungsfähigen Wohnungsbau; man versucht dabei, den individuellen Wohnraum möglichst klein zu halten. Immerhin steigt die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf seit Jahren kontinuierlich und nähert sich mittlerweile der 50-Quadratmeter-Marke. Die Häuser werden verbunden durch eine gemeinsame Erschließung, gewissermaßen eine gläserne Wohnstraße, die einen Treffpunkt für die Bewohner bietet.
Wie das Leben im Blütengarten schließlich aussieht, liegt in den Händen der Bewohner. „Die Architekten liefern die Hülle, die Interessenten füllen die Häuser mit Leben“, so Thomas Pinnel. Der Wunsch ist, dass die Häuser bis zur IBA 27 gebaut und bewohnt sind und man dann die Möglichkeit hat, sich über diese Wohnform direkt mit den Bewohnern auszutauschen.
Modellerklärung Die ungefärbten Häuser sind Bestandsgebäude. Ganz links ist das Hebammenhaus zu sehen, dass die Architekten Pinnel und Hafner-Pinnel gebaut haben. Die drei zartblauen Gebäude beinhalten mehrere Wohnungen, das rosafarbene Gebäude soll eine Cluster-Wohnung enthalten (WG für acht Personen, beispielsweise gut geeignet für Alleinstehende, jedes Zimmer mit eigenem Bad) und im Erdgeschoss Arbeitsraummöglichkeiten. Verbunden sind alle vier Gebäude durch einen Glasgang, der für Aktivitäten draußen geeignet ist. Zugang zu den Gebäuden ist nur über den Glasgang, sodass Begegnungen zwischen den Bewohnern zustande kommen können.
Finanzierung Das Projekt soll über einen noch zu gründenden Verein finanziert werden. Dieser Verein betreibt das Quartier, er tritt als Mieter auf und verteilt den Wohnraum. Ziel ist es, günstigen Wohnraum anzubieten, der unter nachhaltigen und ökologischen Aspekten errichtet wurde. Die Verwaltung liegt dann in den Händen der Bewohner.
Infos Weitere Informationen zum geplanten Quartier gibt es unter www.imbluetengarten.de.