Nato-Gipfel
Bangen um Biden
Joe Biden steht beim NATO-Gipfel unter verschärfter Beobachtung im In- und Ausland. Jedes Wort und jeder Schritt des angeschlagenen US-Präsidenten werden genau verfolgt. Die Pressekonferenz am Donnerstag gerät zur Bewährungsprobe.
Von Thomas Spang
Normal ist es nicht, wenn der fehlerfreie Vortrag einer Rede vom Teleprompter zur Nachricht vom Jubiläumsgipfel der NATO wird. Im Fall Joe Bidens reichte es, dem 81-Jährigen eine Verschnaufpause zu verschaffen. David Sanger von der New York Times, der so etwas wie der Doyen unter den sicherheitspolitischen Korrespondenten in den USA ist, meinte, die abgelesene Eröffnungsrede im Mellon-Auditorium von Washington sei einer der stärksten Auftritte des Präsidenten seit Langem gewesen. Ohne Versprecher und mit kräftiger Stimme vorgetragen.
Biden zitiert Reagan: Kein Frieden für Amerika ohne Frieden in Europa
Das war nach dem Totalausfall Bidens bei seiner Debatte mit Donald Trump Ende Juni eine größere Überraschung als der Inhalt seiner Ausführungen. Darin hatte der Präsident noch einmal bestätigt, was schon vor dem Gipfel bekannt war: Dass die USA, Deutschland, Italien, die Niederlande und Rumänien zusammen „fünf strategische Luftverteidigungssysteme“ an die Ukraine liefern werden.
Biden, der sechs Jahre älter ist als die NATO, bekräftigte deren Bedeutung für die Sicherheit auf beiden Seiten des Atlantik. Amerika werde keinen Frieden haben, wenn Europa keinen habe, zitierte der Präsident Ronald Reagan, der für einen anderen Kurs stand als der „America-First“-Kandidat der Republikaner Donald Trump.
Ob die NATO Bidens Prophezeiung garantieren kann, dass „die Ukraine Putin stoppen wird“ und nicht Russland, sondern das überfallene Land die Oberhand gewinnt, dürfte davon abhängen, ob Trump bei den Wahlen im November ins Weiße Haus zurückkehrt. Der Ex-Präsident macht aus seiner Bewunderung für Putin kein Geheimnis und hat versprochen, den Krieg in der Ukraine „an einem Tag“ zu beenden. Die NATO selbst hatte er wiederholt als „überflüssig“ bezeichnet.
Parteiinternen Kritiker Bidens hielten sich auf dem Gipfel zurück
Die in Washington versammelten Staats- und Regierungschefs sind sich bewusst, wie sehr das Schicksal des Bündnisses mit dem des schwächelnden Präsidenten verbunden ist. Am Montag war bekannt geworden, dass Biden mindestens dreimal von einem Parkinson-Experten untersucht worden war. In den Umfragen liegt er zwei Wochen nach dem Debatten-Desaster jetzt so weit gegen Trump zurück, dass der Amtsinhaber bestenfalls noch Außenseiter-Chancen hat.
Die parteiinternen Kritiker Bidens hielten sich aus Rücksicht auf dessen Rolle als Gastgeber des NATO-Gipfels am Dienstag erwartungsgemäß mit öffentlichen Forderungen nach einem Verzicht auf die Präsidentschaftskandidatur zurück. Die lauwarme Unterstützung, die Fraktionsführer Hakeem Jeffries und Charles Schumer nach internen Beratungen im Repräsentantenhaus und Senat bekräftigten, kann nicht über die tiefen Zerwürfnisse in der Partei bei der Frage hinwegtäuschen, wie es weitergehen soll.
Senator Michael Bennet spricht im Fernsehen Klartext
Am Dienstagabend gab der Senator aus Colorado, Michael Bennet, CNN ein Interview, in dem er Klartext sprach. „Donald Trump ist auf dem Weg, diese Wahlen zu gewinnen“, erklärte der Demokrat. „Es könnte ein Erdrutsch werden, bei dem er den Senat und das Repräsentantenhaus gleich mitnimmt.“ Für ihn gehe es nicht um Politik oder Wahlkampftaktik. „Es ist eine moralische Frage, bei der es um die Zukunft unseres Landes geht.“ Er habe „tiefe Sorge“.
Die äußerte auch Adam Smith, der für die Demokraten im Verteidigungsausschuss des Repräsentantenhauses sitzt. Aus Rücksicht auf die Gefühle Bidens „in Zeitlupe in den Faschismus zu stolpern“, sei für ihn inakzeptabel. Dass die Debatte längst nicht entschieden oder vorüber ist, machte auch der hochrangige Kongressführer Pete Aguilar deutlich. Biden müsse noch viel Überzeugungsarbeit leisten. „Lasst uns die Pressekonferenz abwarten.“
Der für Donnerstag geplante Auftritt vor Reportern zum Abschluss des dreitägigen NATO-Gipfels zeichnet sich als nächste Bewährungsprobe ab. Biden muss unter Beweis stellen, dass er ohne Teleprompter und vorbereitete Formulierungen Klartext sprechen kann.
Sein Wahlkampfteam baut schon vor. „Wir müssen uns daran erinnern, dass Präsident Biden ein Stotterer ist, der sich gelegentlich verspricht“, erklärte Chris Coons, der für Bidens Heimatstaat Delaware im Senat sitzt. „Wir sollten ihn nicht an einer Latte messen, die zu hoch liegt.“
Bis dahin muss der Präsident erst einmal unfallfrei durch das mit Terminen vollgepackte NATO-Programm kommen. Denn jeder Fehltritt und Versprecher garantieren Biden Schlagzeilen, die eine offene Palastrevolte auslösen könnte. Normal ist das nicht für jemanden, der das Vertrauen der Wähler für eine zweite Amtszeit gewinnen will.