Baerbock: Dass Wahlkampf nicht Zuckerschlecken ist, war klar
dpa Stuttgart. Baerbock auf Wahlkampftour in Baden-Württemberg: Die grüne Kanzlerkandidatin nennt den Südwesten eine Blaupause für Deutschland. Ministerpräsident Kretschmann hält das Rennen für völlig offen.
Der Südwesten als Vorbild für die ganze Republik? Annalena Baerbock gibt sich am Mittwoch jedenfalls beeindruckt vom Ländle. Gemeinsam mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) besucht sie am Mittwoch ein Zementwerk in Allmendingen im Alb-Donau-Kreis. Die beiden tragen knallorangene Warnwesten, weiße Helme und bestaunen den großen Steinbruch, in dem die Rohstoffe gewonnen werden. Die Produktion läuft klima- und ressourcenschonend. Das gefällt Baerbock. In Sachen klimagerechter Wohlstand nennt sie Baden-Württemberg sogar eine „Blaupause“. Deshalb sei sie hier.
Baerbock nannte konkret die von der grün-schwarzen Landesregierung initiierten Strategiedialoge, bei denen die klugen Köpfe eines Landes oder einer Region an einen Tisch geholt würden. „Das ist auch die Blaupause für eine zukunftsfähige Politik auf Bundesebene.“
Baerbock ist seit Wochen in der Defensive, will wieder Oberwasser gewinnen in diesem Bundestagswahlkampf. Im schwäbischen Allmendingen soll es um Inhalte gehen, nicht um ihre Person. Sie spricht von der Wertschöpfungskraft, von internationaler Konkurrenz bei der Klimaneutralität. Baerbock fordert eine „massive Entbürokratisierung“ bei Fördermitteln. Klimaneutralität in der Industrie sei nichts Abstraktes mehr.
Die Grünen waren nach Bekanntgabe der Kanzlerkandidatur von Baerbock zunächst im Umfragehoch. Danach gerieten sie aber unter Druck, auch weil Plagiatsvorwürfe gegen Baerbock wegen ihres Buchs „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ erhoben wurden. Zuvor war bekannt geworden, dass Baerbock Sonderzahlungen der Partei verspätet an den Bundestag gemeldet hatte. Partei und Kandidatin mussten zudem Angaben in Baerbocks Lebenslauf korrigieren. Zuletzt lagen die Grünen in Meinungsumfragen deutlich hinter der Union.
Baerbock zeigte sich am Mittwoch wenig überrascht angesichts der heftigen Kritik, die sich in den vergangenen Wochen gegen sie richtete. „Dass ein Wahlkampf nicht nur Zuckerschlecken ist, war uns von Anfang an klar“, sagte sie auf die Frage hin, wie sie wieder Tritt fassen wolle im Wahlkampf. „Ganz besonders wenn man zum ersten Mal in seiner 40-jährigen Geschichte überhaupt eine Kanzlerkandidatin aufstellt.“ Man stehe vor einer Richtungswahl. Es gehe um die entscheidenden Weichenstellungen für klimagerechten Wohlstand.
Die Südwest-Grünen läuten am Mittwoch den Bundestagswahlkampf ein. Abends findet dann die Wahlkampf-Auftaktveranstaltung in Heidelberg unter anderem mit Kretschmann, Baerbock, Cem Özdemir und den beiden Grünen-Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand statt.
Aus Sicht von Ministerpräsident Kretschmann wird im Wahlkampf über die falschen Dinge diskutiert. „Es besorgt mich schon, dass wir in so eine Stimmungsdemokratie hineinkommen und damit die wichtigen Sachen aus dem Blick geraten“, sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur vor dem Besuch Baerbocks. „Natürlich macht jeder Fehler: Der eine lacht an der falschen Stelle, die nächste macht ihren Lebenslauf zu schlampig.“ Aber bei einem Bundeskanzler oder einer Bundeskanzlerin komme es auf etwas anderes an, etwa auf die strategische Kompetenz, die Führungsstärke, betonte Kretschmann. „Da läuft was nicht richtig in unserer Debattenkultur. Das besorgt mich.“
Kretschmann nahm Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in Schutz. Sie hat aus seiner Sicht nicht an Glaubwürdigkeit verloren. „Sie hat weder Steuern hinterzogen, noch hat sie Korruptionsvorwürfe an der Backe, noch hat sie irgendwie gelogen oder ihre Unkenntnis in wichtigen Fragen gezeigt“, sagte er der dpa. „Die Art und die Themen der bisherigen Auseinandersetzung: Das hat mich schon befremdet.“
„Es sind noch mehr als 60 Tage bis zur Wahl, es ist noch alles möglich“, ist Kretschmann überzeugt. Der 73-Jährige setzt auf das Thema Klimaschutz. Die Bilder der Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands machten klar, worum es bei dieser Wahl gehe, sagte er.
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