Hochwasser: Baden-Württemberg kämpft und hilft

dpa/lsw Lörrach/Stuttgart. Es ist kein Vergleich zu Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen - doch auch in Baden-Württemberg kämpfen mancherorts Anwohner und Einsatzkräfte mit Hochwasser. Andere brechen auf in den Norden. Der Schutz vor solchen Katastrophen beschäftigt auch die Politik.

Thomas Strobl (CDU) spricht. Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild

Thomas Strobl (CDU) spricht. Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild

Überflutete Straßen, unterspülte Gleise und Lebensgefahr: Starke Regenfälle und Hochwasser haben in der Nacht zum Freitag vor allem im Süden Baden-Württembergs Anwohner und Einsatzkräfte in Atem gehalten. Im Allgäu stand ein Wohngebiet unter Wasser. In der Stadt Lörrach rief die Feuerwehr den öffentlichen Notstand aus. Und im benachbarten Inzlingen retteten sie einen Jugendlichen, der mit den Wassermassen in einen offenen Gully gesogen wurde. Mehrere Bahnstrecken sind nicht befahrbar und auch die Schifffahrt auf dem Rhein bleibt wohl noch tagelang eingestellt. Meteorologen kündigten weitere Starkregenfälle und Gewitter an. Und der Landtag soll nun über den Schutz von Unwetterfolgen beraten.

Zudem schickt Baden-Württemberg immer mehr Helfer ins deutlich stärker betroffene Nachbarland Rheinland-Pfalz. Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte am Freitag in Stuttgart: „Am gestrigen Abend und in den Nachtstunden haben wir die Unterstützung deutlich ausgeweitet und weitere rund 600 Einsatzkräfte von Sanitätsdienst, Feuerwehr und Technischem Hilfswerk zur Unterstützung entsandt.“ Hubschrauber, Höhenretter und Hochwasserspezialisten sind dabei. Allein das Technische Hilfswerk schickte 160 Helferinnen und Helfer. „Gefordert ist vor allem Unterstützung mit Booten, Pumpen und schwerem Räumgerät, zur Suche nach Vermissten und zur Beseitigung von Schutt und Trümmern“, teilte der THW-Landesverband Baden-Württemberg mit.

In Wangen im Allgäu (Landkreis Ravensburg) wurde ein Wohngebiet überflutet. Treibgut blockierte laut Polizei zwei Brückendurchflüsse eines Bachs. Das Wasser stand nach Angaben der Einsatzkräfte zum Teil kniehoch, in einem Blockheizkraftwerk sogar bis zu 1,60 Meter. Keller und Garagen liefen voll. Menschen wurden nicht verletzt. Die Feuerwehr zählte seit Donnerstagabend mehr als 60 Einsätze.

Ähnlich viele waren es in Lörrach und Inzlingen, so dass die Feuerwehr den öffentlichen Notstand ausrief. Eine formale Maßnahme, damit nicht die Bürger das Auspumpen der Keller bezahlen müssen. Auf einer gefluteten Straße in Inzlingen hielten ein Vater und ein benachbarter Feuerwehrmann den 17-jährigen Sohn des Mannes fest, der in einen Gully gespült wurde. Feuerwehrkommandant Thomas Muck sprach von einer lebensgefährlichen Lage. Weitere Einsatzkräfte hätten geholfen, den Teenager zu retten. Er habe einen Schock erlitten.

Muck schilderte das Geschehen aus der Nacht: Gegen 2.00 Uhr sei er alarmiert worden. „Da war wahnsinnig Energie in der Luft.“ Es habe gewittert. „Ich bin schon durch Wasserlachen gefahren, die einen halben Meter tief waren. Mülleimer wurden entgegengespült, Gullys hochgedrückt. Da wusste ich schon, was uns erwartet.“

Auch im nahen Grenzach-Wyhlen an der Schweizer Grenze wurden Schlamm, Steine und Holz auf Straßen gespült, einige Strecken wurden gesperrt. Aus Stühlingen berichtete die Polizei von starken Überschwemmungen, die auch die Statik von Gebäuden beeinflussten. Ein Anbau stürzte ein, das Wohnhaus wurde evakuiert. In Stockach (Landkreis Konstanz) trat laut Feuerwehr ein Bach an vielen Stellen über die Ufer. Unter anderem sei der Parkplatz eines Supermarktes überschwemmt worden. Zahlreiche Gebäude wurden mit Sandsäcken gesichert. In Hohenfels bemerkte ein Autofahrer zu spät, dass eine Kreisstraße überflutet war. Sein Wagen lief voll, der Mann brachte sich in Sicherheit.

Im Laufe des Vormittags entspannte sich die Lage in den Regionen. Aus einer unterspülten Fußgängerunterführung in Inzlingen müssten noch rund 1,5 Meter Schlamm abtransportiert werden, sagte Muck. In Lörrach war die Feuerwehr da schon wieder dabei, die Fahrzeuge aufzurüsten.

Wegen unter- und überspülter Gleise können die nächsten Tage keine Züge mehr auf der Donaubahn zwischen Ehingen und Munderkingen (beide Alb-Donau-Kreis) fahren. Weil Wassermassen einen Bahndamm der Ablachtalbahn-Strecke bei Sauldorf (Landkreis Sigmaringen) stark beschädigt haben, kann der Betrieb nicht wie geplant am Wochenende aufgenommen werden. Auf rund 20 Metern müssten das Gleis entfernt, der Damm saniert und anschließend das Gleis neu verlegt werden, erklärte die Stadt Meßkirch. Das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Oberrhein teilte mit: „Nach derzeitiger Lage ist mit einer Freigabe für die Schifffahrt erst ab Anfang nächster Woche zu rechnen.“

Die SPD will das Thema im Landtag debattieren. Fraktionschef Andreas Stoch erklärte, er habe eine aktuelle Debatte dazu für die Sitzung am Mittwoch angemeldet. Das Land müsse sich mit den zunehmenden Gefahren durch extremen Starkregen befassen und handeln. „Das betrifft kurzfristige Vorsorge im Hochwasserschutz ebenso wie eine optimale Vorbereitung aller Einsatzkräfte, das betrifft aber auch Konsequenzen beim Klimaschutz und dem Umgang mit unseren Flüssen.“

Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) rief erneut die Kommunen auf, die extremen Wetterlagen im Blick zu haben und sich vorzubereiten. „Der Klimawandel wird zu einer Klimakatastrophe, hier mitten in Deutschland, wenn wir nicht schnell und massiv gegensteuern.“ Nötig seien Vorsorge, Schutzmaßnahmen und konsequenter Klimaschutz.

© dpa-infocom, dpa:210716-99-404752/4

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Erstellt:
16. Juli 2021, 10:39 Uhr

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