Backnanger Amtsgericht verurteilt Angeklagten wegen Aufkleber mit „Judenstern“
Bei einem Prozess am Amtsgericht wegen Volksverhetzung in zwei Fällen sieht der Richter die Grenze der Meinungsfreiheit überschritten.
Von Kai Wieland
Backnang. Wo hört die Meinungsfreiheit auf, wo fängt Volksverhetzung an? Für die Justiz ist dies eine heikle Frage, die in jedem Einzelfall aufs Neue ausgelotet werden muss, so auch einmal mehr am Backnanger Amtsgericht. Verhandelt wurde eine Anklage wegen Volksverhetzung in zwei tateinheitlichen Fällen.
Hauptgegenstand des Verfahrens war ein Aufkleber, den der Angeklagte, ein 43-jähriger Industriemechaniker, bereits im Jahr 2021 an seinem Arbeitsplatz in einer Werkshalle angebracht hatte. Dieser zeigt einen sogenannten Judenstern, wie er in der Zeit des Nationalsozialismus zur Markierung von Menschen, die gemäß der Nürnberger Gesetze als jüdisch galten, verwendet wurde. Anstelle des Worts „Jude“ allerdings ist darauf in einer ähnlichen Schriftart das Wort „Ungeimpft“ zu lesen. Weiter ist auf dem Aufkleber die Frage „Wieder so weit?“ formuliert. Dieselbe Collage hatte der Angeklagte, der sich vor Gericht nicht äußern wollte, zudem auf WhatsApp als Status geteilt und auf Nachfrage an einen Bekannten verschickt.
Gefälschte Impfdokumente führen zu Hausdurchsuchung
Im Februar dieses Jahres brachte der Angeklagte den gleichen Aufkleber zudem auf der Kofferraumklappe seines Fahrzeugs an. Weitere dieser Aufkleber sowie diverse andere Sticker, die sich gegen politische Verantwortungsträger oder die Coronamaßnahmen richteten, wurden bei einer Hausdurchsuchung beim Angeklagten in einer Flurkommode gefunden.
Dabei war der Anlass für die Hausdurchsuchung eigentlich ein anderer gewesen: Zuvor waren bei der Partnerin des Angeklagten am Flughafen Stuttgart ein gefälschtes Impfdokument festgestellt und ein Mobiltelefon beschlagnahmt worden, welches über einen Chatverlauf mit ihm in Verbindung gebracht werden konnte. Bei der Durchsuchungsmaßnahme wurden weitere Hinweisen auf gefälschte Impfdokumente gefunden, darüber hinaus aber auch besagte Aufkleber sowie kleinere Mengen Betäubungsmittel, laut einer als Zeugin auftretenden Polizistin mutmaßlich Marihuana.
Verteidiger plädiert auf Freispruch
Fünf Zeugen waren zur Verhandlung geladen, bei denen es sich allesamt um Polizistinnen und Polizisten handelte, die an der Hausdurchsuchung, an der Untersuchung am Arbeitsplatz oder an den Ermittlungen zu den Impfdokumenten beteiligt gewesen waren. Da aber ohnehin kein Zweifel daran bestand, dass der Angeklagte die Aufkleber selbst angebracht und verschickt hatte und dieser das auch nicht leugnete, nahm die Zeugenbefragung nur wenig Zeit in Anspruch. Ausschlaggebend würde letztlich allein die rechtliche Beurteilung sein, stellte der Anwalt des Angeklagten dann auch vor den Plädoyers fest.
In der Folge setzte er zu einer energischen Verteidigung seines Mandanten an, bei der er versuchte zu verdeutlichen, dass es in jener Zeit durchaus ein Klima der Diskriminierung gegeben habe, in dem sich Ungeimpfte ausgegrenzt fühlen konnten. Zur Veranschaulichung legte er verschiedene Zitate von Politikern und anderen Personen der Öffentlichkeit vor, in welchen nach seiner Ansicht die Beschneidung bestimmter Rechte, etwa die Unversehrtheit der Wohnung, für Ungeimpfte erwogen wurden. Außerdem wies er noch einmal darauf hin, dass es gerade als Christ, was sein Mandant aus voller Überzeugung sei, ganz abgesehen von medizinischen Bedenken sehr gute Gründe gebe, eine Impfung, die letztlich ein Eingriff ins Erbgut sei, abzulehnen. Weil er diesen Überzeugungen treu geblieben sei, habe er sich der Ausgrenzung ausgesetzt gesehen, sich davon bedroht gefühlt und dem auf diese Weise Ausdruck verliehen. Damit habe er aber nicht die Taten der Nationalsozialisten oder das Leiden der jüdischen Opfer verharmlosen wollen. „Es ging ihm um die Vergleichbarkeit, nicht um Herabwürdigung, im Gegenteil“, betonte der Verteidiger. Er räumte zwar ein, dass sein Mandant dies auf eine geschmacklose Art ausgedrückt haben mochte, plädierte aber dennoch auf Freispruch: „Er hat nur sein empfundenes Leid mit etwas verglichen, das in ähnlicher Weise zuvor passiert ist.“
Der Angeklagte, der sich ansonsten zur Sache nicht äußerte, folgte abschließend den Ausführungen seines Verteidigers: „Es war dumm, die falsche Ausdrucksweise, aber ansonsten war das mein Gefühl.“
Ein Urteil mit ausführlicher Begründung
Der Richter sprach den Angeklagten dennoch schuldig und nahm sich für seine Urteilsbegründung viel Zeit: Es handle sich um einen Fall, der genaues Hinschauen verdiene. „Es ist mir wichtig, ausdrücklich zu betonen, dass es bei diesem Verfahren nicht um die Frage geht, ob Sie geimpft sind oder nicht“, sagte er. Das Gleiche gelte für seinen Standpunkt zu den Coronamaßnahmen. Stattdessen könne das Gericht lediglich die Sachlage betrachten und abwägen, ob der Straftatbestand erfüllt sei, und da müsse er feststellen: Ja, man bewege sich im Bereich der Volksverhetzung.
„Man muss dafür kein Antisemit sein oder die Intention haben, eine volksverhetzende Aussage zu treffen“, erklärte er. „Entscheidend ist nicht das subjektive Empfinden des Angeklagten, sondern der Eindruck, der sich einem objektiven und verständigen Betrachter bietet.“ Es sei zu bedenken, dass der sogenannte Judenstern kein allgemeines Symbol der Diskriminierung sei, sondern zeitlich und in seiner Anwendung ab 1941 sehr eng verknüpft mit den Vernichtungslagern und der massenhaften Deportation und Ermordung jüdischer Menschen. Der Bezug, den der Angeklagte bewusst gewählt habe, sei also nicht Diskriminierung, sondern der Holocaust. „Die Frage ist daher, ob die Coronamaßnahmen mit einem Völkermord vergleichbar waren, und da muss jeder verständige Mensch einräumen, dass dies nicht im Ansatz der Fall ist.“ Es handle sich also um eine Verharmlosung, die vielleicht nicht beabsichtigt, für den objektiven Betrachter aber wahrnehmbar gewesen sei.
Außerdem müsse die Frage, ob der öffentliche Friede durch eine solche Abbildung gestört werden könne, mit ja beantwortet werden. „Durch derartige Darstellungen wird ein Recht auf Widerstand suggeriert, das die Hemmschwelle herabsetzt und zum Rechtsbruch anregt.“ An dieser Stelle verwies der Richter auf den Tankstellenmord von Idar-Oberstein.
Beim Strafmaß wollte er dennoch nicht in das oberste Regal greifen und verhängte 90 Tagessätze zu je 55 Euro.